Noch ist aufgrund weiter rasch steigender Coronazahlen kein Ende des geltenden Notrechts in Sicht. Der Bundesrat erlaubt nun dem Tessin, die Wirtschaft stärker einzuschränken als es das Bundesrecht bisher erlaubt. Der Bevölkerung rät er, die Disziplin beizubehalten.

Vor elf Tagen hat der Bundesrat die ausserordentliche Lage ausgerufen und das öffentliche Leben weitgehend stillgelegt. «Wir sind noch nicht bei der Hälfte des Marathons», sagte Gesundheitsminister Alain Berset am Freitag vor den Bundeshausmedien. Er rief zum Durchhalten auf.

Der Bundesrat zähle auf jede Einzelne und jeden Einzelnen. «Es ist eine kollektive Verantwortung», sagte Berset. Osterferien im Tessin lägen dieses Jahr nicht drin: «Bitte bleibt zu Hause», lautet der Appell des Gesundheitsministers. «Es wäre gut, wenn es dieses Jahr keinen Stau am Gotthard geben würde.»[RELATED]

Spezialfälle berücksichtigen
Im Tessin ist die Lage seit Wochen besonders angespannt. Der Kanton traf deshalb vergangene Woche in Eigenregie Massnahmen, die über Bundesrecht hinausgingen – beispielsweise schloss er Baustellen und Betriebe. Diesen Konflikt hat der Bundesrat nun entschärft.

Der Bundesrat kann einem Kanton künftig erlauben, kurzzeitig die Tätigkeit ganzer Wirtschaftsbranchen einzuschränken oder einzustellen. Voraussetzung ist eine besondere Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung aufgrund der epidemiologischen Situation.

«Lex Ticino»
Die Kantone können ein Gesuch um weitergehende Massnahmen aber nur dann stellen, wenn die Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung auch nach Unterstützung durch andere Kantone nicht mehr ausreichen.
Eine weitere Bedingung ist, dass die betroffenen Wirtschaftsbranchen nicht mehr voll funktionsfähig sind, weil Grenzgänger ausbleiben.

Ausserdem müssen die Sozialpartner dem Entscheid zustimmen, und die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs sowie der Gesundheitseinrichtungen muss sichergestellt sein. Die Kriterien erfüllt laut Innenminister Berset derzeit einzig das Tessin. Die Zahl der Covid-19-Erkrankten sei dort dreimal so hoch wie im Landesmittel. 

Am Freitag meldete der Bund gesamtschweizerisch 12'161 laborbestätigte Fälle, 1390 mehr als am Vortag. Die Zahl der Todesopfer belief sich gemäss einer Zählung von Keystone-SDA auf mindestens 206.

Vorsichtiges Zügeln erlaubt
Trotz dieser epidemiologischen Entwicklung bekräftigte der Bundesrat, dass das Zügeln unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln möglich ist. Zügelunternehmen und Immobilienbewirtschafter betonten, dass dies möglich sei. Das kommende Wochenende gilt vielerorts als offizieller Umzugstermin, was in der Regel zu rund 50'000 Umzügen führt.

«Der Bundesrat will verhindern, dass eine unberechenbare Kaskade von Zügelverschiebungen entsteht», sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Das hätte eine Flut von Verfahren zur Folge.

Längere Nachfrist für Mieter
Um Privatpersonen und Mieter von Geschäftsräumen zu unterstützen, hat der Bundesrat zudem die Nachfrist bei Zahlungsverzug von 30 auf 90 Tage verlängert. Gerät ein Mieter mit der Miete in Verzug, kann ihm der Vermieter nach Ablauf der Nachfrist kündigen. Die Kündigungsfrist beträgt nur 30 Tage. «Wir wollen Druck wegnehmen», sagte Parmelin.

Die längere Nachfrist gilt für Mieten und Nebenkosten, die zwischen dem 13. März und dem 31. Mai 2020 fällig werden, und «sofern die Mieterinnen und Mieter aufgrund von behördlich angeordneten Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus mit der Bezahlung der Mietzinse in Rückstand geraten».

Kurzarbeit nimmt weiter zu
Auch viele Unternehmen haben mit der Coronakrise zu kämpfen. Laut Wirtschaftsminister Guy Parmelin haben bis Donnerstag 51'000 Betriebe für rund 656'000 Erwerbstätige aufgrund der Coronakrise Kurzarbeit angemeldet. Das entspricht 13 Prozent der Erwerbstätigen. Der Bundesrat sei sich bewusst, dass weitere Hilfe notwendig ist.

«Auch mit der grössten Wirtschaftshilfe aller Zeiten sind noch nicht alle Probleme gelöst», sagte Parmelin. So gebe es viele Menschen, die arbeiten möchten, dies aber nicht dürften.

Lockerere Regeln für Banken
Zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie setzte der Bundesrat den antizyklischen Kapitalpuffer der Banken ausser Kraft. Da die Banken so weniger Eigenkapital vorhalten müssen, sind sie bei der Kreditvergabe flexibler.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hatte die Deaktivierung des Kapitalpuffers bei der Landesregierung beantragt. Der Schritt kann nach Angaben des Bundesrats erfolgen, weil sich im Zug der drohenden Rezession auch die Überhitzungstendenzen am Schweizer Hypothekar- und Immobilienmarkt abschwächen dürften. (sda)