Lorenzo Pianezzi bezeichnet seine neun Jahre als Präsident des Tessiner Regionalverbands von HotellerieSuisse als grosse Ehre. Er habe mit Leidenschaft gedient und jede Aufgabe gerne gelöst. Zu lösen gab es viel: von A wie alte Infrastrukturen über B wie Burkaverbot, C wie Corona-Pandemie bis T wie Ticino-­Ticket. Weil Pianezzi ein strategisch denkender Macher ist, überzeugte er Politiker wie Hoteliers in Windeseile von seinen Ideen. Besonders stolz ist er auf das Ticino-Ticket, ein kostenloses ÖV-Ticket für alle Übernachtungsgäste im Kanton Tessin. Für eines seiner Anliegen war der Tessin bisher noch nicht bereit – den Ganzjahrestourismus. Hotelier Pianezzi ist zuversichtlich, dass sich das bald ändert. Die Branche denke nämlich um.

Lorenzo Pianezzi, Sie hatten den Bubentraum, einmal in einem Hotel zu arbeiten. Weshalb?
Vielleicht weil ich die Ferien mit meinen Eltern immer geschätzt habe. Ich fühlte mich in den Hotels gut und wünschte mir, selbst in der Hotellerie zu arbeiten. [RELATED]

Sie sind heute Besitzer des Hotel Zurigo Downtown in Lugano. Als vorläufige Krönung sind Sie 2014 Präsident von HotelleriSuisse Ticino geworden. Was war Ihre erste Amtshandlung?
Das Tessin hatte durch seine vielen Stammgäste ein bisschen vergessen zu modernisieren. Unsere Gäste bereisen die ganze Welt und vergleichen uns mit Dubai und New York. Überall finden sie neue oder neu renovierte Hotels. Wir müssen auch immer à jour bleiben und deshalb sensibilisierte ich die Hoteliers.

Sie haben das Ticino-Ticket eingeführt, ein Gratis-ÖV-Ticket für Übernachtungsgäste im Tessin.
Die Idee geisterte schon lange in unseren Köpfen herum. Als Staatsrat Christian Vitta 2016 gewählt wurde, sah ich endlich eine Chance, diese Idee umzusetzen. Vitta hat sofort verstanden, dass ein kantonales ÖV-Ticket den Kanton für Touristen attraktiver machen würde. Der Zeitpunkt der Einführung 2017 war ideal. Die neue Neat wurde eröffnet, weshalb dort Finanzen frei gemacht werden konnten. Das Ticino-Ticket wurde aber nur möglich, weil wir Hoteliers die Kur­taxenerhöhung akzeptiert haben. Das brauchte ein wenig Überzeugungsarbeit, aber es gelang.

Der Klimawandel kann den Tessiner Ganzjahrestourismus ankurbeln.

Basisnah und leidenschaftlich
Der 43-jährige Lorenzo Pianezzi absolvierte die Scuola specia­lizzata superiore alberghiera e del turismo (SSSAT) in Bellinzona. Der Hotelier verbrachte seine Wanderjahre unter anderem im Seehotel Kastanienbaum in Luzern und im renommierten Dolder Grand Hotel in Zürich. Seit 2005 ist er zurück im Tessin, heute als Besitzer und Gastgeber des «Zurigo Downtown» in Lugano.

Er ist Mitglied der kantonalen Kammer für Handel, Industrie und Handwerk sowie der Stiftung Malcantone und des Komitees Aspasi, der Gesellschaft für Fluggäste und Flughafen der italienischen Schweiz. Er war zudem Vizepräsident der Ente Turistico del Luganese. Präsident von HotellerieSuisse Ticino war er von 2014 bis 2023.

Welche Argumente überzeugten die Hoteliers?
Wir baten Sie, die Sicht der Gäste einzunehmen. Mit nur 1.30 Fr. pro Tag können sie das ganze ÖV-Netz nutzen. Das Tessin generiert jedes Jahr 2,3 bis 2,5 Millionen Logiernächte und finanziert damit das ÖV-Ticket zu 50 Prozent. Ohne Kurtaxenerhöhung hätte der Staatsrat nicht geholfen.

