Die Zahl der Gäste aus den Golfstaaten hat in der Schweiz in den letzten Jahren stark zugenommen. So reisten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten gemäss Bundesamt für Statistik 2011 erst 47 672 Gäste in die Schweiz, im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es bereits 122 923. Und während 2011 aus Saudiarabien 47 267 Menschen die Schweiz besuchten, kamen 2019 bereits 115 825. Im Ausland-Gesamtmarkt machen Gäste aus den Golfstaaten derzeit gemäss Schweiz Tourismus etwa sieben Prozent aus.

Und keine Gästegruppe gibt pro Tag mehr Geld aus – 420 Franken sind es pro Person pro Tag laut Statistik. In Interlaken, einem Schweizer Hotspot für Golfstaaten-Touristen, gibt es denn auch zahlreiche Gastroangebote, die laut Hotel beziehungsweise Restaurant halal sind, also den islamischen Vorschriften entsprechen.

Importiertes Fleisch von Händler aus Thun
Eines der Hotels mit Halal-Angebot ist das 4-Sterne-Hotel «Metropole». Direktor Marco von Euw verfügt über jahrelange Erfahrung mit muslimischen Gästen. Ihnen bietet das Hotel zur Hauptreisezeit von Mitte Juni bis Ende September eine Reihe von Halal-Gerichten und -Produkten an. Das Fleisch bezieht das Hotel von einem Händler aus Thun, welcher es aus dem Ausland importiert.

Arabische Gäste erhalten gemäss von Euw eine angepasste Speisekarte, die zusätzlich Halal-Gerichte enthält, nicht aber alkoholische Getränke. Auch für den Room-Service gebe es eine angepasste Speisekarte. Jenen, die streng nach dem Glauben lebten, wolle man die Möglichkeit bieten, sich nach den religiösen Vorschriften ernähren zu können. «Aber wir überlassen es den Gästen, ob sie auch einmal eine Schweizer Spezialität wie ‹Zürigschnätzlets› probieren wollen», sagt von Euw. Am Frühstücksbuffet biete man mit dem «Arabian Food Corner» einen separaten Bereich mit typisch arabischen Gerichten an, so etwa mit Halal-Fleisch, Früchten, Gemüse, Fladenbrot und Datteln.

Die Küche des «Metropole» verwendet Fleisch, welches der Händler mit Zertifikat liefert, sowie vegetarische Produkte, die ebenfalls als halal gelten. Die Küche verwende darüber hinaus keine verarbeiteten Produkte, die mit einem Label oder einem Zertifikat als halal deklariert seien. Die meisten Gästefragen bezögen sich denn auch aufs Fleisch, bestätigt von Euw: «Ein- bis zweimal pro Woche erkundigen sich Gäste, ob das Fleisch wirklich von einem geschächteten Tier stammt. Meist sind sie positiv überrascht, wenn wir ihnen das bestätigen.» Gäste fragten zudem hin und wieder, ob bestimmte Süssspeisen Alkohol enthielten. Darum sei es wichtig, dass das Servicepersonal darüber Bescheid wisse. Fragen nach Gelatine – die Muslime gemäss Vorschrift ebenfalls nicht konsumieren dürfen – habe es in den letzten fünf, sechs Jahren keine gegeben.

Bürgenstock Hotels bieten «halal» auf Vorbestellung an
Etwas anders als das «Metropole» behandeln die Hotels der Bürgenstock Collection das Thema «halal». Laut Mike Wehrle, Corporate Culinary Director der Bürgenstock Collection, bieten sämtliche Restaurants der Hotelgruppe Halal-Gerichte nur auf Vorbestellung an. Das Fleisch stammt aus verschiedenen Ländern Europas. «Wie bei allen anderen Produkten werden Schweizer Produzenten, wenn die Qualität stimmt, bevorzugt gelistet», so Wehrle.

Die Bürgenstock-Restaurants arbeiten nicht mit Deklarationen, wie dies andere Hotels am Frühstücksbuffet oder auf der Speisekarte tun. Das sei nicht nötig, da die Gerichte ja nur auf Bestellung serviert würden. Eine Zertifizierung der Restaurants ist laut Wehrle nicht angedacht, Zertifikate seien aber bei den gelieferten Produkten vorhanden. Gemäss Wehrles Erfahrungen fragen nicht allzu oft Gäste nach Halal-Essen. «Es ist eine kleine Minderheit, die sich explizit für Halal-Produkte interessiert.»

«Metropole» bietet «halal» saisonal permanent an
«Wenn man dieses Gästesegment ansprechen will, muss man deren Bedürfnisse kennen und sich einigermassen konsequent danach ausrichten», sagt hingegen «Metropole»-Direktor von Euw. Dazu gehört für ihn auch, ein Halal-Angebot mindestens saisonal permanent anzubieten, statt bloss auf Vorbestellung. «Wir sind so zentral gelegen, dass die Gäste wohl eher auf andere Restaurants ausweichen würden, wenn sie vorreservieren müssten», sagt von Euw.

Abgesehen vom Essen geht das Hotel Metropole bis zu einem gewissen Grad auch in anderen Bereichen auf spezifische Bedürfnisse von arabischen Gästen ein: Auf Anfrage seien gemeinsame Gebete im Seminarraum möglich. «Wir haben aber die Richtung nach Mekka nicht gekennzeichnet, um nicht Andersgläubige damit zu stören.» Gebetsteppiche mit Kompass würden die Gäste ohnehin meist selbst mitbringen.

