«Seit Mitte November haben wir immerhin ein bisschen Leben im Haus. Bei uns übernachten Leute vom Militär, die in den Basler Spitälern aushelfen», sagt Tobias Wettstein von der Basler Jugendherberge. Seit acht Jahren leitet er den Betrieb mit den 234 Betten, der noch nie so leer war wie in den vergangenen Monaten. Die Réception ist nachmittags unbesetzt, das Telefon nach Zürich umgeleitet. Das preisgekrönte Design-Hostel beherbergte 2020 nur noch knapp die Hälfte der sonst üblichen Anzahl Gäste.

Wie in der Hotellerie leiden vor allem städtische Hostels unter der Corona-Krise. Dabei begann 2020 für die Schweizer Jugendherbergen (SJH) besser als je zuvor. Nach vier Jahren in den roten Zahlen startete die Non-Profit-Organisation erstmals wieder mit einem Gewinn ins neue Jahr. Der war mit 28 200 Franken zwar beschaulich, aber im Vergleich zum Vorjahresverlust von zwei Millionen eine tolle Ausgangslage. Hinzu kam, dass im Januar der Betrieb in St. Moritz für die Olympischen Jugend-Winterspiele über 300 Athleten und Teammitglieder mehrerer Disziplinen beherbergen und verpflegen konnte. Das angestrebte Wachstum von drei Prozent lag Ende Februar sogar bei zehn.

Rund 25 Prozent weniger Umsatz im 2020
Und dann kam Corona. «Die Zäsur im März war extrem schmerzhaft», sagt Janine Bunte, Chefin der Schweizer Jugendherbergen. Schullager, Gruppen- und Individualreisende sagten ab, und auch das seit Monaten geplante Schloss- und Stadtfest Burgdorf zur Eröffnung der neuen Jugendherberge fiel Corona zum Opfer.

Das Jahr 2020 endete mit 484 870 Logiernächten, 34 Prozent weniger als die vorjährigen 736 511. Der Umsatz von 46,6 Millionen Franken im Jahr 2019 fiel um circa 25 Prozent. Die endgültigen Zahlen fehlen noch. «Da wir wegen Corona weniger Gruppen und Schulen beherbergten, ist der Einbruch bei den Logiernächten grösser als beim Umsatz», erklärt Bunte.

Die Non-Profit-Organisation, die Anfang 2020 wirtschaftlich gut aufgestellt war, spürt, dass ihre liquiden Mittel und Reserven massiv geschrumpft sind. «Corona hat uns 20 Jahre zurückgeworfen. Die Investitionsfähigkeit leidet massiv», sagt die SJH-Chefin. Sie sei zwar zuversichtlich, dass angedachte Projekte realisierbar seien, erst die Zukunft werde es jedoch zeigen.

Die SJH könnten auch 2021 mit einem Viertel weniger Umsatz überleben, ein mehrmonatiger Lockdown würde sie jedoch in grosse Existenznot bringen. Ein Blick über die Grenze zeigt, dass in Deutschland zurzeit die Existenz von 450 Herbergen bedroht ist. Das Deutsche Jugendherbergswerk ging im September von einem Umsatzrückgang von bis zu 90 Prozent aus. Auch wenn das Vorjahr von der Krise geprägt ist, gibt es für Janine Bunte «äusserst Positives». Dazu gehört zum Beispiel die grosse Solidarität der Gäste und Mitglieder gegenüber der fast 100-jährigen Institution. «Wir erhielten eine nie dagewesene Flut an Zuschriften, die uns motivierte und zuversichtlich stimmte.» Zahlreiche Kunden verlängerten ihre Mitgliedschaft trotz der unsicheren Lage, und manche spendeten sogar freiwillige Solidaritätsbeiträge. Erfreulich war auch, dass Bunte auf einen rund zehnjährigen Pandemieplan zurückgreifen konnte, in dem Themen wie Quarantäne, Melde- und Maskenpflicht aufgeführt waren – und sogar Masken waren gelagert worden.

Überraschend positiv, ja, so gut wie nie zuvor, sei die Stimmung in den Herbergen gewesen. «Die Gäste zeigten grosses Verständnis für die Situation, waren entspannt, was zu einer lockeren Atmosphäre führte.» Tobias Wettstein aus Basel bestätigt die Aussage. «Nach Aufhebung des Lockdown im Mai besuchten uns viele Familien und sorgten für eine tolle Stimmung.»

