Die 36-jährige Physikerin beleuchtet zusammen mit ihrem Geschäftspartner, dem Informatik-Ingenieur Remo Gisi, Lebensmittel nach ihrem ökologischen Fussabdruck, vermittelt dieses Wissen spielerisch und zeigt kochend neue Wege auf, wie wir nachhaltiger essen und geniessen können.

Sie haben soeben einen Event zum Thema Nachhaltigkeit in Laax mit Content und Catering bespielt. Wie kamen Sie auf das Thema, und wie gehen Sie da vor?

Mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen wir uns seit unserer vierten Teilnahme am World Economic Forum (WEF) in Davos im Januar 2020 intensiv. Wir begleiteten jeweils die ETH und waren für die thematische kulinarischen Umrahmung zuständig. Bei der Nachhaltigkeit geht es uns darum, die unglaubliche Datenfülle, die einen als Konsumenten völlig überfordern kann, in eine reduzierte Form zu bringen. So haben wir einerseits ein Nachhaltigkeitsquartett entwickelt, das den ökologischen Fussabdruck – von C02-Emissionen über Landnutzung und Wasserverbrauch bis hin zur Tierfreundlichkeit – von 20 klassischen Lebensmitteln aufzeigt, andererseits reichern wir das Catering mit Illustrationen, Infografiken und Installationen zum Thema an. Und dann kochen wir noch. Auf rein pflanzlicher Basis.

Wie kam es dazu?

Fürs letzte WEF sind wir als logische Folge unserer Researches auf eine pflanzenbasierte Küche umgestiegen und sind dabei geblieben. Wir möchten aufzeigen, welche Möglichkeiten das Kochen mit Pflanzen bietet. Denn vegan ist nicht gleichbedeutend mit langweiligen Salaten und faden Tofugerichten. Es ist fantastisch, wie viele Möglichkeiten sich bieten, wenn man neue Gerichte kreiert und neue Produkte testet. Man muss dabei vom klassischen Menüdesign wegkommen.

Kürzlich hat eine Studie des WWF für Schlagzeilen gesorgt. Vegane Ernährung verursache den grössten Wasserverbrauch, hiess es in den Medien.

Ich finde es immer wieder faszinierend, wie emotional aufgeladen das Thema vegane Ernährung ist. Es zeigt jedoch auch den Wunsch der Konsumentinnen und Konsumenten nach klaren Modellen und Richtlinien auf.

Zur Person
Die ETH-Astrophysikerin Sue Tobler hängte 2014 ihren Job als Versicherungsmathematikerin an den Nagel, um sich ganz ihren Leidenschaften Kulinarik, Forschung und Catering zu widmen. Zusammen mit ihrem Geschäftspartner, dem Informatik-Ingenieur Remo Gisi, hat sie sich mit dem Unternehmen Tastelab mit Caterings & Content, Pop-ups, Restaurantzwischennutzungen und Beratungen einen Namen gemacht. Zudem begleitete das ETH-Spin-off die ETH Zürich viermal ans World Economic Forum (WEF) in Davos und war dort für das gastronomische Angebot zuständig, jeweils unterlegt mit wissenschaftlich fundiertem Content. Sue Tobler lebt mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Partner in Zürich. bbe
tastelab.ch

Wie ist es denn nun um den Wasserverbraucht bestellt?

Was aus der WWF-Studie herausgelesen wurde, ist faktisch richtig, allerdings dürfen die zugrunde liegenden Annahmen nicht überlesen werden. Die Aussage, dass ein veganer Ernährungsstil in gewissen Regionen Probleme mit dem Wasserhaushalt verursachen kann, ist nur deshalb korrekt, weil ein grosser Anteil an Ackerland, das nicht auf Bewässerung angewiesen ist, für tierisches Futter eingesetzt wird. Gleichzeitig gilt auch: Ein veganes Lebensmittel schneidet nicht automatisch in allen Disziplinen gut ab. Gerade bei kalifornischen Mandeln besteht Handlungsbedarf. Der Impact und der absolute Wasserverbrauch von Kuhmilch sind im Vergleich jedoch immer noch höher. Ich glaube, es ist ganz wichtig, einzugestehen, dass die Beurteilung von Lebensmitteln nach ihrem ökologischen Fussabdruck sehr komplex und mehrdimensional ist.

Schneiden also pflanzliche Lebensmittel insgesamt doch besser ab?

Wir stützen unsere Forschung auf eine Studie, die ein ETH-Agronom und ein Oxford-Forscher 2018 herausgaben. Unter Einbezug dieser Daten und Fakten können wir sagen: Der Verzicht auf Produkte tierischer Herkunft, also Fleisch, Fisch, aber auch Eier und Milchprodukte, ist gut für die Umwelt.

Welcher Verzicht bringt am meisten?

