Seit September 2022 ist Markus Venzin CEO der EHL Group. Der frühere Dozent an Universitäten in Berlin und Mailand wechselte damit ins Unternehmensumfeld. Das internationale Umfeld bleibt ihm erhalten. Nach Jahren der Berufstätigkeit im Ausland denkt der gebürtige Churer heute übrigens fliessend Englisch: Englische Fachausdrücke gehen ihm entsprechend leichter von den Lippen als deutsche.

Herr Venzin, Sie sind unter anderem Experte für Wachstumsstrategien. Welches Wachstum streben Sie für die EHL Group an?
Wachstum ist für uns nicht per se ein Ziel. Wir haben kein Umsatzwachstumsziel. In den letzten zehn Jahren hat sich die EHL Group sehr stark entwickelt. Die Zahl der Studierenden stieg von rund 2000 auf 4000 an. Der Campus in Passugg und jener in Singapur kamen hinzu. Wir haben die Innovationsplatform «EHL Next» gegründet, die Beratung für Unternehmen, Regierungen und Bildungseinrichtungen ausgebaut. Ich sehe uns aktuell in einer Konsolidierungsphase. Wir schauen nun in den einzelnen Segmenten gezielt auf Qualität. Anschliessend setzen wir gezielte Wachstumsinitiativen auf.

Was heisst das konkret?
Ein Thema ist sicher lebenslanges Lernen. Diese Angebote richten sich an Personen jenseits des Studienalters. Ein weiterer Wachstumspfad ist, dass wir im Bachelor-Bereich Spezialisierungen anbieten. Wir gewinnen auch in anderen Sektoren an Relevanz: Wir positionieren uns als EHL Hospitality Business School. Als Hochschule, die Hospitality-Kompetenzen unterrichtet, welche auch in anderen Branchen relevant sind.

Was sind Ihre Visionen für die EHL im Bereich Qualität?
Die Qualität einer Schule hängt mit der Qualität der Studierenden zusammen. Wir werden weiterhin ein Auge auf der Selektionsrate haben. Und wir wollen unsere Stärken weiter ausbauen. Wir sind bekannt für Gastfreundschaft und «Human Centricity», also das Beziehungsmanagement. Unsere Studienabgänger sind zudem stark in der «Experience Economy»: Sie können sich gut präsentieren, Storys über Marken entwickeln und somit einzigartige Kundenerfahrungen kreieren.

Weitere wichtige Themen sind Nachhaltigkeit, menschenzentrierte Führungsmodelle und menschliche Interaktion. Wir vereinsamen immer mehr, auch in Firmen, da durch «Smart Working» Mitarbeitende oft das Gefühl haben, nicht mehr Teil eines sozialen Gefüges zu sein. Wir wollen uns als führende Hochschule positionieren, welche die Mittel hat, dieser Einsamkeit entgegenzuwirken, sei es über Führungsmodelle, Experience Design oder Hospitality-Kompetenzen. Wir wollen eine Umgebung schaffen, welche sozialisiert und Begegnungen ermöglicht.

Menschen fühlen sich durch ‹Smart Working› nicht mehr eingebunden.

Was braucht ein Bildungsbereich, um für die Zukunft gerüstet zu sein?
Ich sehe die grosse Gefahr, dass Top-Universitäten in der Business Management Education zu stark in die Basisforschung hineingehen. Für sie zählt, dass ihre Forscher in den topakademischen Publikationen veröffentlichen, und dementsprechend messen sie die Professoren auch daran. Das ist eine schädliche Entwicklung. Man verliert so die Verbindung zur Industrie. Die Qualität der Didaktik leidet darunter.

Wir arbeiten verstärkt mit sogenannten Practice Professors zusammen, regulären Professoren, die aus der Wirtschaft kommen, und bilden sie vorgängig aus. Ein zweiter Innovationsbereich ist Edutec, die Anwendung von Educational Technologies in der Bildung. Es geht nicht nur um Onlineunterricht. Vielmehr verfolgen wir ein hybrides Modell. Bei uns ist die Erfahrung auf dem Campus sehr wichtig: die menschlichen Interaktionen in Gruppenarbeiten, das Networking, die Entwicklung von Soft Skills.

