Die Nachricht war ein Paukenschlag: Die 25 hours Hotels in Hamburg testen ab November die 4-Tage-Woche, um dem Fachkräftemangel  entgegenzuwirken. Endlich also bewegt sich etwas, die Beherbergungsbranche schärft ihr Image als attraktive Arbeitgeberin. Die deutsche Fachpresse schwärmte sogar von einem «Gamechanger» – durchaus zu Recht. Denn: In den Hamburger 25 hours Hotels kann man statt 40 Stunden lediglich 36 Stunden in der Woche bei einem 100-Prozent-Pensum und gleichem Lohn arbeiten. Das sind neun Stunden an vier Tagen. «Die vier Stunden, die pro Woche übrig bleiben, sollen als Puffer für Überstunden genutzt werden. Wenn das Modell funktioniert, sollten diese aber nur im Worst Case gebraucht werden», sagt Kathrin Gollubits, HR-Leiterin bei 25 hours.

Die Vorteile:
USP auf dem Arbeitsmarkt: Wer eine 4-Tage-­Woche anbietet, gilt als attraktiver Arbeitgeber.
Weniger Fluktuation: Die 4-Tage-Woche ist ein Trumpf bei der Mitarbeiterbindung. 
Gefühlt mehr Freizeit: Auch wenn man bei einer 4-Tage-Woche 42 Stunden arbeitet, fühlt sich ein zusätzlicher freier Tag wie «dazugewonnen» an.
Fokussierte Arbeitsweise: Wenn die Zimmerstunde wegfällt, ist der Tag weniger zerstückelt, und man ist konzentrierter.
Mehr Sozialleben: Ein freier Tag und vor allem ein freier Abend mehr pro Woche bedeutet mehr Zeit für Freunde und Familie.

Fällt dennoch Überzeit an, weil zum Beispiel eine Extraschicht eingelegt werden muss, kommen die Stunden auf ein Überzeitkonto, das am Ende des Kalenderjahres jedoch auf null gesetzt wird. «Geleistete Überstunden sind dann im Lohn enthalten, ungenutzte Überstunden sind für die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden gut.» Ist das Pilotprojekt erfolgreich, plant 25 hours, die 4-Tage-Woche ab 2022 in allen Hotels einzuführen. Bald könnte also auch in den beiden Zürcher Hotels eine verkürzte Arbeitswoche der Normalfall sein.

Arbeitsprozesse anpassen
In der Schweiz ist die 4-Tage-Woche ebenfalls ein viel diskutiertes Thema – allerdings in einer abgespeckten Variante: Die 42-Stunden-Woche soll nicht mehr auf fünf, sondern bloss noch auf vier Tage verteilt werden, mit dem Resultat, dass ein Arbeitstag in der Regel 10 Stunden hätte. Roger Jutzi, Direktor des Zürcher Hotel Krone Unterstrass und Befürworter von zeitgemässen Arbeitsmodellen, sieht in der Schweiz wenig Chancen, die 42-Stunden-Woche wie in Deutschland zu reduzieren: «Man müsste insbesondere in der Küche und im Service entweder mehr Vollzeitstellen schaffen oder die Teilzeitstellen ausbauen, die das Stundendefizit ausgleichen.» Laut Jutzi würde sich das kaum rechnen.

Der Hotelier hat in seinem Betrieb bereits vor acht Jahren moderne Arbeitszeiten eingeführt, indem er die Zimmerstunde abschaffte. Die Angestellten arbeiten am Nachmittag durch, die Überstunden können sie kumulieren und als Freitage kompensieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Jutzis Mitarbeitende haben gefühlt mehr Freizeit, sie können ihre sozialen Kontakte besser pflegen, ausserdem ist es ökologischer und günstiger, den Arbeitsweg nur einmal statt zweimal am Tag zurückzulegen.

Mitarbeitende haben gefühlt mehr Freizeit, ausserdem ist es ökologischer und günstiger, den Arbeitsweg nur einmal statt zweimal am Tag zurückzulegen.

Allerdings bedurfte bereits die Abschaffung der Zimmerstunde vieler Veränderungen in den Arbeitsprozessen. «Wir mussten unsere Abläufe in der Küche neu denken und betriebliche Anpassungen machen.» So bleibt zum Beispiel das Restaurant am Samstagmittag geschlossen, Gäste empfängt das Hotel Krone Unterstrass erst am Abend.

Ein zusätzlicher Tag frei
Branchenkollege Philipp Albrecht, Direktor des Park Hotel Winterthur, geht noch einen mutigen Schritt weiter: Ab Dezember testet er in der Küche zwei Monate lang die 4-Tage-Woche. Das heisst: Seine sieben Mitarbeitenden werden vier Tage in der Woche 10,5 Stunden arbeiten – mit einer Stunde Pause. Dafür haben sie einen zusätzlichen Tag frei.

