Arette Scheidegger schaut zu ihrer Lernenden an der Réception. «Was muss heute unbedingt erledigt sein?», fragt sie. Auf dem Tisch liegt ein handschriftlicher Plan: drei Pflichtaufgaben mit klaren Deadlines, daneben ein Feld für Reservezeit. «Du weisst ja, im Daily Business geht der Plan nie ganz auf. Wenn du deine Prioritäten kennst, bleibst du handlungsfähig.»
TOP-Ausbildungsbetrieb in Zahlen
408 Betriebe sind branchenübergreifend zertifiziert.
85 Hotels sind zertifiziert – plus 13 Gastrosuisse-Mitglieder.
3 Stufen: 51 Hotels auf Stufe 1, 34 Hotels auf Stufe 2, kein Hotel auf Stufe 3.
20 Prozent Graubünden hat mit 24 Hotels die höchste TAB-Dichte. Im Jahr 2024 gab es rund 20 Prozent mehr Lehrvertragsabschlüsse als 2023.
4 Hotels in der Romandie
Stufe 3: Als einziger Lehrbetrieb im Gastgewerbe hat die Küche des Luzerner Kantonsspitals Stufe 3 erreicht.
Diese tägliche Übung gehört für Scheidegger zum Kern ihrer Arbeit als Ausbildungsverantwortliche im 4-Sterne-Hotel Continental Park Luzern. Es ist ein Beispiel dafür, wie das Label TOP-Ausbildungsbetrieb (TAB) in der Praxis unterstützend wirkt.
Von der nationalen Initiative zum praktischen Werkzeug für Ausbildungsqualität
TAB ist ein nationales, branchenübergreifendes Unterstützungs- und Auszeichnungssystem, das Betrieben hilft, ihre Ausbildungsqualität zu steigern. Das System ist mehrstufig aufgebaut und kombiniert Weiterbildung, Selbstreflexion und externe Überprüfung. In der Praxis gilt Stufe 1 für manche Betriebe als zu leicht zu erreichen.
Lukas Gasser, Fachspezialist Bildungsmarketing und Mitglied des operativen Steuergremiums, sieht das anders: «Stufe 1 ist der Einstieg. Uns ist wichtig, dass möglichst viele Betriebe den ersten Schritt machen. Wer einmal drin ist, steigt oft auch weiter auf.» Aktuell sind 408 Betriebe zertifiziert, davon 85 Hotels.
«In der Hotellerie gibt es noch keinen Betrieb mit der höchsten Stufe, der Sprung dorthin ist zeitintensiv», sagt Gasser. «Wir würden uns wünschen, dass sich deutlich mehr Hotels zertifizieren lassen. Nicht nur, um ein Label zu etablieren, sondern um wirklich an der Ausbildungsqualität zu arbeiten.»
Man sieht, wo Abläufe bestehen, aber auch, welche fehlen, optimiert oder vereinheitlicht werden müssen.
Arlette Scheidegger, Ausbildungsverantwortliche Hotel Continental Park Luzern
Das Hotel Continental Park mit seinen 86 Zimmern ist auf Stufe 2 zertifiziert. In den TAB-Kursen lernte dessen Team die Methode «Entdeckendes Lernen» kennen. Die Lernenden üben, bei Aufgaben den Weg zum Ziel selbst zu finden. Das ist nur eines von vielen Konzepten und Tools, die bei TAB vermittelt werden.
Arlette Scheidegger unterstützt TAB, weil darin strukturiert aufgezeigt wird, wo noch Handlungsbedarf besteht. Im «Continental Park» beispielsweise gab es keine einheitliche Einführung neuer Lernender in allen Abteilungen. Das Scannen des Betriebes ist für Scheidegger von strategischer Bedeutung. «Man sieht, wo Abläufe und Prozesse bestehen, aber auch, welche fehlen, optimiert oder vereinheitlicht werden müssen.»
