Corinne Denzler, was beschäftigt derzeit die Luxushotellerie?

Es sind die klassischen Themen. Die Veränderung der Gesellschaft: Man reist öfter, aber weniger lang, und plant sehr kurzfristig. Die hochpreisige Schweiz gegenüber der globalen Konkurrenz. Es fehlt an Fachkräften und Nachwuchs. Die primäre Herausforderung liegt nicht darin, die Luxushotels zu füllen, sondern darin, sie zum richtigen Preis zu füllen.

Sie haben im «Tschuggen» und «Eden Roc» viele treue Stammgäste. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Tatsächlich machen sie rund 50 Prozent aus und viele davon verbringen bei uns sogar die Sommerferien in Ascona und den Winter in Arosa. Stammgäste wollen erkannt werden. Sie schätzen den individuellen Service genauso wie die persönlichen Beziehungen zum Direktor und dem Stammpersonal. Auch dass die Besitzerfamilie selbst oft präsent ist, kommt bei den Gästen gut an.

Corinne Denzler (53) ist seit über dreissig Jahren im Tourismus tätig. Seit 2007 ist sie CEO der Tschuggen Hotel Group und rechte Hand der Eigentümer. Denzler stiess 2005 zum Unternehmen, zunächst als Spa Director. Seit 2012 sitzt Denzler zudem im Vorstand von Graubünden Ferien und seit 2015 ist sie Vizepräsidentin des Vereins Schweizer Jugendherbergen. Mit ihrem Partner wohnt sie in Ascona und zählt zu ihren Hobbys Wandern, Biken, Skifahren und Langlaufen. Sie hat ein Faible für Kreuzfahrtschiffe und reist nie zweimal an den gleichen Ort.

Massgeschneiderte Dienstleistungen sind das A und O. Wird das mit der kulturellen Vielfalt nicht ein Ding der Unmöglichkeit?

Die Herausforderung ist gross. Denn nicht nur der Direktor und sein Stellvertreter müssen die kulturellen Besonderheiten und deren Knigge-Regeln kennen, sondern das gesamte Frontpersonal. Gibt man die Hand oder nicht? Hat der Mann oder die Frau Vortritt? Darf eine Serviceangestellte in ein Zimmer, in dem nur arabische Männer sind? Hinzu kommt, dass andere Kulturen manchmal harsch mit Bediensteten sprechen, weil es dort üblich ist. Das dürfen die Mitarbeiter nicht persönlich nehmen. Aber es gibt auch viel Spannendes.

Zum Beispiel?

Unsere Mitarbeiter lernen andere Kulturen kennen. Statt der täglichen Routine wird der Arbeitstag plötzlich ungewöhnlich. Beispielsweise wenn die arabische Delegation erst um 24 Uhr zu Abend isst. Manche Gäste kommen mit unzähligen Koffern, manche mit faszinierenden Gewändern. Darüber kann man berichten.

Seit diesem Jahr ist Airbnb ins Luxussegment eingestiegen – in der Schweiz mit rund 40 Angeboten. Fürchten Sie die Konkurrenz?

Im Luxusmarkt nimmt die Vermietungsplattform noch nicht viel vom Markt weg. Ich bin aber skeptisch, ob wir je wieder die absoluten Topzahlen vor zehn und mehr Jahren erreichen werden. Die Margen sind durch Booking, OTAs und generell höhere Kosten eingebrochen. Trotzdem glaube ich an die Schweizer Luxushotellerie.

Wie lösen Sie das Kostenproblem?

Wir kalkulieren unsere Angebote genau. Das «Carlton» in St. Moritz ist nur vier Monate im Jahr geöffnet und unser Gourmetrestaurant in Ascona nur noch fünf statt sieben Tage. Der Gast akzeptiert das, da er mehrere Restaurants zur Auswahl hat. Auch optimieren wir die Saison, indem die Mitarbeiter gestaffelt beginnen und aufhören. Wir nutzen die Synergien innerhalb der Gruppe, kaufen zum Beispiel Tischwäsche, Waschmittel, haltbare Lebensmittel und anderes zentral ein, was zu Rabatten führt. Der Gast darf nichts von Sparmassnahmen spüren, alles andere wäre fatal im Luxusbereich. In der Administration und beim Marketing profitieren wir von der Gruppe und wir verschieben auch unsere gut ausgebildeten Mitarbeiter von Ascona im Winter nach St. Moritz oder Arosa. Das erspart uns hohe Rekrutierungskosten.