«Gesetzlich ist das möglich», sagt Annette Rupp, Fachspezialistin Rechtsdienst bei HotellerieSuisse. Die Höchstarbeitszeit im Gastgewerbe beträgt 14 Stunden pro Tag, bei Nachtarbeit höchstens 9. Wird mehr als 9 Stunden pro Tag gearbeitet, muss eine Pause von einer Stunde gewährleistet sein und eine Nachtruhezeit von 11 Stunden eingehalten werden.

«Der Küchenchef ist Feuer und Flamme für das Pilotprojekt der 4-Tage-Woche.»

Philipp Albrecht, Direktor Park Hotel Winterthur

«Uns war klar, wir müssen handeln», sagt Albrecht. «Corona hat den Fachkräftemangel derart verstärkt, dass wir unsere Öffnungszeiten anpassen mussten. Deshalb haben wir beschlossen, die Arbeitszeiten attraktiver zu gestalten.» Die Rückmeldungen aus dem Küchenteam, ob man sich eine 4-Tage-Woche überhaupt vorstellen könne, seien sehr positiv gewesen. «Der Küchenchef war zwar anfangs etwas skeptisch, nachdem wir aber mehrere Einsatzszenarien und Prozessanpassungen durchgegangen sind, ist er nun Feuer und Flamme für das Pilotprojekt», sagt Albrecht.[DOSSIER]

Ein USP auf dem Jobmarkt
Der Hotelier verspricht sich von der 4-Tage-Woche einige Vorteile: Das zeitgemässe Modell ist derzeit ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Schweizer Stellenmarkt. Zudem hofft Albrecht, dass er die Mitarbeitenden dank attraktiven Arbeitsbedingungen auch zum Bleiben animieren und die Fluktuation in seinem Betrieb reduzieren kann. «Die Mitarbeitenden haben zwar längere Arbeitstage, aber einen zusätzlichen Tag und vor allem auch am Abend frei, um sich mit Freunden zu treffen oder bei der Familie zu sein.»

Klar, haben inzwischen auch andere Player das Potenzial erkannt und die 4-Tage-Woche bereits auf dem Radar, wie eine kleine Umfrage ergab. The Living Circle zum Beispiel hat eine Taskforce gebildet, die sich mit dem Thema auseinandersetzt. Bei den Sunstar Hotels ist man sehr interessiert daran, «die Arbeitsmodelle neu zu denken» und ab 2022 allenfalls Änderungen vorzunehmen. Die SV Group wiederum schliesst nicht aus, «die 4-Tage-Woche in Zukunft konkret zu prüfen». Es bleibt also spannend.

Gute Erfahrungen mit der 4-Tage-Woche in Österreich
Was andere erst angehen, setzt das Hotel Aviva in Ober­österreich bereits seit 2018 erfolgreich um. Im mittelgrossen Ganzjahresbetrieb, der sich auf Single-Reisende spezialisiert hat, gilt für alle, die es möchten, die 4-Tage-Woche – mit 10 Stunden pro Tag. «So arbeiten bei uns alle Abteilungen ausser dem Housekeeping, da hat sich das Team selbst dagegen entschieden», sagt Geschäftsführer und Miteigentümer Christian Grünbart.
Sein Fazit nach knapp vier Jahren: «Das Team ist motivierter und ausgeruhter, weil sich ein zusätzlicher freier Tag wie ein Kurzurlaub anfühlt.» Zudem sparen die Angestellten Zeit und Fahrtkosten, weil sie keine lange Arbeitsunterbrechung am Nachmittag mehr haben. Obwohl die Arbeitstage länger sind, erlebt Grünbart sein Team als produktiver. «Die Leute machen weder mehr Fehler, noch sind sie öfter krank.» Seither habe man im Betrieb auch weniger Fluktuation. Damit sich die Mitarbeitenden im neuen Arbeitsmodell wohlfühlen, mussten jedoch erst die Arbeitsprozesse verändert, vereinfacht oder digitalisiert werden.
So bekommt der Gast seine «Morgenpost» zum Beispiel nicht mehr auf Papier, sondern automatisch generiert per App. «Die Mitarbeitenden der Réception sparen dadurch zwei Stunden Arbeitsaufwand», so Grünbart. «Beim Frühstück und Abendessen wiederum bereitet das Team vieles vor, sogar zwei bis drei Tage im Voraus.» An seine Grenzen stösst das System vor allem im Service: «Da müssen wir gut schauen, dass die Leute nicht zu viele Überstunden anhäufen, und wenn jemand kurzfristig ausfällt, ist es organisatorisch oft eine Herausforderung.»