Kommen wir zu einem aktuellen Thema: Was bedeutet der Klimawandel für das Tessin.
Der Klimawandel ruft weltweite Herausforderungen hervor – aber: Ein echter Unternehmer muss fähig sein, aus einem Problem Wert zu schöpfen. Unter diesem Aspekt ist der Klimawandel eine grosse Chance für uns: Er kann den Tessiner Ganzjahrestourismus ankurbeln. Die Wintermonate sind trocken und mit 17 Grad Celsius recht warm, ideal für Ferien im Tessin.

Im Winter ins Tessin? Wenn alles geschlossen ist?
Wir sind schon heute attraktiv. Der Monte Tamaro hat dieses Potenzial schon vor Jahren entdeckt und die Winteranlage durch einen Ganzjahres-Adventure-Park ersetzt. Auch ganzjährig geöffnet sind die Funicolari Monte Bré in Lugano und San Salvatore.

Wir können auch Ausflüge auf den Seen bieten und den Besuch im Lugano Arte e Cultura (LAC). Nur kommunizieren wir das heute zu wenig. Deshalb sollten wir eine Geschichte erzählen und ein Produkt schnüren. So weit sind wir aber noch nicht. Zwischen November und Anfang April sind noch immer viele Hotels zu. Ich finde das schade. Aber unsere neue Präsidentin, Sonja Frey, wird den Ganzjahrestourismus ankurbeln. Sie ist Direktorin von zwei Hotels in Locarno, die ganzjährig geöffnet sind.

Gibt es im Tessin neue Hotelprojekte?
Leider haben wir im Moment nur kleine, dafür interessante Projekte. Das Grandhotel in Locarno wird beispielsweise totalsaniert. Dann hört man von Plänen von kleinen Businesshotels an den Autobahnanschlüssen. Das genügt aber nicht, um die bestehende Hotellerie in der Nebensaison zu befruchten. Wir brauchen dringend ein neues Kongresszentrum mit integriertem Hotel mit mindestens 200 Zimmern!

Wo könnte dieses Kongresszentrum entstehen?
Auf dem Campo Marzio in Lugano. Die Gemeinde verfügt dort über Bauland. Die Baupläne besteht bereits, aber die Politik braucht für die Umsetzung sehr viel Zeit. Für mich dauert das alles viel zu lange, aber so sind die Prozesse eben.

Gibt es Entwicklungen in der Tessiner Hotellerie, die Ihnen Sorgen bereiten?
Wir sind etwas träge und entwickeln uns zu wenig stark. Vielleicht verlassen wir uns ein wenig zu sehr auf die Stammgäste. Dass sie jedes Jahr wiederkehren, ist gut und bereichernd. Aber wenn wir bloss auf deren Inputs hören, kommen wir nicht vom Fleck. Die Stammgäste sind sich unsere Services und Angebote nämlich gewohnt, sie fragen nicht nach Innovation. Aber wir müssen unsere Scheuklappen ablegen, um auf neue Ideen zu kommen. Wir müssen wirklich verstehen, was die Bedürfnisse unserer Zielgruppe sind, und daraus neue Angebote im Marketing, in Restaurants und Hotels kreieren.

Jetzt treten Sie bei HotellerieSuisse einen Schritt zurück. Was war während der Amtszeit Ihr grösstes Highlight.
Ich werde immer noch emotional, wenn ich an die Pandemie denke. Sie hat uns zusammengeschweisst, und wir haben bemerkt, dass sich die Hoteliers wirklich mögen. Damals versendete ich jeden Tag ein Video, in dem ich die neusten Regeln erklärte und den Hoteliers Mut machte. Ich habe erst später realisiert, wie wichtig diese Botschaften waren. Noch heute berichten die Hoteliers, dass sie täglich auf die Videos warteten.

Individuell geführte Hotels
Die Tessiner Hotellerie zeichnet aus, dass die Betriebe zu 99 Prozent privat geführt sind. Die Absenz der Kettenhotellerie lässt sich mit der kurzen Saison von sieben Monaten erklären. Wegen der internationalen Strahlkraft wünscht sich Lorenzo Pianezzi im Tessin ein «Mandarin Oriental» oder ein «Hilton».

210 Mitgliederhotels mit 7000 Gästezimmern und 2,3 Millionen Logiernächten pro Jahr