Wo beginnt beim Luxus die Dekadenz?

Wenn man aus Prinzip nur das Teuerste von der Speisekarte bestellt, die Schüsseln prall mit Kaviar füllt und zu jeder Zeit nur das Beste und Feinste in grossen Mengen will. Wenn ich sehe, wie manche Leute ihren Brunchteller mit Langusten und Delikatessen überladen, nur um zeigen, dass sie die Ersten am Buffet waren, und die Hälfte dann stehen lassen, dann schmerzt mich das. In Sachen Foodwaste bin ich sehr sensibel geworden.

Müssen Sie das wortlos akzeptieren?

Die Gäste können wir nicht erziehen. Aber wir machen mit den luxuriösen Dingen kleinere Platten und bringen dafür alle zehn Minuten eine neue. Ich glaube an die Selbstregulierung im Essensbereich. Die Medien berichten oft über das Thema Foodwaste und auch das Bewusstsein der Gäste wächst. Irgendwann ist man der Aussenseiter, wenn man seinen Teller überfüllt. Dekadent finde ich aber auch, wenn ein Gast einen Heliflug von Arosa nach Zermatt macht, bloss um dort einen Kaffee trinken zu gehen.

Im Ausland gibt es Fünf-Sterne-Häuser, die sich erfolgreich als Eco-Betriebe positionieren konnten. Ein Ziel für Sie?

Absolut. In Sachen Nachhaltigkeit haben wir mit dem Hotel Valsana einen Leuchtturm realisiert. Jetzt kommen die anderen Häuser dran. In jedem Hotel laufen Energieoptimierungsprojekte, insbesondere um fossile Brennstoffe zu reduzieren. Auch können unsere Gäste künftig den CO²-Verbrauch ihrer Anreise kompensieren, und zwar unkompliziert während des Buchungsprozesses. Auch wir selbst wollen den CO²-Ausstoss unserer Hotels künftig kompensieren. Gleichzeitig schulen und sensibilisieren wir unsere Mitarbeiter intensiv für Umweltthemen.

In der Luxushotellerie hat es besonders wenig Frauen. Wie stehen Sie zur Frauenquote?

Eigentlich ungern, aber ich bin dafür. Anders kommen wir nicht vorwärts. Gewisse politische Kreise sind für eine befristete Frauenquote von zehn Jahren, das wäre ein guter Deal.

Als Vorstandsmitglied von Graubünden Ferien wählten Sie vor drei Jahren jedoch den aussenstehenden Martin Vincenz anstelle der internen Kronfavoritin Myriam Keller.

Das war keine Mann-Frau-Diskussion. Zu jenem Zeitpunkt ging es darum, die passendste und kompetenteste Persönlichkeit für diese Position zu finden. Martin Vincenz hat die Kriterien am besten erfüllt.

Auch Ihre fünf Häuser werden von Männern geführt. Sind Sie bereit, Ihre Frauenquote die nächsten Jahre anzuwenden?

Wenn ich gleichwertige Bewerbungen auf dem Tisch habe, auf jeden Fall. Leider gab es diese Situation bislang noch nicht, Frauen sind bei Ausschreibungen einer Direktorenstelle noch stark in der Minderheit.

Auf was achten Sie bei der Auswahl?

Der erste Eindruck muss sympathisch und gewinnend sein. Die Person soll eine natürliche Autorität, Freude an der Arbeit haben und Mitarbeiter motivieren können. Humor und eine gewisse Lockerheit sind mir ebenfalls wichtig, Steifheit und Unterwürfigkeit hingegen mag ich weniger. Natürlich muss auch der fachliche Rucksack vorhanden sein. Bei der Rekrutierung einer Direktionsstelle ist auch die Besitzerfamilie involviert.