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Der Innovation Hub der EHL ist wieder näher an den Campus Lausanne gerückt. Aus strategischen Gründen?
Seit der Eröffnung des neuen Campus in Lausanne im Juli 2022 haben wir das Potenzial dieser neuen Infrastruktur entdeckt. Wir wollen sie in den Dienst unserer Innovationsstrategie stellen. Der neue Campus umfasst heute unter anderem zwölf F & B-Outlets und mehrere Empfangsbereiche. Sie sollen auch für Innovationsprojekte und unsere Start-ups genutzt werden. Wir werden den EHL Innovation Hub innerhalb unseres Netzwerks stärken, um ihn zu einer zentralen Säule zu machen. Der Hub ist einen Kilometer vom Campus entfernt. Er muss etwas abgesondert sein, weil man dort eine etwas andere Kultur hat, etwa was die Kleiderordnung betrifft. Mitarbeitende in jungen Start-ups wollen auch mal in Shorts zur Arbeit.

Die EHL ist bekannt für die immer noch strengen Kleidervorschriften.
Ich finde die Kleiderordnung enorm wichtig. Auf dem EHL Campus herrscht eine ganz andere Atmosphäre. Das betrifft nicht nur den Dresscode, sondern auch, wie sich die Studierenden ausdrücken, wie sie jemanden begrüssen. Es fühlt sich einfach anders an hier auf dem Campus. Wir werden das nicht ändern. Alle unsere Partner, besonders diejenigen, welche unsere Studierenden oft rekrutieren, wie Chopard, Four Seasons, IHG, Swiss, Rothschild, bestätigen uns, dass dies essenziell ist.

Wie entwickelt sich der Betrieb des Campus in Singapur, der 2021 startete?
Singapur ist ein sehr interessantes Projekt. Der Start ist uns trotz Pandemie gut gelungen. Wir haben bereits ein sehr gutes lokales Ökosystem entwickelt. Seit Beginn des Studienbetriebs im Februar 2021 haben wir etwa 250 Studierende aufgenommen, die den Bachelor-Studiengang oder Kurzstudiengänge wie den Studiengang Luxusmanagement belegen.

Zusätzlich werden wir unseren Bachelor-Studierenden in Singapur bald eine besondere Spezialisierung mit Fokus auf Nachhaltigkeit, Soft Skills und Digitalisierung anbieten. Die ersten beiden Studienjahre der «Singapur-Option» werden in Lausanne stattfinden, das dritte und vierte Jahr in Singapur. Wir wollen uns in Singapur als Hub für Edutech positionieren und die dortigen Erfahrungen in die Schweiz bringen.

Hat der Campus Singapur die Zusammensetzung der Übersee-Studierenden in der Schweiz verändert?
Bis jetzt nicht. Historisch gesehen hatten wir in Lausanne immer einen grossen Anteil an Studierenden aus Asien. Die Abschlüsse von Bachelor-Absolventen aus diesem Raum nehmen zu.

In der Luxusgüterindustrie sind EHL-Abgänger gefragte Berufseinsteiger. Was muss sich ändern, damit sie auch der Branche zufliessen?
In einem Hotelbetrieb mit 500 Angestellten haben vielleicht ein oder zwei Personen einen Bachelorabschluss. Deshalb glaube ich nicht, dass die Hälfte unserer Studierenden, die ins Management ausserhalb der Hospitality-Branche wechselt, etwas mit dem aktuellen Fachkräftemangel zu tun hat. Den grossen Mangel hat man in der Küche und im Service. In diesen Bereichen arbeiten wir an gezielten Projekten, wie man Arbeitnehmer durch Up- und Reskilling in die Branche bringen kann.

Die Studierenden aus Übersee würden sehr gern hier arbeiten.

