ICOMOS

Historische Gaststätten, im Heute lebendig

Der Spezial­preis von Icomos geht an die «Spanische Weinhalle» in Burgdorf, wo Kulinarik, Kultur und Integration verschmelzen. Corinna und Hoshank Hirrle, Gastgeber des Lokals, im Interview.

Blanca Burri

Hoshank Hirrle flüchtete 2015 aufgrund des Bürgerkriegs von Syrien in die Schweiz. Hier lernte er seine Frau Corinna kennen. Seit 2019 führen der Hotelier und die Theaterwissenschaftlerin die «Spanische Weinhalle» in Burgdorf, die soeben mit dem Spezialpreis von Icomos ausgezeichnet wurde. Sie verbinden dort Kulinarik mit Kultur und Integration. [RELATED]

Corinna und Hoshank Hirrle, was bedeutet die Auszeichnung von Icomos für Sie persönlich?

Hoshank Hirrle: Wir sind stolz und dankbar, dass wir ausgewählt wurden. Es zeigt uns, dass sich die Zeit gelohnt hat, die wir hier investiert haben.
Corinna Hirrle: Da der Preis eine schweizweite Strahlkraft hat, wird die Dimension, in der wir uns bewegen, grösser. Der Werbeeffekt, aber auch die Legitimation unserer Kultur- und Integrationsprojekte nimmt zu. Es ermutigt, uns weiter zu engagieren.

1997
zeichnete die Jury von Icomos das erste Historische Hotel aus. Träger sind auch HotellerieSuisse, Gastro Suisse und Schweiz Tourismus.

24 
historische Hotels wurden von Icomos ausgezeichnet.

11
historische Restaurants wurden von Icomos ausgezeichnet.

Sie bilden Personen mit Migrationshintergrund und Asylsuchende ohne Fördergelder aus. Was ist Ihre Motivation?

Hoshank Hirrle: Ich selbst bin 2015 als kurdischer Syrer in die Schweiz geflüchtet, wo ich in einem Bundesasylzentrum untergebracht worden bin. Dass ich trotz guter Ausbildung als Asylsuchender abgestempelt wurde, war schmerzhaft. Man traute mir nichts mehr zu. Ich wollte beweisen, dass auch Geflüchtete ein Teil der Gesellschaft werden können, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten. Als ich Corinna kennen lernte, öffnete das viele Türen.
Corinna Hirrle: Hoshanks Geschichte motiviert uns, Asylsuchende und Personen mit Migrationshintergrund im ersten Arbeitsmarkt zu beschäftigen, ohne von Institutionen oder Behörden abhängig zu werden. Wir möchten diese Personen nicht bemitleiden, sondern ihnen ermöglichen, sich weiterzuentwickeln und selbstständig zu werden. Sie sollen das Vertrauen wieder erhalten, das man ihnen bei der Ankunft in der Schweiz genommen hat.

Integration heisst nicht nur seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern auch in der Gesellschaft anzukommen. Wie gelingt das?
Corinna Hirrle: Wir beschäftigen insgesamt 11 Personen. Sieben haben einen Migrationshintergrund, vier sind Schweizer. In den Tagesteams mischen wir die Nationalitäten bewusst. Wir schauen darauf, dass die Köche Kontakt zu den Gästen haben, indem sie das Essen servieren. Integration heisst, gesehen werden. Das fördert das Selbstvertrauen.

Sie bilden Kochlernende aus. Wie lief das an?
Corinna Hirrle:
Ein erster Küchenangestellter EBA hat bereits abgeschlossen, andere sind noch in Ausbildung, das ist das Ergebnis von einem längeren Prozess. Man ist sich zwar gewohnt, dass die Ausbildung in einem italienischen oder spanischen Restaurant gemacht werden kann, aber in einem Orientalischen? Es war nicht so leicht, eine Bewilligung zu erhalten. Weil wir eine grosse Speisekarte haben und alles frisch zubereiten sowie unterschiedliche Garmethoden anwenden, konnten wir die Zuständigen überzeugen.

Sie bilden Lernende mit Migrationshintergrund aus. Wo liegen die Herausforderungen?
Die Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg, doch es ist nicht so einfach eine Fremdsprache zu lernen und zusätzlich in der Fremdsprache eine Ausbildung zu machen. Deshalb ist für sie der theoretische Teil meist recht anspruchsvoll. Auch fehlen manche Grundlagen, dafür sind die Lernenden praktisch sehr begabt.

Welche Learnings haben Sie in den vergangenen vier Jahren gemacht?
Hoshank Hirrle: Wir haben bemerkt, dass es nicht so einfach ist, den Gästen unser Konzept zu kommunizieren. Die Menschen, die hier arbeiten, tun das mit Liebe und Leidenschaft. Aber viele von ihnen haben keine Ausbildung und wenig Erfahrung. Wir mussten beweisen, dass auch Menschen, die keine Ausbildung haben, sehr wohl gastgeberisches Talent haben.

Corinna Hirrle: Bei der Rekrutierung kann man sehr schnell Menschen einordnen und welche Fähigkeiten sie mitbringen. Aber ich empfehle, sich nicht von den Vorurteilen leiten zu lassen. Besser sollte man Menschen mit Migrationshintergrund eine Chance geben. Auch wenn die Bewerbung nicht gut geschrieben ist, sollte man sie schnuppern lassen, denn vielleicht verbirgt sich dahinter ein Talent, das praktisch veranlagt ist. Wenn die Sprache nicht genügt, gibt es vielleicht andere Möglichkeiten, zu kommunizieren. Natürlich wissen wir, dass es in der Schule herausfordernd wird, aber man kann die Menschen stückweise fördern. Sie können beispielsweise mit einer Vorlehre beginnen, mit der EBA weiterfahren und später noch die EFZ anhängen. Es kann einem Betrieb viel Sozialkompetenz bringen, wenn man nicht immer nach Schema X vorgeht, weil die Personen Gastfreundschaft und eine wohltuende Warmherzigkeit mitbringt. Das bringt einem Betrieb viel.

