Die Klimajugend von heute kann sich ein Stückchen abschneiden vom Eifer, mit dem die Schweizer Hotel-Revue, so der damalige Name dieser Zeitung, in den frühen 1910er-Jahren gegen Benzinschleudern anschrieb. In seiner Heimat, meinte etwa ein Korrespondent aus Tirol, seien rund 2000 von insgesamt 3400 Wirten und Hoteliers veritable Autohasser, die sich «jedes am liebsten dorthin wünschen, wo Heulen und Zähneknirschen herrscht». Sie fürchteten, das Automobil vertreibe durch «Staub und Gestank, durch Lärm und Unsicherheit» die Hotelgäste. Dagegen beteten rund 50 – naja, er wolle nobel sein: 100 – Gastgeber das Automobil an und betrachteten es als Heilbringer.

Die Behörden hätten es verschlafen, das aufkommende Verkehrsmittel rechtzeitig zu regulieren, wetterte die Hotel-Revue in ihrer zweiten Ausgabe 1912.

Jetzt, wo es engelebt, ertönen von beiden Seiten die Klagen über bedeutende Schädigungen und der Staat mag niemanden wehe tun, muss aber nolens volens doch an die Frage herantreten und sie  f e s t  a n g r e i f e n.

Schweizer Hotel-Revue vom 13. Januar 1912

Das Automobil war zu dieser Zeit gerade auf dem Land auch bei der Bevölkerung nicht gern gesehen. Autofahrer mussten damit rechnen, mit Gülle und Mistgabeln angegriffen zu werden. Ein Autofahrer und Leser beschwerte sich darüber in der Hotel-Revue:

Jeder Bauernlümmel darf uns mit den gemeinsten Schimpfworten traktieren und wir Fahrer müssen die Faust im Sack machen, sonst gibts Mord und Totschlag.

Schweizer Hotel-Revue vom 6. Juli 1912

Eigentliche Autogegner waren die Redaktoren von damals aber keineswegs. Sie erkannten durchaus die Vorteile des individuellen Reisens für den Fremdenverkehr. Der Volkszorn gelte nicht dem Auto an sich, meinten sie, sondern dessen hässlichen Eigenschaften: der Schnelligkeitswut, dem Gestank und all dem Odium, der dem Vehikel anhafte.

Die Forderungen, die die Hotel-Revue daraus ableitete, könnten aus heutiger Sicht glatt dem Parteiprogramm der Grünen entstammen. Erstens: «An Sonntagen darf nirgends mit höherer Geschwindigkeit als 25 Km. in der Stunde gefahren werden.» Kantonen sei es gar erlaubt, dieses Geschwindigkeitslimit noch zu verschärfen. Und zweitens: «In den Monaten Mai, Juni, Juli, August und September darf mit Motorwagen und Motorvelos von morgens 10 bis abends 6 Uhr auf öffentl. Strassen nicht gefahren werden.»

Darauf folgte eine Lobpreisung des Elektroautos, denn «ruhige Fahrer auf elektrischem Motor» seien gern gesehene Gäste:

Ein anderer grosser Vorteil erwächst aber unserer Industrie durch den elektrischen Betrieb der Autovehikel. Der Umschwung vollzieht sich glücklicherweise gerade im Moment, wo unsere grossen Elektrizitätswerke im ganzen Lande anfangen, recht leistungsfähig zu werden. Durch einen ungewohnten Aufschwung wird damit die schweizerische elektrische Industrie alimentiert. Eine grosse Zahl Akkumulatorenstalionen im ganzen Lande werden den Verkehr für die gesamte Landesgegend befruchten. Die Zahl der Automobile wird bedeutend zunehmen, weil mancher bisherige Gegner des lärmenden, stinkenden und gefahrdrohenden Fahrzeuges sich mit dem ruhigen und geruchlosen elektrischen Automobil rasch befreunden wird. Andere Staaten werden sich gern dem von vielen Belästigungen befreienden neuen Fahrzeuge anschliessen. Wenn auch die Schnelligkeit in diesem lange nicht so gross ist, so ist das ja nur ein Glück für Fahrer und Publikum.

Schweizer Hotel-Revue vom 13. Januar 1912

Um 1912 begann ein grosser Umbruch im Tourismus. Bis dahin war die Eisenbahn unangefochten das Verkehrsmittel Nummer eins. Sie hatte das Reisen zum Massenphänomen gemacht: «So aber haben wir heute einen Reisendenaustausch von Land zu Land, eine kontinuierliche Völkerwanderung, im Vergleich zu deren Ausdehnung die historische Völkerbewegung verschwinden muss.» Doch ob es den Kollegen von damals passte oder nicht: Sie erlebten den Anbruch des Automobilzeitalters, genauer des Benzinerzeitalters.

Mischa Stünzi