Viele EHL-Studierende stammen aus Drittstaaten. Wäre es Abhilfe für den Fachkräftemangel, wenn sie in der Schweiz arbeiten dürften?
Das wäre sehr wichtig. Aus meiner Sicht besteht ein grosses Potenzial. Unserer Erfahrung nach würden die Studierenden aus Übersee tatsächlich sehr gern hier arbeiten. Viele – besonders die Studierenden aus Asien – gehen nach ihrer Ausbildung nach Grossbritannien oder Kanada, weil diese Länder weniger restriktiv sind.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Innovation in der Branche?
Innovation ist für mich ein wichtiges Thema. Viele Leute sagen, Hospitality sei einfach. In Tat und Wahrheit muss man sehr komplexe Prozesse managen, Food-Waste vermeiden, die Digitalisierung voranbringen, Strom sparen, neue Servicekonzepte entwickeln. Das Problem ist, dass die Branche sehr stark fragmentiert ist: Wenn ich eine Idee für Innovation habe, muss ich in der Umsetzung zuerst sehr viele lokale General Manager davon überzeugen. In einer grösseren Firma ist das viel einfacher, da zentral entschieden wird. Sogar bei den grösseren Hotelketten geht Innovation langsamer. Sehr oft sind es Franchising-Konzepte, bei denen lokale Manager immer noch sagen können: «Nein, das interessiert mich nicht.»

Die Schulhotels von HotellerieSuisse und die Hotelfachschule Thun sind ab August unter dem Dach der EHL. Wie sehen Sie die Zukunft von FH und HF?
Es ist wichtig, dass wir Durchlässigkeit haben. Das ist auch ein Rezept gegen den Fachkräftemangel. So kann man einen attraktiven Werdegang ermöglichen. Jemand kann mit der Lehre beginnen und dann mit einem Bachelor oder Master of Science abschliessen. Diese Integration hat schon vor eineinhalb Jahren mit konkreten Ausbildungsprojekten begonnen. Seit 2021 entwickeln HotellerieSuisse, die Stiftungen HF Thun und Tschumi Fonds sowie die EHL Group gemeinsam innovative Berufsausbildungen in der Schweiz.

Unsere Positionierung ist einzigartig: Hospitality School und Top Business School.

Wie setzen Sie die Integration um?
Ein erster Schritt erfolgt im August: Alle Berufsausbildungen, die derzeit unter der Verantwortung von HotellerieSuisse stehen, so etwa die Schulhotels in Interlaken, Martigny und Pontresina, werden unter die rechtliche Verantwortung der Stiftung HF Thun und unter die operative und strategische Führung der EHL Group gestellt. Anschliessend arbeiten wir in einer Konsolidierungsphase auf eine vollständige Integration in die EHL Group hin.

Im Ranking der besten Hotelschulen sind mehrere Schweizer Schulen unter den Top 5. Wie bleibt die EHL an der Spitze?
Wir haben verschiedene Mitbewerber. Aber unsere Positionierung ist einzigartig: Wir sind eine Hospitality Business School, sehen uns aber komplementär als Top Business School. Wir versuchen, die besten Leute für uns zu gewinnen, sie zu motivieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, bei uns zu arbeiten, zu unterrichten oder zu forschen. Wir sind hervorragend im Bereich Industrierelevanz, haben ein ausgezeichnetes Netzwerk mit über 30 000 Alumni weltweit und Hunderten von Partnern aus unterschiedlichen Branchen, die jedes Jahr auf unseren Campus rekrutieren.

Wir lernen konstant von der Industrie. Dafür haben wir eine Beratungsfirma, die Unternehmen, Einrichtungen und Regierungen weltweit dabei unterstützt, sich auf zukünftige herausragende Leistungen vorzubereiten. Es ist also nicht nur ein Punkt. Es ist ein bisschen komplexer, und das macht die EHL Group einzigartig – und meinen Job so spannend!

Zur Person
Markus Venzin (55) ist in Chur geboren und aufgewachsen. Nach dem Bachelorstudium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz absolvierte er ein Masterstudium in Strategischem Management und Organisationsverhalten. Anschliessend promovierte er in Strategie und Organisation an der Universität St. Gallen. Zuletzt war er Professor für Globale Strategie am Institut für Management und Technologie der Universität Bocconi in Mailand und dessen Dekan für Innovation. 2017 war er zudem Mitgründer des Venture Builders «Corporate Hangar» in Mailand. Seit Herbst 2022 ist er CEO der EHL Group. Er folgte auf den langjährigen CEO Michel Rochat. Nach 20 Jahren in Italien pendelt Venzin heute zwischen dem EHL-Campus in Lausanne und Mailand, wo seine Frau und seine beiden Töchter leben.