In Zeiten rasant steigender Kosten stellen sich viele Hoteliers, besonders im mittelständischen Segment, eine unbequeme, aber notwendige Frage: Können wir uns persönlichen Service überhaupt noch leisten?
Die Hotellerie ist eine Dienstleistungsbranche. Unser Selbstverständnis lautet seit jeher: mit Menschen für Menschen. Doch dieser Leitsatz gerät zunehmend unter Druck. Vor allem kleinere Betriebe ächzen unter der wachsenden Belastung, die nicht nur aus steigenden Energie- und Personalkosten resultiert, sondern auch aus veränderten Gästebedürfnissen und Kommunikationsgewohnheiten. Buchungsprozesse, die früher digital und effizient liefen, wandeln sich in eine intensive Betreuungssituation: Rückfragen, Sonderwünsche, lange Telefonate, oft mit Gästen, die einfach jemanden zum Reden brauchen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Gast ruft an, um Details zu seiner Reservierung zu besprechen. Das Gespräch dauert über 30 Minuten. Der Mitarbeitende am Empfang ist freundlich, hilfsbereit, serviceorientiert, so, wie wir es uns wünschen. Aber wirtschaftlich betrachtet ist die Buchung damit oft nicht mehr rentabel. Die Personalkosten übersteigen schnell die Marge des Übernachtungspreises.
Wir müssen uns ehrlich fragen: Ist individueller Gästeservice ein Auslaufmodell?
Natürlich ist es verständlich, dass Menschen mehr Gesprächsbedarf haben. Studien zeigen: Einsamkeit ist zu einer Volkskrankheit geworden. Laut der internationalen Cigna-Studie von 2023 fühlen sich 61 Prozent der Menschen regelmässig einsam. Die WHO bezeichnet Einsamkeit inzwischen als «stille Epidemie» mit vergleichbaren gesundheitlichen Auswirkungen wie beim Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag. Der Wunsch nach menschlicher Verbindung ist real und wird an Servicekräfte, Hotlines und Réceptionen herangetragen.
Doch während sich andere Branchen, vom Supermarkt über Banken bis zum Fast-Food-Sektor, längst mit Automatisierung und Selbstbedienungssystemen helfen, erwartet man in der Hotellerie weiterhin maximale persönliche Betreuung. Ohne zu hinterfragen, was dieser Anspruch kostet und wer ihn am Ende bezahlt.
Wir müssen uns daher ehrlich fragen: Ist individueller Gästeservice ein Auslaufmodell? Oder wird er zum Luxus, den sich nur noch eine bestimmte Klientel leisten kann und will? Die Realität ist: Wer auf persönlichen Service setzt, braucht Zeit, Personal und Kompetenz, und all das wird teuer. Gleichzeitig gibt es auf Gästeseite eine wachsende Erwartungshaltung bei sinkender Zahlungsbereitschaft. Das passt nicht zusammen.
Wenn die Branche nicht in ein wirtschaftliches Ungleichgewicht geraten will, braucht es eine ehrliche Debatte. Über Servicelevel, Preismodelle und die Frage, wie viel Menschlichkeit wir uns als Gesellschaft überhaupt noch leisten wollen. Es geht nicht um das Abschaffen des persönlichen Kontakts, sondern um ein realistisches, tragfähiges Mass. Denn auch in der Dienstleistung gilt: Qualität braucht Ressourcen. Und Wertschätzung.
Zur Person
Marco Nussbaum ist Hotelier, Unternehmer und Branchenvordenker. Nach Führungspositionen in internationalen Hotelgruppen gründete er die Marke Prizeotel, die später von der Radisson Hotel Group übernommen wurde. Heute ist er Co-Founder und CEO der Hiamo AG und engagiert sich als Dehoga-Präsidiumsmitglied, IHA-Vorstand sowie in verschiedenen Aufsichtsräten für eine zukunftsfähige Branche: werteorientiert, digital und menschlich geprägt. Zudem ist er regelmässig als Kolumnist, Speaker und Podcaster aktiv.
