Der menschliche Faktor ist in der Beherbergungsbranche von zentraler Bedeutung. Paradoxerweise – oder gerade deshalb – hat diese Branche mit dem weitverbreiteten Tabuthema der sexuellen Belästigung besonders zu kämpfen (das heisst mit allen Äusserungen oder Handlungen sexueller Art oder anderen auf das Geschlecht einer Person bezogenen Verhaltensweisen, welche die betroffene Person nicht wünscht und die ihr Wohlbefinden beeinträchtigen).

Die Interaktion mit den Gästen zeichnet sich durch Nähe und individuell abgestimmten Service aus. In einem solchen Umfeld werden unangemessene Verhaltensweisen manchmal ignoriert. Darüber hinaus können die befristeten und oft teilzeitlichen Beschäftigungsverhältnisse in der Beherbergungsbranche zu unausgewogenen Machtverhältnissen führen (bei Belästigung geht es um Machtmissbrauch). Dies macht die Mitarbeitenden verwundbar. Nach Ansicht von Hospitality-Auszubildenden und -Beschäftigten zählt sexuelle Belästigung zu den häufigsten Problemen der Branche. Generell sind vor allem Frauen betroffen. Es hat sich gezeigt, dass 54 bis 81 Prozent der weiblichen Beschäftigten von Kollegen und Gästen in irgendeiner Form sexuell belästigt werden. 

Eine fürsorgliche Unternehmenskultur kann Belästigungen aktiv verhindern und bekämpfen.

Die negativen Auswirkungen von sexueller Belästigung sind hinreichend belegt: seelische Belastung, Angstzustände und Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit. Sie stellen eines der grössten Hindernisse für den beruflichen Erfolg und die persönliche Zufriedenheit von Frauen dar. Zudem zieht sexuelle Belästigung eine höhere Personalfluktuation sowie Gerichtsverfahren und Sanktionen nach sich. Trotz der nachteiligen Folgen geht die Branche die Prävention von sexuellen Belästigungen nur unzureichend an, da die Vorfälle häufig nicht gemeldet werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Angst vor Schuldzuweisungen und Vergeltungsmassnahmen, unangemessener Umgang mit den Vorfällen, fehlende Whistleblowing-Mechanismen und eine toxische Unternehmenskultur.

Das betriebliche Umfeld spielt eine entscheidende Rolle. Die Unternehmenskultur sollte die Betroffenen dabei unterstützen, den Mut aufzubringen, bestehende Meldeverfahren, vertrauliche Kanäle und Beratungsdienste zu nutzen. Auch die Führungskräfte können wesentlich zur Gestaltung dieser Kultur sowie zur Formulierung angemessener organisatorischer Verhaltensnormen beitragen. Durch die Förderung einer fürsorglichen Unternehmenskultur können Hospitality-Betriebe Belästigungen aktiv verhindern und bekämpfen. Dies wird erreicht durch Bewusstseinsbildung, Schulungen zur Bekämpfung von Belästigung und zur Intervention von Unbeteiligten, durch Massnahmen zur Unterstützung der Betroffenen, durch die Sicherstellung der Verantwortlichkeit der Täter, durch verstärkte Überwachung sowie aktives Eingreifen, wo immer nötig. Es braucht dafür den Mut, Mitarbeitende und Gäste zu diesem Thema fortzubilden und die Denk- und Verhaltensweisen von einer rein gästeorientierten hin zu einer menschenzentrierten Haltung zu ändern.

Dr. Sowon Kim ist Ausserordentliche Professorin an der EHL Hospitality Business School.