Das Dorf Gais liegt zehn Autominuten nordöstlich der Ortschaft Appenzell. In der 3000-Seelen-Gemeinde gibt es eine Schule, einen historischen Dorfplatz und ein Restaurant mit 17 Gault-Millau-Punkten: das Restaurant Truube. Das weisse Appenzeller Haus hat bunte Petunien vor den Fenstern. Die Gäste speisen in der gemütlichen Stube oder am Chiefs Table in der Küche. Hier kocht die 48-jährige Silvia Manser, in der Schweiz neben Tanja Grandits und Anne-Sophie Pic eine der wenigen Spitzenköchinnen am Herd.

Unter Mansers Händen entstehen raffinierte sowie bodenständige Gourmetgerichte. «Bei mir gibt es sowohl Klassiker wie Wild mit Brotknödeln und Herbstgarnitur als auch modern interpretierte Gerichte wie Flusskrebse mit Brüsseler Salat und dazu Zitrusfrüchte.» Die Flusskrebse stammen aus der Zucht von Jeannot Müller im benachbarten Bühler. Auch Fleisch und Milchprodukte kommen aus der Gegend. Das ist für Manser selbstverständlich. Nicht nur, weil die Landwirtschaft der Region dafür bekannt ist, sondern auch, weil die Köchin gerne lokal einkauft: «Bei uns trägt man Sorge zu den Geschäften in der Region. Es ist ein Geben und Nehmen.» So verarbeitet sie im 6-Gang-Menü Lamm, Alpschwein oder Wasserbüffel aus der Region. Nur mit dem Gemüse wird es schwierig. Gais liegt auf 950 Metern Höhe, wo die Vegetationszeit kurz und dadurch für den professionellen Gemüseanbau nicht ökonomisch ist, deshab bestellt Manser beim Händler Biogemüse.

Heutzutage sind die Erwartungen an die jungen Köche hoch, die bei einem Spitzenkoch gearbeitet haben.

Die Dorfbeiz Truube war Mansers Kinderstube. Dass sie das Restaurant ihrer Mutter übernehmen würde, war ihr schon früh klar. Bereits während der Kochlehre im Restaurant Sonne in Urnäsch machte sie insgeheim Pläne. «Ich wusste bereits, wie die Küche, das Restaurant und die sanitären Anlagen aussehen würden», sagt sie im charmanten Appenzeller Dialekt. Doch bevor es so weit war, absolvierte sie die Hotelfachschule Luzern und bereiste die USA und Kanada. Schliesslich kehrte sie 2021 nach Hause zurück und übernahm mit ihrem Mann Thomas die Truube.

Neben dem Rampenlicht zur eigenen Handschrift gefunden
Michelin-Sterne und Gault-Millau-Hauben waren damals nicht Teil ihres Plans. «Wir wollten einfach eine gute Küche anbieten und begannen mit einem Zürcher Geschnetzelten und Eglifilets.» Ausserhalb des Punktezirkus hatte die Appenzellerin Zeit, sich zu entwickeln und ihre eigene Handschrift zu finden. Rückblickend ist sie froh, dass sie so sanft beginnen konnte. «Heutzutage sind die Erwartungen an die jungen Köche hoch, die bei einem Spitzenkoch gearbeitet haben.» Dass auch sie bei einem Spitzenkoch, nämlich Roland Jöhri, gearbeitet hatte, interessierte bei der Betriebsübernahme vor 21 Jahren niemanden. Erst vor sieben Jahren wurde der Guide Michelin auf Manser aufmerksam und zeichnete ihre Küche mit einem Michelin-Stern aus. 2019 folgten 16 Gault-Millau-Punkte und nun der 17. Punkt sowie der Titel «Aufsteiger des Jahres». Diesen erhielten schweizweit vier Köche.[IMG 2]

Bis zu vier Lernende in der Gourmetküche
In der «Truube» kochen zurzeit drei ausgelernte Köche und zwei Lernende. Eine gute Ausbildungsstätte. Das hat sich längst herumgesprochen: «Für die offenen Lehrstellen musste ich nie ein Inserat aufgeben.» Manser bildet Lernende aus, weil sie ihr Wissen teilen und damit die Qualität Gastronomie hochhalten will. Aber auch, weil sie den jungen Köchen ein positives Berufsbild mitgeben möchte. Die Lernenden sollen nicht nur die unregelmässigen Arbeitszeiten kennenlernen, sondern auch die Faszination am Beruf. Das gelingt durch positive Emotionen; unter anderem durch den Kontakt mit den Gästen. «Unsere Lernenden bringen den Gruss aus der Küche an den Tisch. Dadurch erfahren sie, dass die Gäste von ihrer Arbeit begeistert sind. Manchmal gibt es sogar Applaus.» Die im Hirn gebildeten Glückshormone, so hofft Manser, wecken bei ihren Mitarbeitenden Freude und einen gesunden Berufsstolz.

Nah bei den Gästen zu arbeiten, das mag Silvia Manser. Deshalb sitzen einige Gäste oft am Chiefs Table, einem Holztisch direkt neben der Küche mit Sicht in die Töpfe. «Das kann sehr bereichernd sein, vor allem, wenn die Gäste Interesse zeigen», sagt sie. Sie dürfen dann auch mal einen Happen probieren, «das finden sie lässig».

truube.ch

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Blanca Burri