Najat Kaanache führt das Restaurant Nur in Fès. Das Kochhandwerk hat sie unter anderem im «El Bulli» in Katalonien (SP) und im «Noma» in Kopenagen (DK) gelernt. Sie wurde von «World’s 50 Best» zur besten marokkanischen Köchin der Welt erkoren. Am St. Moritz Gourmet Festival war sie Gastköchin bei Janko Glotz im Hotel Nira Alpina.

Frau Kaanache, nach dem Dinner gingen Sie spät schlafen, in der Früh sind Sie schon wieder auf den Beinen.
Ich brauche nicht viel Schlaf, ich will ja nicht die Hälfte meines Lebens verschlafen. Ich ging um halb drei schlafen, kurz vor sieben stand ich auf: Es schneite, da konnte ich nicht liegen bleiben!

Wie war es für Sie, nach St. Moritz zu kommen?
Ich wusste überhaupt nicht, was mich hier erwartet. Ich hatte nur meine Turnschuhe an, es war eiskalt, die dachten wohl, wer ist diese verrückte Person!

Sie tragen Ihre farbigen Kleider auch beim Kochen – warum?
Ich will, dass es mir bequem ist. Als Chef muss man nicht in Kochkleidung in der Küche stehen, das ist bloss eine fixe Vorstellung.

In der Küche des «Nira Alpina» herrschte eine ruhige Stimmung. Ist das immer so?
Ja, wenn du 16, 17 Stunden in der Küche stehst, ist es wichtig, ruhig zu bleiben. Rumschreien vertreibt nicht nur die Heiterkeit, Lärm stört die Arbeit. Du musst die Küche hören können. Wenn jemand nicht richtig mit dem Schwingbesen hantiert, höre ich das und kann es korrigieren. Ebenso, wenn jemand Gemüse schneidet – ich höre am Geräusch, wie jemand arbeitet. Die Küche spricht zu dir. Ich bin nur explosiv, wenn etwas schiefgegangen ist – weil ich die Verantwortung trage.

Sind Sie gerne ein Vorbild?
Ich motiviere gerne, das tue ich die ganze Zeit. Gestern fand eine Köchin im Team: «Ich kann das nicht!» Ich habe zu ihr gesagt: «Atme tief ein und aus, und dann machst du es.» Und dann ist ihr gelungen, was vorher nicht ging.

Wie ist man eine gute Chefin?
Man muss führen können und die Mitarbeitenden spüren und wissen, wer was wie gut kann – und darauf eingehen.

Ihre Gerichte widerspiegeln Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der marokkanischen Küche – was heisst das genau?
Die Geschmäcker sind die Vergangenheit, die Produkte, mit denen wir arbeiten, sind die Gegenwart. Die Art, wie wir sie präsentieren, und die Techniken, die wir benutzen, das ist die Zukunft.

Sie haben im marokkanischen Fès seit sechs Jahren Ihr eigenes Restaurant. Warum dort?
Ich habe etwas gebraucht, das es mir erlaubte, ich selbst zu sein. Fès war der perfekte Ort, um mich frei zu fühlen. Es machte Sinn, denn als Kind war ich jeden Sommer dort. All die Gerüche sind noch immer da, diese finde ich nur dort in der Medina.

Sie sind viel gereist und haben auch Projekte gegen Hunger ins Leben gerufen. Tun Sie das nach wie vor?
Ich wollte immer viel sehen und lernen. Auf meinen Reisen habe ich viele unterprivilegierte Menschen getroffen – das gibt einem eine neue mentale Perspektive. Wir unterstützen in Fès viele Handwerker, Teppichknüpferinnen, Fischer und so weiter. Ich tue das, weil es ein Teil davon ist, wie ich bin.

«Eine Auszeichnung sagt nichts darüber aus, wer du bist.

Was bedeuten Ihnen Preise?
Auszeichnungen sagen nichts darüber aus, wer du bist. Sie verändern auch nichts. Wenn du einmal weisst, wer du bist, dann fährst du einfach weiter mit Arbeiten.

Was treibt Sie an?
Der Hunger nach Leben, Erfahrung, Umsetzen und Lernen. Ich trainiere mein Hirn täglich, weil ich immer wieder neue Lösungen finden muss.

Sie führen das Gegenteil eines gemütlichen Lebens.
Mein ganzes Leben ist riskant. Wer ein eintöniges Leben führt, ist in einer sicheren Situation, aber das Gehirn schläft ein. Ich bin aber immer bereit, mich auf Neues einzulassen.

Welches Erlebnis wird Ihnen von St. Moritz bleiben?
Die Fahrt mit der Luftseilbahn und der Moment in den weissen Berggipfeln. Es war so schön, ich habe geheult.

Das St. Moritz Gourmet Festival zelebriert in seiner 29. Ausgabe die «Middle Eastern Cuisine». Zehn internationale Gastköchinnen und -köche beehren die Region mit ihrer arabischen, israelischen, libanesischen, palästinensischen, marokkanischen, griechischen und türkischen Küche. Das Festival fand vom 20. bis am 28. Januar 2023 in verschiedenen Hotels in St. Moritz, Champfèr, Pontresina, Sils i. E. und Silvaplana statt. Neben den mehrgängigen Gourmetdinners bietet der Anlass Gourmet-safaris, Weindegustationen, einen Mountain Brunch, eine Kitchenparty und vieles mehr.
stmoritz-gourmetfestival.ch

Claudia Langenegger