Die drei Stufen des Labels TOP-Ausbildungsbetrieb
Stufe 1:
· Voraussetzung: Ausbildungslizenz vom Kanton
· 1-Tages-Kurs für Berufsbildner
· 2-stündiges Webinar für die Betriebsleitung
· Erhebungsbogen
Stufe 2:
· Voraussetzung: Abgeschlossene Stufe 1
· 4 Kurstage
· Fokus «Entdeckendes Lernen» und Ausbildungsbericht
Stufe 3:
· Voraussetzung: Abgeschlossene Stufe 2
· Externes Assessment im Betrieb
· Selbstreflexion und Coaching
Kosten:
· Stufe 1: 805 Fr. (L-GAV-Beitrag: 170.–)
· Stufe 2: 1460 Fr. (L-GAV-Beitrag: 500.–)
· Stufe 3: ab 2200 Fr. (kein L-GAV-Beitrag)
topausbildungsbetrieb.ch
Gezielte Betreuung und die richtigen Menschen in der Ausbildung einsetzen
Zeit ist für Arlette Scheidegger ein Schlüsselfaktor: Früher hatte sie rund drei Stunden pro Woche Zeit für alle Lernenden, heute hat sie dank ihrer Rolle als Ausbildungsverantwortliche mehr Spielraum. Aktuell betreut sie elf Lernende in allen fünf Berufen des Gastgewerbes. Dazu kommen drei Lernende mit Unterstützungsbedarf aus der Zusammenarbeit mit der Stiftung La Capriola, die eigene Betreuer vor Ort haben.
Den zusätzlichen Spielraum nutzt Scheidegger für One-to-ones, bei denen Noten, To-dos und die persönliche Entwicklung besprochen werden, für die Einführung gemeinsamer Starttage oder für die Einbindung einer internen Vertrauensperson, die den Lernenden zusätzlich zur Seite steht.
Ihr Ziel ist es zudem, möglichst viele ihrer Berufsbildenden in die TAB-Kurse zu schicken, damit das Wissen breit im Team verankert wird und nicht nur bei Einzelpersonen bleibt. Scheidegger legt grossen Wert darauf, dass die richtigen Personen ausbilden. Das sind nicht automatisch die Abteilungsleiterinnen oder Abteilungsleiter, sondern Menschen, die Interesse an jungen Leuten haben und bereit sind, Zeit zu investieren.
Diese Nähe zeigt sich auch im Alltag: Scheidegger vermittelt Resilienz, lässt Stressbewältigungs-Trainings erarbeiten, in denen Lernende Vorträge für ihre Kolleginnen und Kollegen halten, und vermittelt Erholungstechniken wie kurze Spaziergänge, bewusstes Abschalten, kleine Pausen zum Durchatmen. Verantwortung wird gezielt dosiert, damit nichts «mit nach Hause» genommen wird.
Im Alltag nah dran und auf Verbandsebene strategisch wirksam
Auch auf Verbandsebene wird TAB als Instrument zur Stärkung der Ausbildung gesehen. «Unser Ziel ist nicht primär, mehr Bewerbungen zu erhalten, sondern die Ausbildungsqualität zu verbessern», so Gasser. In Graubünden, wo die Dichte zertifizierter Betriebe am höchsten ist, stieg die Zahl der Lehrverträge im Jahr 2024 um 20 Prozent. Ob ein direkter Zusammenhang besteht, ist nicht untersucht worden. Kooperationen wie mit der Plattform Yousty, die einen TAB-Filter anbietet, erhöhen die Reichweite. [RELATED]
Kritik gibt es dennoch: Die Überprüfung, ob die TAB-Philosophie im Alltag gelebt wird, war anfangs lückenhaft. Manche Betriebe erwägen deshalb die Kombination von TAB mit dem Label «Great Start» von Great Place to Work, wo die Lernenden anonym ihren Betrieb bewerten. Für Scheidegger überwiegt der Nutzen. Selbst wenn eine geschulte Berufsbildnerin das Hotel verlässt und ihr Wissen in einen anderen Betrieb trägt, sieht sie das positiv: «Dann profitieren dort die Lernenden.»
Kündigt eine TAB-ausgebildete Person, muss der Betrieb innerhalb von sechs Monaten Ersatz in den Kurs schicken, um das Label zu behalten. Für Scheidegger ist das keine Pflichtübung, sondern eine Chance: «Mit jeder neu geschulten Person wird das Fundament für eine Ausbildungskultur gestärkt.»
Breite Branchenstütze für das Ausbildungslabel
TOP-Ausbildungsbetrieb wird von Verbänden wie HotellerieSuisse, Gastrosuisse, dem Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verband und weiteren getragen.
Das Label hat Einfluss auf die Klassifikation: Stufe 1 wird mit einem Punkt, Stufe 2 mit drei und Stufe 3 mit fünf Punkten belohnt.
Hier finden Sie mehr Infos zum Label TOP-Ausbildungsbetrieb:
hotelleriesuisse.ch/top-ausbildungsbetrieb
