Am Canada Place inmitten der Innenstadt von Vancouver gehen jeden Tag Hunderte Kreuzfahrt-Passagiere an Land. Das Terminal ist das Tor zu einer Stadt, welche den Ruf als Vorzeigemetropole auf dem nordamerikanischen Kontinent geniesst. Eingebettet zwischen Pazifik und Rocky Mountains, ist Vancouver gesegnet mit stadtnahen Naturwundern. Die öffentliche Infrastruktur wurde im Zuge der Olympischen Spiele 2010 massiv aufgewertet, und im «Global Liveability Index» belegt die Stadt regelmässig einen der vordersten Plätze.

Highlight
Vancouver ist ein Schmelztiegel der Kulturen, was sich auch im gastronomischen Angebot widerspiegelt.

Missing
Die Wohn- und Lebenskosten in Kanada, speziell in Vancouver, sind in den letzten Jahren massiv angestiegen.

Aufgefallen
Das öffentliche Nahverkehrssystem ist top und funktioniert unkompliziert mit «Tap & Pay» via Kreditkarte.

Umso schockierender, was sich trotz aller Vorschusslorbeeren auf den Strassen der Innenstadt abspielt: Vancouver hat ein massives Drogen- und Obdachlosenproblem. Man braucht vom mondänen Canada Place keine zwei Blocks in eine beliebige Richtung zu spazieren, um die Tragik der Situation zu erfassen. Verwahrloste Menschen irren planlos durch die Strassen. Oft in einem tragischen Zustand, der kaum mehr einen Funken Leben verspricht. Sie gehören mittlerweile zum gewohnten Stadtbild. Das Epizentrum dieser Entwicklung liegt unmittelbar neben dem bei Touristen beliebten Stadtteil Gastown, direkt in der Innenstadt.

Auf Hunderten Metern Länge ist das Trottoir komplett mit Zelten, Kartonbehausungen und Schlafsäcken zugepflastert. Dazwischen liegen überall Menschen, deren physischer und mentaler Zustand kaum zu beschreiben ist. Aktuellen Schätzungen zufolge leben bis zu 5000 Obdachlose alleine in Downtown Vancouver. Im Januar 2023 verzeichnete die Region erschreckende 128 Todesfälle als direkte Folge einer Überdosis.

Wir haben Daressalam, Delhi oder Cebu gesehen. Die Tragödie, die sich in Vancouver abspielt, lässt uns sprachlos zurück.

Da unsere Buslinie direkt durch die Zeltstadt führt, werden wir fast täglich mit dieser traurigen Realität konfrontiert.Im Gespräch mit Einheimischen zeigt sich, dass die Situation niemanden mehr kaltlässt. Während die einen von einem «beschämenden Zustand» der Stadt sprechen, prangern die anderen fehlende Hilfe für die Abhängigen an. Offensichtlich ist, dass die liberale Politik der Stadtregierung gänzlich versagt. In den letzten Jahren wurde nicht nur der Besitz von Drogen legalisiert. Die Stadt begann gar damit, kostenlos Heroin an Süchtige abzugeben. Dadurch geriet die Situation völlig ausser Kontrolle. Vancouver wurde zum Mekka für Abhängige aus ganz Kanada.

Einschneidend ist der Effekt für das lokale Gewerbe. Dadurch, dass die Strassenbehausungen immer weiter wachsen, liegen Top-Restaurants, Pop-ups oder Hotels plötzlich in einer Art «No Go»-Zone. Gleiches gilt für Vancouvers Chinatown, ein ehemaliger Touristenmagnet. Verzweifelte Restaurantbesitzer sprechen offen von einer vernichtenden Situation und einem beispiellosen Anstieg der Kriminalität.

Am Tag bevor ich diese Zeilen schreibe, finde ich in unserem Hauseingang eine junge Frau, die sich eine Spritze setzt und dann kopfüber in ihren Rucksack fällt – in Mount Pleasant, einem Quartier fernab der Innenstadt. Es wirkt für mich wie ein Hohn, dass der Bürgermeister in der Öffentlichkeit vehement negiert, dass Vancouver ein soziales Problem habe. Wir haben Städte wie Daressalam, Delhi oder Cebu gesehen, welche mit erheblichen sozialen und ökonomischen Problemen zu kämpfen haben. Die offensichtliche Tragödie, die sich in Vancouvers Strassen abspielt, lässt uns jedoch sprachlos zurück.

[IMG 2] Gemeinsam mit seiner Partnerin Lena-Maria Weber reist Patric Schönberg mit dem Rucksack für ein Jahr um die Welt. Der ehemalige Leiter Kommunikation von HotellerieSuisse berichtet aus seiner persönlichen Perspektive über Dinge, die auffallend anders sind als bei uns. Interessierte können die gesamte Reise auf Instagram unter @losnescos mitverfolgen.