Die ökologisch nachhaltige vegetarische Speisekarte liegt im Trend. Und doch gibt es in der Schweizer Hotellandschaft nur wenige Küchen, die sich ausschliesslich auf vegetarische Speisen konzentrieren. Die deutsche Plattform Veggie-Hotels führt weltweit 557 ausschliesslich vegetarische und vegane Hotels auf. Davon sind gerade mal neun Häuser in der Schweiz, darunter kein einziges Stadthotel.

Warum dies so ist, kann Veggie-Hotels-Gründer Thomas Klein nicht abschliessend beantworten. «Generell gilt, je grösser das Haus ist, desto schwieriger wird es, sich ausschliesslich für Vegetarier und Veganer auszurichten.» Der Branchenkenner bedauert die Zurückhaltung der Schweizer Hoteliers und Hotelièren. Die wirtschaftlichen Aspekte der vegetarischen Gastronomie lägen auf der Hand, so Klein. «Der Herstellungsaufwand eines vegetarischen Gerichts hält sich mit jenem eines Fleischgerichts die Waage. Hinzu kommt, dass die biologische Fleischvariante den Unternehmer im Einkauf viel teurer zu stehen kommt als die Biogemüse-Variante.» Mit Blick auf die Aufwand- und Ertragsrechnung lohne sich auch die Überlegung, vegane statt vegetarische Gerichte anzubieten. Thomas Klein verweist gleichzeitig auf den wachsenden Kundenstamm der Flexitarier, all jene Gäste, die gerne und bewusst auch mal auf tierische Lebensmittel verzichten.

Die Kundschaft hat sich vom einzelnen Körnlipicker zur bewusst lebenden Gästeschaft gewandelt.

Das Hotel Balance in Les Granges schrieb Geschichte

1984, zu einer Zeit, als «Veggie» und «Bio» noch nicht salonfähig waren, setzten der Ostschweizer Roland Eberle und seine Frau Ulrike auf die Devise «sanfter Tourismus». Zu diesem Zweck kauften die Branchen-Quereinsteiger in Les Granges, oberhalb von Martigny VS, ein leer stehendes Hotel. Sie bauten es nach baubiologischen Richtlinien — Verputze, Isolation und Farben sind schadstofffrei — zum Hotel Balance um und positionierten dieses als erstes vegetarisches Biohotel der Schweiz. «Wir waren und sind von der Wichtigkeit einer gesunden Ernährung absolut überzeugt. Gesund war und ist für uns vegetarisch und biologisch», sagt Eberle.

Wie die Branche damals auf die ökologische Geschäftsphilosophie reagiert hat? «Wir wurden wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen», meint Eberle. Insbesondere während der letzten zehn Jahre aber wurde die vegetarische Ernährung vom winzigen Nischenprodukt zu einem ernst zu nehmenden Markt. In der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein ernährten sich 2021 gemäss Mach-Studie knapp 288 000 Personen vegan oder vegetarisch, 4,7 Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend. «Die Kundschaft hat sich vom einzelnen Körnlipicker zur bewusst lebenden und zahlreichen Gästeschaft gewandelt», so Eberle. Mit einer gewissen Genugtuung stellt er fest, dass er damals mit seiner Überzeugung der Zeit voraus war.

Es geht nicht in erster Linie um den Preis, sondern eher um die Verfügbarkeit der Produkte.

Für Eberle ist Kochen ein kreativer Akt, welcher Spass machen soll. «Die Atmosphäre in der Küche kommt auf den Teller. Täglich naturbelassene gesunde Nahrungsmittel und nicht einfach Halb- oder Fertigprodukte verarbeiten zu dürfen, trägt wesentlich dazu bei.» Alle Lebensmittel stammen aus zu 100 Prozent aus kontrolliert biologischem Anbau. Jeden Abend wird ein vegetarisches 4- oder 5-Gang-Menü serviert. Auf eine langfristige Menüplanung wird bewusst verzichtet. So gelingt es, jeden Tag aufs Neue saisonal und mit frischen Zutaten zu kochen und dabei auch Food-Waste massgeblich zu vermeiden.

Ökologisch wie ökonomisch geht die Rechnung im Hotel Balance auf. Roland Eberle: «Qualität setzt sich langfristig überall durch. Als bewusste Konsumenten sind unsere Gäste bereit, für Qualität tiefer in die Tasche zu greifen.»

