Seinen Abschied von Ticino Tourismus hatte sich Tiziano Gagliardi sicherlich anders vorgestellt. Neun Jahre war er als Direktor tätig und zum Ende seiner Tätigkeit hatte sich auch Staatsrätin Laura Sadis in ihrem Skript einige lobende Worte einfallen lassen. Doch diese wollten anlässlich der Generalversammlung am letzten Freitag in Airolo nicht so recht schmecken.
Als Spielverderber agierten die beiden wichtigsten regionalen Verkehrsvereine, die Enti turistici aus dem Luganese und Locarnese. Denn sie kündigten noch vor der Versammlung in einer Medienmitteilung an, ihre jeweiligen Präsidenten – Aldo Merlini (Ascona/Locarno) und Bruno Lepori (Luganese) – als Kandidaten für den Verwaltungsrat von Ticino Turismo zurückzuziehen. Mehr noch: Sie lancierten eine klare Kampfansage an den Ente ticinese per il turismo (ETT), der als kantonaler Verkehrsverein für die Vermarktung des Produkts «Tessin» als Feriendestination verantwortlich ist, während sich die elf regionalen Verkehrsvereine (ETL) auf die Information von Gästen und die Organisation von Veranstaltungen konzentrieren.
«Die Verantwortung für das Marketing muss wieder in die Regionen verlegt werden, in denen das touristische Produkt generiert wird», schrieben die beiden Tourismusbüros. Unterstützt werden sie ihrem Aufstand von der Stadt Lugano. Die zentralistische Rolle von Ticino Turismo in Sachen Vermarktung müsse ein Ende haben, denn diese Strategie habe keine Früchte getragen. Das neue Tourismusgesetz müsse in diesem Sinne so schnell wie möglich erarbeitet und umgesetzt werden.
Wenig begeistert über dieses Vorpreschen zeigt sich Marco Solari als Verwaltungsratspräsident von Ticino Turismo. «Doch die Dinge werden sich wieder legen», gab er sich gleichwohl zuversichtlich. Laura Sadis geisselte das Vorgehen. Sie wünschte sich, dass die Divergenzen im Rahmen der Ausarbeitung des neuen Tourismusgesetzes beigelegt werden können. Dieses soll 2013 in Kraft treten.
Der Aufstand von Lugano kommt nicht ganz überraschend, erstaunlich ist eher der Support vom Lago Maggiore. Die Stadt Lugano hat Anfang Jahr ganz bewusst ein eigenes Tourismusamt gegründet. Es gehe nicht an, dass Lugano immer nur bezahle, aber nichts zu sagen habe, begründete Stadtpräsident Giorgio Giudici (FDP) diesen Schritt. Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri als Amtsleiter des Dicastero Turismo ging dieser Tage noch weiter: «Ticino Turismo muss zerschlagen werden.» Die zentrale Marketingorganisation sollte massiv verkleinert werden und in Zukunft höchstens noch koordinierende Aufgaben wahrnehmen.
Ironischerweise war der ETT 1972 gegründet worden, um die damalige Zersplitterung des Terrains in 42 lokale Pro-Loco-Vereine zu überwinden und eine grössere Schlagkraft bei der Vermarktung des Kantons als Ferienregion zu entwickeln. Gemäss dem Motto: Vereint sind wir stark. So warnt der scheidende Tourismusdirektor, Tiziano Gagliardi, denn auch vor eine Rückkehr in die Vergangenheit: «Es wäre gefährlich, wenn das Marketing einzig in den Händen der beiden wichtigsten Destinationen liegen würde.» Erbost über das Vorstossen der beiden lokalen Verkehrsvereines ist auch Fernando Brunner, Präsident von hotelleriesuisse Ticino: «Es ist ein sehr negatives Zeichen.»
Der Machtkampf im Tessiner Tourismus und das Kompetenzgerangel zwischen dem kantonalen und den lokalen Verkehrsvereinen sind nicht neu. Es fällt aber in eine ausgesprochen kritische Phase. Seit Jahren verliert das Tessin konstant Feriengäste und generiert immer weniger Logiernächte. Dabei wurde Ticino Turismo wiederholt vorgeworfen, wenig ideenreich Marketing zu betreiben. Der Druck auf Elia Frapolli, ab 1. August neuer Direktor von Ticino Turismo, ist daher gross. Er steht vor einer schwierigen Aufgabe. Auch intern: Die Nomination des erst 30-Jährigen und kaum erfahrenen Marketing-Experten hat im Mitarbeiterstab von Ticino Turismo wenig Begeisterung ausgelöst.
In einer ersten Stellungnahme nach dem Eklat zeigte sich Frapolli von den Drohungen aus Lugano und Locarno wenig beeindruckt. Er rief dazu auf, keine Ressourcen zu verschleudern, um auf dem umkämpften Tourismusmarkt bestehen zu können.