Peter Varga, wie hat sich die interkulturelle Kommunikation in den letzten 20 Jahren verändert?  
Die Situation verändert sich rasant. Natürlich gab es mit der Pandemie einen massiven Einbruch – weltweit gingen rund eine Milliarde internationale Reisen verloren. Aber seither nähern wir uns einem «normalen» Niveau an. Das Erstaunliche: Der Tourismus wächst wieder, trotz steigender Preise bei Flügen und Hotels.  

Was heisst das für die Hotellerie? 
Wir beobachten – und das zeigt sich in Gesprächen mit Hotels und aus eigener Erfahrung – , dass die klassische Hotellerie zunehmend gefordert ist. Es kommen immer mehr Gästesegmente in die Schweiz, die früher kaum vertreten waren: aus Asien, insbesondere China und Indien, aber auch aus dem Mittleren Osten und Südamerika. Natürlich sind auch die Europäer weiterhin wichtig – Deutsche, Franzosen, Italiener, Briten –, ebenso wie Gäste aus den USA. Aber die Zusammensetzung verändert sich spürbar. 

Wie wirkt sich das auf die Regionen aus? 
Nehmen wir etwa die Region Interlaken. Indische Gäste zieht es dorthin, weil Bollywood-Filme dort gedreht wurden – es erinnert sie an Kashmir. Ich habe einen indischen Freund, der kam nach Interlaken –, und wollte sonst nirgendwo anders hin. Andere Nationalitäten bevorzugen wiederum andere Regionen: Chinesische Gäste mögen Luzern, Gäste aus den Golfstaaten zieht es eher in den Luxus – nach Genf, Zürich, Zermatt. 

Wie müssen wir reagieren? 
Die Schweiz will verständlicherweise ihre authentische Gastfreundschaft bewahren – das ist ja auch ein starkes Verkaufsargument. Aber gewisse Details werden dabei vernachlässigt: etwa beim Essen, beim Kommunikationsstil, bei Status- und Hierarchieverständnis innerhalb der Familie. Die Hotellerie hat generell eine hohe Personalfluktuation, was dazu führt, dass oft das Bewusstsein für kulturelle Unterschiede fehlt – das wird zum Problem. 

Also sollten wir bei der Kommunikation ansetzen? 
Kommunikation wird immer wichtiger, ja – und zwar professionell geschulte Kommunikation. Stellen Sie sich vor, ein Schweizer Rezeptionist berührt aus Höflichkeit einen Gast aus dem Nahen Osten an der Schulter – das kann unangenehm sein, wenn man für solche Unterschiede nicht sensibilisiert ist. Kulturelle Intelligenz hilft, solchen Situationen vorzubeugen. 

Es geht also darum, das Bewusstsein zu schärfen? 
Genau. Es geht um Wissen und Bewusstsein. Der Tourismus hat sich seit den 1950er-Jahren massiv entwickelt – mit neuen Infrastrukturen, Hotelketten, Standards. Aber heute erwarten die Gäste personalisierten Service. Und wenn es dann kein passendes Essen gibt oder das Hotelzimmer zu klein ist für eine Grossfamilie – wie oft bei indischen Gästen –, dann entsteht schnell Frustration. 

Die klassische Hotellerie ist zunehmend gefordert. Es kommen immer mehr Gästesegmente in die Schweiz, die früher kaum vertreten waren.

Wie kann man sich darauf vorbereiten – gerade als kleines 3-Sterne-Hotel? 
Eine der Dimensionen von Cultural Intelligence ist Wissen. Man muss sich aktiv informieren. Natürlich hilft das Internet – wobei man vorsichtig sein muss mit Stereotypen. Es geht nicht darum, alle über einen Kamm zu scheren, aber gewisse kulturelle Tendenzen sind real.  

Was dürfen wir von der Forschung erwarten? 
In den USA ist das «Cultural Intelligence Center» sehr aktiv in diesem Gebiet. In der Schweiz hat HotellerieSuisse noch vor der Pandemie Informationsbroschüren erstellt – aber die sind heute etwas veraltet. Es laufen Gespräche für ein neues Projekt. Wir planen ausserdem eine neue Studie mit rund 400 Umfragen in Hotels, die viele Gäste aus Indien, China und dem Nahen Osten haben – dazu etwa 30 qualitative Interviews mit Hotelmitarbeitenden. So erhalten wir belastbare Daten. 

Das klingt vielversprechend. Was ist das Ziel? 
Wir wollen konkrete, praxisnahe Lösungen erarbeiten: neue Informationsmaterialien und ein Schulungsangebot zu Cultural Intelligence – das fehlt aktuell in der Schweizer Hotellerieausbildung. Ich entwickle zurzeit ein entsprechendes Training. Vorerst in Präsenzform, später eventuell auch online. 

Kann künstliche Intelligenz helfen? 
KI kann Informationen bereitstellen, zum Beispiel über Gästeprofile. Aber sie wird die menschliche Interaktion im Hotel nicht so schnell ersetzen – zumindest nicht im Luxussegment. Dort wollen Gäste umsorgt werden. In Budgethotels wird KI wohl schneller Einzug halten – etwa beim Self-Check-in. Aber kulturelle Intelligenz braucht Empathie – das ist schwer zu automatisieren. 

In Asien ist man da schon viel weiter. 
Das stimmt, Asien ist uns in Sachen Digitalisierung Jahre voraus. Aber wenn wirtschaftliche Überlegungen überwiegen, kann sich das auch bei uns schnell ändern.  

Was bedeutet eigentlich «Authentizität» in der Hotellerie? 
Gute Frage. Viele sagen, sie wollen «authentisch» bleiben. Aber was heisst das? Ein Klischee-Schweizer mit Edelweisshemd, der vor seinem Chalet jodelt und täglich Fondue isst? Natürlich nicht. Es geht darum, flexibel und offen zu bleiben, ohne die eigenen Werte aufzugeben. Gastfreundschaft bedeutet, den anderen willkommen zu heissen – mit Empathie, mit Offenheit, mit Intelligenz.