Auch anderthalb Wochen nach dem Insolvenzantrag von Thomas Cook ist das gesamte Ausmass der Pleite des weltweit zweitgrössten Reiseunternehmers noch nicht absehbar. Unklar ist auch, wie stark die Schweizer Hotellerie von der Pleite betroffen ist. Wüste Szenen wie in einigen Mittelmeerdestinationen, wo Gäste offenbar gezwungen wurden, geplatzte Hotelrechnungen vor Ort aus eigener Tasche zu begleichen, gab es in der Schweiz laut Schweiz Tourismus keine. Finanziell halte sich der Schaden für Schweizer Hotels im Rahmen, glaubt Urs Eberhard, Leiter Märkte. «Die Hochsommerbuchungen sind wahrscheinlich schon bezahlt.» Eberhard schätzt das durch Thomas Cook in der Schweiz generierte Buchungsvolumen auf 5000 bis 6000 Buchungen pro Jahr, beziehungsweise 40'000 bis 50'000 Übernachtungen. Insgesamt sind 40 Hotels von Zahlungsausfällen betroffen, «gleichmässig verteilt über die Ferienregionen in der ganzen Schweiz», so Mediensprecher Markus Berger. Was die Herkunftsmärkte angeht, seien Gäste aus Deutschland mit Abstand am stärksten betroffen, aufgrund der Insolvenz der Cook-Tochter Neckermann. An zweiter Stelle stehen die Gäste aus dem Vereinigten Königreich. Trotzdem: «Der Ist-Effekt ist relativ klein», so Markus Berger.

Einzelne Hotels mit hohen Zahlungsausfällen
Relativ glimpflich davongekommen ist Bettina Zinnert, Geschäftsführerin der Wengen Classic Hotels. Die beiden Hotels Belvédère und Silberhorn bleiben wegen der Thomas-Cook- Pleite auf offenen Rechnungen von insgesamt 3000 Franken sitzen. «Im Sommer bringt Thomas Cook unseren Hotels nicht so viele Gäste. Im Winter wäre die Summe wesentlich höher gewesen», so Zinnert. Im Geschäftsjahr 2019 brachte der insolvente Reiseveranstalter den beiden Hotels 162 Anreisen beziehungsweise 2108 Logiernächte. Der durch Thomas Cook generierte Umsatz habe bei 250 000 Franken pro Jahr gelegen.

Doch es gibt durchaus auch Hotels, denen ein weitaus grösserer Schaden entstanden ist. Beispielsweise dem Hotel Panorama in Hasliberg (BE), das 19'000 Franken abschreiben muss, zurückzuführen auf 25 Thomas-Cook-Buchungen. «Das tut unter dem Strich sehr weh», sagt Gastgeber Panos Perreten. Noch schlimmer hat es einen Bündner Hotelier getroffen, der lieber anonym bleiben möchte. Er bestätigt gegenüber unserer Zeitung offene Rechnungen von 100'000 Franken. Hinzu kämen noch die Kosten verschiedener Lieferanten. Durch die Insolvenz von Thomas Cook habe er für ein Drittel der Übernachtungen in den Monaten August und September kein Geld erhalten. Dem Reiseveranstalter wirft er «Veruntreuung» der Gelder vor. «Nach 30 Jahren guter Zusammenarbeit ist das enttäuschend. Wir haben die Leistungen voll erbracht und jetzt stehen wir dumm da. Das ist eine bittere Pille.»

Bemühungen um die geprellten Wintergäste
Die Pleite hat auch Folgen für den bevorstehenden Winter. Wie viele Buchungen storniert wurden, liess sich nicht eruieren. Sicher ist jedoch: Betroffen sind nicht nur Buchungen, welche direkt via Thomas Cook eingegangen sind. Viele Thomas-Cook-Buchungen wurden über Dritte getätigt, zum Beispiel über das österreichische Tourismusunternehmen Eurotours. «Bei denen haben wir ein grosses Kontingent. Im Winter verlieren wir sehr viele Buchungen, die Eurotours stornieren musste», so Perreten.

Rechtshilfe für die betroffenen Hotels
Ob und wie Hoteliers für unvergütete Leistungen entschädigt werden, wird gegenwärtig noch abgeklärt. Hoteliers können versuchen, Rückforderungsansprüche bei den zuständigen Insolvenzverwaltern anzumelden. Hilfe bietet unter Umständen auch die von der Zurich beauftragte Kaera AG.
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Urs Eberhard empfiehlt den Hotels, die betroffenen Gäste zu kontaktieren und sie zu einer Direktbuchung zu animieren. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, da die Hotels von Neukunden, die über einen Tour Operator gebucht haben, kaum Informationen besitzen. Laut Darstellung verschiedener Hoteliers sind es glücklicherweise die Gäste, welche von sich aus den Kontakt mit dem Hotel suchen. «Die Gäste kommen auf uns zu und wollen wissen, was jetzt mit ihrer Buchung passiert», so der anonyme Bündner Gastgeber. Als Hotelier müsse er dann den Gästen die schlechten Neuigkeiten beibringen. «Nach anfänglichem Schock ist das Verständnis bei den Gästen jedoch da.» Er unterbreite den Gästen anschliessend ein neues Angebot, welches die meisten auch akzeptierten. Panos Perreten und Bettina Zinnert berichten ebenfalls von individuellen Lösungen mit Gästen. «Das wird uns das Wintergeschäft nicht vermiesen. Der Gast will trotz allem in die Ferien», ist Perreten überzeugt. «Der Anbieter fällt weg, die Gäste nicht», bringt es Markus Berger auf den Punkt.


Rechtslage: Thomas-Cook-Buchungen für den Winter sind vorläufig noch gültig
Reisen der von der Pleite betroffenen Thomas Cook-Veranstalter mit Abreisedatum bis einschliesslich 31. Oktober 2019 dürfen aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht angetreten werden. Hotels sind bis zu diesem Datum deshalb auch nicht verpflichtet, Gästeleistungen zu erbringen, selbst wenn die Gäste die Reise beim Tour Operator bereits teilweise oder vollumfänglich bezahlt haben.
Für Rückforderungen von bereits erbrachten Gästeleistungen können sich Hotels laut Thomas Cook an die zuständige Zurich Versicherung wenden. Bis zu 50 Prozent der entgangenen Vergütungen erhalten sie zurück.
Noch unklar ist die Rechtslage dagegen für Reisen ab dem 1. November 2019. Thomas Cook prüfe in Abstimmung mit der Insolvenzversicherung die weitere Vorgehensweise. Gemäss Reiserechtsexperten können Hotels Thomas-Cook-Buchungen nicht einfach ignorieren. Aktuell hätten die Verträge trotz Insolvenz Bestand. Hotels seien vorleistungspflichtig und dürften Gäste nicht abweisen. Da allerdings absehbar sei, dass Thomas Cook die Hotels für ihre zukünftigen Leistungen nicht wird vergüten können, könnten Hotels laut Schweizer Obligationenrecht vom Vertragspartner (Thomas Cook) eine Sicherstellung der zukünftigen Zahlungen verlangen. Könne diese innert nützlicher Frist nicht gegeben werden, dürfe das Hotel die Buchung gegenüber Thomas Cook stornieren.

patrick timmann