«Wir wussten, dass sie steigen, wenn wir öffnen. Aber wir haben nicht erwartet, dass sie so früh so stark steigen», sagte Lévy der «NZZ am Sonntag».

Die Pandemie sei noch nicht vorbei, die Situation sei schwierig einzuschätzen. Zum Grund für den relativ starken Wiederanstieg meinte die 50-jährige Berner Chefbeamtin, die Leute seien generell weniger vorsichtig, seit geimpft werde und es kaum mehr Massnahmen gebe.

Am Freitag meldete das BAG für die Schweiz und Liechtenstein innerhalb von 24 Stunden 619 neue Coronavirus-Ansteckungen. Eine Woche davor waren es noch 323 Fälle gewesen.

Derzeit würden sich vor allem jüngere Leute anstecken, erklärte Lévy. Bedrohlich werde es, wenn die Ansteckungen von den Jungen auf Ungeimpfte der älteren Generationen überspringen und somit die Hospitalisationen wieder stark steigen würden.

Covid-Zertifikat für Restaurant-Besuch?
Sollte sich die Lage zuspitzen, wäre laut Lévy eine Ausweitung des Einsatzes der Covid-Zertifikate möglich, etwa auf Besuche in Restaurants. «Das wäre auf jeden Fall besser als erneute Schliessungen», sagte sie.

Sorgen bereiten der BAG-Direktorin die vielen über 50-Jährigen ohne Impfung. «Für sie ist die Wahrscheinlichkeit einer schwereren Erkrankung grösser als bei den Jüngeren.»

Zwei Drittel derjenigen, die sich impfen können, sind Lévy zufolge geimpft. Bei den Risikopersonen sind 85 Prozent mindestens einmal geimpft. Für Lévy noch nicht genug: «Es muss uns gelingen, mehr Menschen zum Impfen zu motivieren.»

Schutzmassnahmen als Normalität
Die BAG-Direktorin warnte vor Leichtfertigkeit im Umgang mit der Pandemie. «Jetzt zu sagen, ‹Anstecken ist o. k., dann ist es vorbei›, wäre leichtsinnig.» Covid-19 könne eine schwere Krankheit sein. Es gebe schwere Verläufe, auch bei jüngeren Menschen. Es gebe die Langzeitfolgen.

Ganz wegbringen wird man das Virus nach Auffassung der BAG-Chefin nicht mehr: «Wir werden eines Tages mit Covid leben lernen.» Dann könnten Schutzmassnahmen zur Normalität werden: «So wie in asiatischen Ländern. Dort ist es selbstverständlich, eine Maske zu tragen, wenn man erkältet ist.»

Berset weniger beunruhigt
Gesundheitsminister Alain Berset beunruhigt die derzeitige wöchentliche Verdoppelung der positiven Corona-Fälle nicht übermässig. Beim Impfen habe man das Anfang dieses Jahres formulierte Ziel schon übertroffen. Mit der Delta-Variante müsse die Rate jedoch wohl höher sein.

Die Zunahme der positiv getesteten Fälle sei «nicht so angenehm», komme aber nicht unerwartet, sagte Berset am Freitagabend im «Echo der Zeit» von Schweizer Radio SRF. Die Situation sei aber im Vergleich zum Sommer 2020 eine gänzlich andere. Fast zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung seinen mindestens einmal geimpft.

Es sei nun aber der Moment, sich doch noch impfen zu lassen. Der Bundesrat setze weiterhin auf Eigenverantwortung und wolle die Menschen überzeugen, «dass das Impfen eine gute Sache ist», sagte Berset. Noch nie seien global so viele Menschen gegen die gleiche Krankheit geimpft worden. Das sei «die sicherste Impfung der Welt». (sda/npa)