Auch Ueli Zürcher, Betriebsleiter der Jugendherberge Interlaken, schwärmt: «Zunächst waren wir etwas nervös, da Schweizer Gäste anspruchsvoller sind als Asiaten, die bei uns 50 Prozent ausmachen. Aber die Schweizer Touristen waren phänomenal. Sie waren gelöst und dankbar, die Schweiz neu entdecken zu können.» Obwohl die 220 Betten in Interlaken während der Sommerferien sehr gut und im Herbst gut gebucht waren, konnten die Schweizer Gäste die fehlenden Besucher aus Südkorea, China und Indien nicht kompensieren. Der Standort Interlaken gehört mit einem Minus von 55 Prozent zu den Verlierern unter den 50 Jugendherbergen.

Angebot und Standort waren ausschlaggebend
Es gibt aber auch Betriebe, die der Krise gut trotzen – das Wellnesshostel im autofreien Saas-Fee zum Beispiel. Der 2014 eröffnete Betrieb war weltweit der erste seiner Art und kann sich nicht über zu wenig Gäste beklagen. «Hallenbad wie auch Wellness waren das ganze Jahr über sehr gefragt», sagt Betriebsleiterin Chantal Anthamatten. Der Standort hat noch ein weiteres Plus: Auf dem Feegletscher oberhalb von Saas-Fee kann man ganzjährig Ski fahren, was junge regionale Skimannschaften aus Italien, Frankreich und Österreich anlockte. «Das wirkte sich sehr positiv auf die Logiernächte von September bis November aus.» Wie ihre Betriebsleiter-Kollegen betont auch Anthamatten, dass die Buchungen extrem kurzfristig und vor allem bei schönem Wetter hereinkämen. «Auch wenn der Buchungsstand Anfang Monat schlecht ist, können wir Ende Monat meist gut abschliessen», freut sich die Betriebsleiterin. Das Wellnesshostel hat das Budget zu 95 Prozent erreicht und liegt an der Spitze aller Betriebe.

In vielen anderen Betrieben sieht die Situation jedoch weniger rosig aus. Im Grossteil der Hostels herrscht zurzeit Kurzarbeit. Insbesondere in den städtischen Betrieben mussten auch Mitarbeitende reduziert werden, Saisonstellen in den Bergen wurden gar nicht erst besetzt. «Normalerweise hätten wir letztes Jahr 650 Mitarbeitende beschäftigt, Ende 2020 waren es nur 540», merkt Janine Bunte an. Sie wünscht sich – auch als Vorsitzende der IG- Parahotellerie – eine Beruhigung der «Hüst-und-Hott-Politik» des Bundesrats. «Eine Woche ist zu kurz, um sich auf neue Massnahmen einzustellen.»

Mühe hat Bunte auch mit den kantonal unterschiedlichen Härtefallregeln und fordert höhere A-fonds-perdu-Beiträge. Allein die Fixkosten inklusive Miete, Unterhalt und Heizung machen bis zu 35 Prozent der Ausgaben aus, die Mitarbeitendenkosten bis zu 45 Prozent, rechnet sie vor. Würden die SJH maximal zehn Prozent des Umsatzverlustes als A-fonds-perdu-Beitrag erhalten, wäre das für das Grossunternehmen gerade mal ein Tropfen auf den heissen Stein.

Mit neuen Angeboten auf die Krise antworten
Da Agilität zur DNA der Non-Profit-Organisation gehört, reagiert sie mit neuen Angeboten wie «Bed ’n’ Bureau» auf die Krise. «Wir haben mitbekommen, dass manchen Leuten langsam die Decke auf den Kopf fällt und dass sie einen Tapetenwechsel vom Homeoffice benötigen», sagt Bunte. Ab drei Nächten erhalten die Gäste einen Rabatt, ein Angebot, das im Dezember 2020 ganz gut angelaufen sei. Auch haben die Jugendherbergen seit den Restaurantschliessungen ihr Verpflegungsangebot angepasst und bieten den Gästen Mittagsverpflegung, Lunch-Pakete für die Piste oder Take-away-Menüs.

Die SJH-Chefin zeigt sich positiv. «Bei einer Krise kommt es immer darauf an, wie man sie anschaut. Wir haben letztes Jahr unsere Abläufe bereinigt, sind agil im Denken und fürs neue Jahr super aufgestellt.» Auch Ueli Zürcher aus Interlaken will sich trotz grossem Jahresverlust nicht entmutigen lassen. «Unsere Organisation besteht seit 1924 und hat schon viele Krisen gemeistert. Wir werden auch diese schaffen.»

NATALIA GODGLÜCK