Sprechen wir über Ihr Engagement bei den Schweizer Jugendherbergen. Wie passt das zu Ihrem Hauptsegment?

Im Jugi-Vorstand hat es verschiedene Branchenvertreter. Es gibt Juristen, Banker, Mitarbeiter- und Immobilienvertreter. Zusammen mit zwei anderen bringe ich das Hospitality-Know-how ein. Auch hier geht es darum, möglichst viele Gäste zu einem guten Preis übernachten zu lassen und sie zufrieden zu machen. Die Themen an den Sitzungen sind die gleichen. Man redet über die OTAs, den Euro, das veränderte Reiseverhalten, neue Wege im Verkauf und neue Projekte. Den heutigen Gast kann man sowieso nicht kategorisieren. Heute übernachtet er im Luxushotel, morgen in einer Jugi, mal macht er Airbnb und dann Glamping.

Reagieren die Jugis schneller auf Gästebedürfnisse und den gesellschaftlichen Wandel als die altehrwürdigen Luxushäuser?

Das kann ich nicht bestätigen. Die Luxushotellerie kann es sich nicht leisten, träge zu sein. Sicher, bei den Themen Ökologie und Nachhaltigkeit waren die Jugis schneller.

Eines Ihrer ersten Projekte bei der Gruppe war die Tschuggen Bergoase. Die Zusammenarbeit mit Stararchitekt Mario Botta stelle ich mir nicht einfach vor.

Ich gestehe, in den drei Jahren Bauzeit habe ich oft gedacht, warum wir nicht einfach mit einem unbekannten Architekten zusammenarbeiteten. Zum Beispiel wollte Herr Botta keine Kleiderhaken neben der Saunatüre, er wollte sie auf der anderen Seite des Raumes – aus ästhetischen Gründen. Es gab zig solche Diskussionen. Botta war nie zuvor in einem Wellnessbereich gewesen und mit mir wollte er keinen besichtigen gehen.

Trotzdem wurde der Spa pünktlich ­eröffnet. Was führte zum Erfolg?

Das gute Team aus Bauleitung, Architekt und Hotelvertreter. Jeder beharrte auf seinem Standpunkt. Ich behielt die Themen Funktionalität, Gastwunsch, Reinigung, Abläufe, Terminplan und Kosten im Auge. Zudem war ich immer auf der Baustelle, an Planungssitzungen, zum Beispiel an Sitzungen mit Sanitärleuten. Ich war wohl der Albtraum für viele Handwerker (lacht). Tatsächlich war ich extrem tief in der Materie drin. Aber deshalb haben wir heute weniger Ärger im Alltag und die Haken am richtigen Ort. Zum effektiven Erfolg führte schliesslich der Name Botta. Je näher die Eröffnung rückte, erhielten wir Buchungen aus Japan, Peru, aus der ganzen Welt. Das hätte ich nie gedacht.

Mit welchen Neuheiten wollen Sie die Gäste als Nächstes überraschen?

Im «Eden Roc» renovieren wir zwei Etagen, das sind insgesamt 20 Zimmer und Suiten. Wir werden zudem im kommenden Frühjahr in Ascona die Liegenschaft des Museums Epper in unsere Hotelanlage integrieren. Und wir passen das eine oder andere Restaurantkonzept an.

Die Tschuggen Hotel Group gilt als führende Luxushotelgruppe der Schweiz. Die Hotelbetriebs-Aktiengesellschaft mit Sitz in Arosa gehört der Familie Kipp-Bechtolsheimer. Zur Gruppe gehören das Tschuggen Grand Hotel und das Valsana Hotel & Appartements in Arosa, das Carlton Hotel in St. Moritz sowie das Hotel Eden Roc und das Albergo Carcani in Ascona. Die Tschuggen Hotel Group verfügt über 12 Restaurants, beschäftigt im Winter rund 490 und im Sommer 370 Mitarbeitende sowie 25 Lernende.