Im Hotel Saratz sind Fleisch und Fisch das Beigemüse
Im Restaurant Giodi Vegetarian and Co. im 4-Sterne-Superior-Hotel Saratz in Pontresina GR kocht die walisische Küchenchefin Kari Walker seit 2020 vorwiegend vegetarisch. Fleisch oder Fisch werden nur als Tagesempfehlung und als «Beigemüse» serviert. Die Konzeptänderung, die beliebte «Pitschna Scena» in das «Giodi Vegetarian and Co.» zu verwandeln, war ein bewusster und überlegter Schritt. «Wir hatten das Gefühl, das Hotel Saratz dürfe einen Schritt vorausdenken», sagt Hoteldirektorin Yvonne Urban. Der mutige Entscheid habe sich gelohnt, auch wenn man durch die Veränderung und Neuausrichtung ein paar eingefleischte «Pitschna Scena»-Fans verloren habe. Jede Weiterentwicklung im Hotel Saratz wird seither mit Blick auf die Nachhaltigkeit geplant und ausgeführt. Die hochalpine Lage des Engadins ist für die erfolgreiche Umsetzung eines vegetarischen oder veganen Gastronomiekonzepts nicht immer förderlich. Der Zukauf von Zutaten aus Graubünden oder den angrenzenden Regionen in Italien wie dem Veltlin, der Lombardei und Südtirol kann nicht umgangen werden. Stets wird dabei aber auf umweltschonende Sammelbestellungen und Transportwege geachtet. Zudem werden im Sommer im 35 000 Quadratmeter grossen Hotel-Saratz-Park Küchen- und Wildkräuter sowie Beeren und weitere frische Zutaten für die Hotelküche geerntet.[RELATED]

Kari Walkers Quarkpizokel, angereichert mit Spinat, getrockneten Tomaten und Bergkäse, kosten 27 Franken. Der Preis bestätigt Yvonne Urbans Beobachtung nach zwei Jahren vegetarischer Hotelgastronomie: «Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es ganz klar zwei Effekte: Das Preisniveau ist ohne Fleisch deutlich tiefer, die Rendite auf den Gerichten allerdings deutlich höher.»

Kartoffelespuma, Randensteak und Basilikumgranita
Vor fünf Jahren wurde das Riders Palace in Laax GR zum Riders Hotel umgebaut. Verantwortlich dafür war ein junges, innovatives Team rund um Hotelmanager Roger Heid. Von Anfang an entschied man sich, als erster Beherbergungsbetrieb in der Destination, für ein rein vegetarisches Gastronomiekonzept. Die Riders-Küchenphilosophie setzte stets auch auf die Flexitarier als Kundschaft. «Wir kreieren vegetarische Menüs, welche auch für nicht vegetarische Gäste passen», sagt Valeria Luengo Erbin, Verantwortliche Food & Beverage im Riders Restaurant.

Chefkoch Pascal Bertschinger und sein Kollege David Cehlarik kreieren jede Woche neue vegetarische 3-Gänge-Menüs aus frischen regionalen Zutaten und passend zur Saison. Pro Gang stehen zwei bis drei Gerichte zur Auswahl, gewechselt wird jeweils am Samstag. Auf ein À-la-Carte-Angebot wird auch im Riders Hotel zugunsten der Food-Waste-Reduzierung bewusst verzichtet. Serviert werden beispielsweise dreierlei Karotten mit Kartoffelespuma und Karottenreduktion oder eine Sellerie-Trüffel-Suppe als Vorspeise, ein veganes Randensteak mit Süsskartoffelpüree und Röstzwiebeljus oder Serviettenknödel mit schwarzer Knoblauchsauce und Mangold aus dem Garten zum Hauptgang, gefolgt von einem Ricottamousse mit Basilikumgranita und kandierten Oliven oder einem veganen Schokoladenbrownie mit Aprikosensorbet für 62 Franken.

Swisstainable Veggie Day
Am 1. Oktober 2022 ist offizieller Weltvegetariertag – Schweiz Tourismus feiert den Swisstainable Veggie Day. An diesem Tag bieten zahlreiche Restaurants in der ganzen Schweiz vielseitige und kreative vegetarische Gerichte an.

Die Rückmeldungen der Gäste sprechen für das vegetarische Angebot und sind mehrheitlich positiv. «Es gibt nur noch vereinzelte Feedbacks auf Onlineplattformen, wo sich die Leute beschweren, dass es kein Fleisch gibt. Vor fünf Jahren war dies sicher noch anders», sagt Valeria Luengo Erbin.

Chefkoch Bertschinger isst selbst gerne Fleisch. Der Zürcher Oberländer ist aber überzeugt, dass der Fleischkonsum den Tieren, der Umwelt und der Gesundheit zuliebe eingeschränkt werden sollte. Die vegetarische und nachhaltige Küche stelle jedoch auch einen erfahrenen Koch immer wieder vor neue Herausforderungen. Zwar versuche er so viel wie möglich von lokalen und regionalen Produzenten zu beziehen, konsequent auf exotische Produkte wie etwa Kakao oder Pfeffer zu verzichten, sei aber unmöglich.

Aus ökologischer Sicht ist man im Riders Hotel in Laax auf Kurs. Finanziell macht man allerdings als Fine-Dining-Restaurant, wo die Margen tiefer sind, noch einige Abstriche. Luengo Erbin: «Es geht nicht in erster Linie um den Preis, sondern eher um die Verfügbarkeiten der jeweiligen Produkte. Diesbezüglich können wir die Menügestaltung sicher noch optimieren.»

Nora Devenish