Der grösste Hebel ist mit Abstand Fleisch und dessen konsumierte Menge. Die aktuelle Empfehlung der «Planetary Health Diet» der EAT-Lancet-Kommission liegt heute bei 40 Gramm pro Person und Tag. Für Leute, die gerne Fleisch essen, ist das eine verschwindend kleine Menge. Doch die Zahlen belegen es schwarz auf weiss, wir werden nicht darum herumkommen, unseren Fleischkonsum zu reduzieren. Das heisst nicht, dass wir uns in Zukunft alle vegan ernähren müssen. Aber weniger ist deutlich mehr. Auch Nachhaltigkeitssteuern auf Lebensmittel könnten durchaus ein interessanter Ansatz sein. Wie man dies politisch umsetzen könnte, ist eine andere Frage.

«Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung ist nicht nur an Verzicht gekoppelt, sondern bietet ganz viel Genuss.»

Sie haben den hohen ökologischen Impact von Milchprodukten angesprochen. Eine äusserst emotionale Angelegenheit für die Schweiz.

Essen und Kochen sind Kultur und Tradition. Man kann das Thema selten faktisch anschauen. Rasch werden Argumente wie der Verlust von Kulturlandschaft in den Alpen aufgeführt. Dass es auch andere Möglichkeiten geben könnte, wird gar nicht erst in Erwägung gezogen. Für mich als Wissenschaftlerin muten solche emotional aufgeladenen Diskurse eigenartig an.

Sie schauen auch in die Zukunft. Wie werden wir uns 2050 ernähren?

2050 werden wir zurückschauen und es absurd finden, was wir 2021 gegessen haben. Gerade auch in Bezug auf unseren Fleischkonsum.

Pflanzliche Ernährung ist noch eine Randerscheinung. Wie kann man die grosse Masse mobilisieren?

Es geht darum, dass wir den Fokus ändern. Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung ist nicht nur an Verzicht gekoppelt, sondern bietet ganz viel Geschmack, Geschmäcker und Genuss.

«2050 werden wir zurückschauen und es absurd finden, was wir 2021 gegessen haben.»

Kommen wir nochmals auf das Menüdesign zurück. Was gibt es für Alternativen zum klassischen Aufbau?

Wir müssen uns komplett davon lösen und eine neue Abfolge erfinden. In unserer Küche verzichten wir komplett auf Replacements. Viele Leute jedoch, auch Gastronomen, gehen noch davon aus, dass die vegane Küche mit Ersatzprodukten arbeitet. Also ganz klassisch auf Beilage und Ersatzprodukt setzt anstelle von Fleisch oder Fisch. Nichts gegen Ersatzprodukte, die haben durchaus ihre Berechtigung. Aber es ist schade, denn mit der pflanzlichen Küche kann man viel mehr bieten. Dass es auch anders geht, habe ich jüngst in einem Zürcher Restaurant gesehen. Da gab es zum Lunch neben zwei Gerichten mit Fleisch vier vegetarische und drei vegane. Und keines dieser Gerichte klang nach einer Verlegenheitslösung. Ebenfalls eine Glaubenssache ist die neue Ausrichtung von Spitzenkoch Daniel Humm. Seit diesem Sommer kocht der Schweizer in seinem «Eleven Madison Park» in New York auf rein pflanzlicher Basis.

Gute Beispiele gibt es also, wie kann jedoch ein Umdenken stattfinden, dass vegane Gäste nicht einfach mühsame Gäste sind?

Es gilt, vom Müssen zum Wollen zu kommen. Denn es kann Spass machen, vegane Gerichte zu entwickeln. Zudem kann man sich mit einem kreativen Angebot abheben. Hier müssen die Gastronomie und wir als Gesellschaft einen Weg finden, damit die pflanzliche Küche Teil unserer Kultur wird.

Dazu beitragen wird vielleicht demnächst Ihr neues App-Projekt. Sie sind mit Ihrem Geschäftspartner Remo Gisi daran, eine App – neben den bereits existierenden Apps Tastelab und Useful Units – zu entwickeln, die helfen will, die pflanzliche Küche zu etablieren. Wie wird diese App funktionieren?

Unsere Idee besteht darin, dass wir eine App entwickeln, die Rezepte veganisieren kann. Das heisst, die User werden ein Rezept fotografieren können, sagen wir mal Grosis Schoggikuchen. Und dann liefert die App ein passendes veganes Rezept. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe, die wir im Vergleich zu unseren beiden ersten Apps nicht mehr alleine umsetzen können. Wir werden eine riesige Datenbank an klassischen Rezepten und an veganen Rezepten anlegen. Begleitend zum Rezept soll auch die Verminderung des CO2-Impacts aufgeführt werden. Eine grosse Herausforderung wird sein, dass der Schoggikuchen am Schluss wirklich schmeckt. Sonst taugen auch die besten Algorithmen nichts.

Am Freitag, 24. September, um 18.30 Uhr sind Sue Tobler und Remo Gisi zu Gast im Zentrum Karl der Grosse in Zürich im Rahmen von Food Zurich.