Braucht es strengere Betriebsregeln, als wenn man ausschliesslich Personen aus dem gleichen Kulturraum engagiert?

Hoshank Hirrle: Betriebsregeln braucht es dringend. Sie müssen nicht streng, aber sehr klar sein. Es muss vor allem definiert werden, wie der Umgang miteinander gelebt werden soll. Probleme müssen direkt angesprochen werden. Kritik soll konstruktiv sein. Sexismus und Rassismus werden nicht toleriert.
Corinna Hirrle: Auch regelmässige Mitarbeitergespräche verhelfen zu einem guten Arbeitsklima. Dort können unter anderem einzelnen Rollen und Kompetenzen geklärt werden.
Hoshank Hirrle: Unseren Mitarbeitenden erklären wir auch immer wieder unsere Vision. Nur wenn sie sie verstehen und sich im Idealfall damit identifizieren, hat man Erfolg. Von diesem Erfolgt sind die Mitarbeiterlöhne abhängig, wenn die Mitarbeitenden die Zusammenhänge verstehen, geht alles besser.

Was ist die schönste Geschichte der vergangenen vier Jahre?
Corinna Hirrle:
Wie Sie wissen, war mein Mann ein Flüchtling und ich bin eine hochdeutsch sprechende Schweizerin. Am Tor zum Emmental übernahmen wir ein Restaurant, in dem wir Kultur und eine orientalische Küche anbieten und Integration leben. Wir befürchteten, von der Bevölkerung nicht akzeptiert zu werden. Aber indem wir den Kontakt mit der Bevölkerung suchen, die Lebensmittel von einheimischen Produzenten einkaufen, Kunst und Kultur anbieten, sind wir hier angekommen. Wir sind zu einem sozialen Treffpunkt geworden, bei dem nicht der ökonomische Erfolg, sondern die Begegnung und der Austausch im Vordergrund stehen. Als in unserem Räumlichkeiten die erste Gemeinderatssitzung stattfand, merkten wir, dass wir angekommen sind.

Begegnung, Integration, Kultur. Sie leben eine Ideologie. Wie sehen die Zahlen aus?

Hoshank Hirrle: Es kommt darauf an, wie man das Monetäre definiert. Wie viel ist wenig und wie viel ist viel? Das wichtigste ist, dass es uns gut geht. Wir haben eine gute Lebensqualität. Unser Geschäft wächst von Jahr zu Jahr. Unseren Gewinn investieren wir in neue Mitarbeitende, nicht in Materialien. Das hält unser Geschäft lebendig. Wir können Studierenden aus Burgdorf einen Wochenendjob anbieten und eröffnen bald ein neues Lokal. Damit sind wir sehr zufrieden.

Welches neue Projekt packen Sie als nächstes an?
Hoshank Hirrle: 
Es sind eigentlich zwei Projekte. Wir eröffnen einen Eventraum in der Nähe der «Spanischen Weinhalle», der ein bisschen grösser ist als die Räumlichkeiten hier. Dort möchten wir grössere Veranstaltungen und auch Hochzeiten, Geburtstagsfeiern und Firmenanlässe ausrichten. Unser Traum ist zudem, ein zweites Restaurant zu eröffnen. Dort möchten wir eine Schweizer-europäische Küche aus orientalischer Hand anbieten, wo wir die verschiedenen Kulturen und das Essensangebot noch stärker verbinden können. Wir möchten zeigen, dass wir uns weiterentwickeln können. 


Hoshank Hirrle (*1980), gebürtiger Kurde aus Kurdistan Syrien (Quamischli), studierte in Damaskus erst Soziologie, dann internationale Hotellerie und im Master Koch. Danach war er für eine britisch-amerikanische Firma in verschiedenen arabischen Ländern in 5-Sterne-Hotels in Managementfunktion tätig. 2015 kam er aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien als Flüchtling in die Schweiz. Schon nach kurzer Zeit baute er sich seine Catering-Firma Gourmet Kitchen GmbH auf und bot Kochkurse an. 2019 übernahm er gemeinsam mit seiner Frau das Burgdorfer Restaurant «Spanische Weinhalle», und zwar mit der Gourmet Kitchen GmbH und dem Integrations- und Kulturprojekt RAK ReichAnKultur. 

Corinna Hirrle (*1990) studierte Theaterwissenschaft, Italienisch und World Literature in Bern und Rom und war an verschiedenen Kulturinstitutionen in der Schweiz tätig (Bühnen Bern, Pro Helvetia, Theaterverlag Elgg, Institut für Theaterwissenschaft). 2019 stieg sie in die Gastronomie ein und leitet seither gemeinsam mit ihrem Mann die «Spanische Weinhalle» betrieben durch Gourmet Kitchen in Burgdorf. Dafür absolvierte sie die Académie du Vin (WSET 3 / Sommelière). Als Geschäftsführerin von RAK ReichAnKultur veranstaltet sie im Weinkeller der Spanischen Weinhalle regelmässig kulinarische wie kulturelle Veranstaltungen, Lesungen, Konzerte und Ausstellungen. Im Theaterverlag Elgg hat sie die Leitung Lektorat inne und ist Stiftungsrätin.