«Weitere Schritte sind notwendig.» Das sagte SBB-Chef Andreas Meyer am Montag vor den Medien in Bern höchstpersönlich. Noch könne er «keine grossen Ergebnisse» punkto Pünktlichkeit präsentieren, sondern vorerst nur «bescheidene Massnahmen». Deshalb folgerte er: «Wir werden keine schnelle Besserung haben.»

Die Probleme bei den Bundesbahnen sind vielschichtig: Verzögerungen bei der Inbetriebnahme neuer Züge bei zunehmenden Passagierzahlen, Verspätungen auf den meistbefahrenen Strecken sowie eine angespannte Personalsituation. Meyer sprach von einem «betrieblich und emotional sehr anspruchsvollen Jahr 2019».

Gleichgewicht finden
Zu den strukturellen Herausforderungen kamen ein tödlicher Unfall eines Zugbegleiters, hitzebedingte Probleme sowie Grossanlässe wie das Schwing- und Älplerfest sowie die Fête des Vignerons hinzu. Gelitten darunter hat auch die Kundenpünktlichkeit. Dass diese im Vergleich mit Vorjahren nicht ganz abgesackt sei, bezeichnete SBB-Chef Meyer als «Parforceleistung».

Die betriebliche Situation bleibe auch in den kommenden Monaten und Jahren angespannt. Deshalb wollen die SBB die «Balance finden zwischen fahren und bauen». Unterhaltsarbeiten und Ausbauprojekte sollten besser geplant werden. Wo nötig müssten mehr Reserven bei Personal, Rollmaterial, Anlagen und im Fahrplan geschaffen werden, führte Meyer weiter aus. «Wir sind primär eine Transport- und keine Baufirma.»

Flexiblere Abfahrtszeiten
Erste kleine Massnahmen werden schon zum Fahrplanwechsel im Dezember 2019 umgesetzt. Dabei gehe es um Anpassungen im Minuten- oder gar Sekundenbereich, sagte Meyer. Eingeführt wird punktuell etwa das «First in, first out»-Prinzip. Das heisst: Künftig fährt derjenige Zug zuerst ab, der früher bereit ist. So werde verhindert, dass die Verspätung eines Zuges auf den anderen übertragen wird.

Die Massnahme wird erst einmal im Bahnhof Spiez (BE) eingeführt, wo jeweils zwei Intercity-Züge – einer aus dem Berner Oberland und einer aus dem Wallis – praktisch zeitgleich eintreffen. Heute ist fixiert, dass der Zug aus Interlaken drei Minuten vor der Komposition aus Brig losfährt. Ab dem 15. Dezember soll das flexibler gestaltet werden.

Umsteigen am Flughafen
Als zweite Sofortmassnahme empfehlen die SBB künftig Reisenden zwischen Ostschweiz und Mittelland und umgekehrt, am Flughafen statt am Hauptbahnhof Zürich umzusteigen. Am Flughafen halten die entsprechenden Züge am gleichen Perron, was die Umsteigezeit verkürze und die Anschlüsse zuverlässiger mache, ohne dass der Fahrplan angepasst werden müsse.

Diese Schritte sind die ersten des längerfristig angelegten Programms «Kundenpünktlichkeit 2.0», für welches die SBB auch eine Expertengruppe eingesetzt haben. Zwar sei die Kundenpünktlichkeit in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und im europäischen Vergleich hoch, heisst es vonseiten SBB. «Regional und auf einzelnen Linien ist sie jedoch zeitweise auf einem ungenügenden Niveau.»

Fehlende Lokführer und Züge
Die SBB gaben sich am Montag betont selbstkritisch.«Wir hätten in der Vergangenheit wohl an der einen oder anderen Stelle bremsen sollen», sagte Meyer. Heute seien die SBB in einigen Bereichen am Anschlag.

«Es wurde beispielsweise total unterschätzt, wie viele Lokführer wir brauchen», sagte Meyer. Deshalb stünde heute an Spitzentagen zu wenig Personal zur Verfügung. Zudem hätten die neuen Doppelstockzüge des Typs FV Dosto von Bombardier sechs Jahre Verspätung. «Das schleckt keine Geiss weg», sagte Meyer.

Kunden sollen mitentscheiden
Schliesslich sind die SBB auch Opfer des eigenen Erfolgs: Im ersten Halbjahr 2019 haben die Passagierzahlen im Personenverkehr um 7 Prozent zugenommen. Trotz dieser Herausforderungen bleibe es das Ziel, die Kundenpünktlichkeit auf dem heutigen Niveau zu halten oder sogar zu erhöhen, schreiben die SBB.

Ins Boot geholt werden sollen auch die Kunden. Sie sollen zu verschiedenen Optionen Stellung nehmen können. Möglich ist laut den SBB etwa, einzelne Halte für bestimmte Zugkategorien aufzuheben werden, «sofern die Reisekette mit anderen Zügen oder Angeboten gewährleistet ist».

Push-Meldung bei Verspätungen
Nach Ansicht der SBB sollen die Infrastrukturbetreiberinnen ihre Baustellen künftig zudem früher verbindlich ankündigen; für die Eisenbahnverkehrsunternehmen soll eine Einsprachemöglichkeit geschaffen werden.

Weitergehende betriebliche Änderungen sind bald zu erwarten. Dazu gehört auch der Ausbau der Kundeninformation über die SBB-App. Geplant ist etwa ein Push-Alarm im Fall von Störungen. Erste Ergebnisse sollen im März 2020 vorliegen. (sda)