Von Euw stellt in den letzten Jahren eine Veränderung bei den Gästen fest – hin zu einer weniger strikten Haltung. Und zwar auch bei Gästen aus eher konservativen Ländern wie Saudiarabien oder Kuwait. Dass arabische Gäste reklamierten, weil sie von einer Frau an der Réception empfangen würden, komme etwa kaum mehr vor.

Entsprechend habe auch die Toleranz gegenüber Produkten, die nicht den islamischen Vorschriften entsprächen, zugenommen. «Diesen Sommer mussten wir keine einzige Minibar mehr leeren», sagt von Euw. Schon vor fünf Jahren habe das Hotel aufgehört, standardmässig die alkoholischen Getränke vor der Ankunft von Gästen aus muslimischen Ländern aus der Minibar zu entfernen. Von Euw rät zu einem authentischen Umgang mit dem Thema «halal». Es gelte, weder die eigene Kultur zu verleugnen, noch die fremde Kultur zu bewerten. Unterschiedliche Gästegruppen seien gleich zu behandeln.

Für die einen geht Alkohol, Schweinefleisch jedoch nicht
Wie aber schätzen es Experten ein: Wie wichtig ist den arabischen Gästen, dass sie in den Ferien halal essen können? Khaldoun Dia-Eddine, Leiter des Desk for Middle East and Africa Business an der ZHAW School of Management and Law in Winterthur, teilt die Gäste aus muslimischen Ländern in vier Gruppen ein:

  • Die erste Gruppe hält die Regeln des Islam strikt ein und lehnt nicht nur Schweinefleisch und Alkohol, sondern auch verbotene Zutaten ab, so etwa Schweinefett.
  • Zur zweiten Gruppe gehören jene, die nicht zu sehr und detailliert hinschauen, ausser bei klar gekennzeichneten Produkten, die Alkohol oder Schweinefleisch enthalten.
  • Die dritte Gruppe schaut selektiv hin. «Sie achten vielleicht nur darauf, Schweinefleisch zu vermeiden, sind aber bei Alkohol weniger wählerisch. Sie können die Regeln einmal befolgen und am nächsten Tag nicht mehr.»
  • Die letzte Gruppe umfasst jene, die sich überhaupt nicht um das Thema kümmern. «Sie essen alles, was serviert wird.»

Wie gross die Anteile der Gruppen seien, lasse sich nicht sagen, so Dia-Eddine. «Ausserdem gibt es wie in jeder Gemeinschaft auch Leute, die etwas sagen und etwas anderes tun», merkt er an.

Um als Betrieb kompetent mit dem Thema umzugehen, schlägt er eine kurze Schulung von zwei Stunden für das Personal in der Küche vor, kombiniert mit zusätzlichen Audits in der Küche. Dies könnte in Zusammenarbeit mit einer islamischen Organisation wie der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids), des grössten Dachverbands der Schweiz, geschehen. Um mit dem Thema gut umzugehen, gebe es drei wichtige Punkte: Zunächst müsse das Personal in der Küche ausgebildet sein. Ausserdem gelte es, offen und transparent zu sein, etwa mit einer klaren Deklaration der Speisen. Drittens sei eine Art Zertifizierung wichtig, die bei Produkten für Muslime Klarheit schaffe. «So kann das Hotel offen und risikofrei mit allen Kunden umgehen, unabhängig von deren Position und Meinung», sagt Dia-Eddine.

Bleibenden Eindruck bei den Gästen hinterlassen
Nach Einschätzung von Schweiz Tourismus haben Halal-Angebote zumindest mittelfristig einen positiven Einfluss auf das Buchungsverhalten der Gäste. Zwar sei die Verfügbarkeit von Halal-Gerichten kein Buchungskriterium. «Verbindungstüren oder Klimaanlagen sind vor allem in heissen Sommern ungemein wichtiger», sagt Sprecher André Aschwanden. «Aber die Touristinnen und Touristen schätzen vor Ort die Verfügbarkeit von Halal-Speisen.» So erhöhe sich die Chance , dass die Schweizer Leistungsträger einen exzellenten und bleibenden Eindruck hinterliessen und die arabischen Reisenden zurückkehrten.

Die Bemühungen der Branche in Interlaken, auf die Bedürfnisse der arabischen Gäste einzugehen, scheinen sich auszuzahlen. Die Zahlen sprechen jedenfalls für sich: Brachten es Touristen aus den Golfstaaten in Interlaken im Jahr 2011 erst auf gut 1000 Logiernächte, waren es im Jahr 2019 fast 92 000.

Interlaken Tourismus organisiert seit 2012 regelmässig interkulturelle Workshops, unter anderem für Mitarbeitende von Beherbergungsbetrieben und Restaurants. Dabei ermöglichen Referenten einen Einblick in die kulturellen Hintergründe der Gäste aus verschiedenen Herkunftsmärkten und geben Tipps zum Umgang mit ihnen.

Muslim spricht Gebet bei Schlachtung
«Halal» bedeutet «gestattet» oder «zulässig». Nach muslimischen Vorschriften sind Schweinefleisch, Blut und Fleisch von verendeten Tieren tabu. Nach strikter Auslegung bedeutet Letzteres, dass Tiere nicht betäubt werden dürfen bei der Schlachtung. Die islamische Lehre schreibt zudem vor, dass die Schlachtung von einem erwachsenen Muslim ausgeführt wird und dieser dabei ein kurzes Gebet oder mindestens den Namen Allahs ausspricht.
Die Schweizer Verfassung gewährt zwar die Glaubens- und Gewissensfreiheit, das Tierschutzgesetz untersagt jedoch das Schlachten von Säugetieren ohne Betäubung. Die Schweiz löst das Dilemma, indem sie die Schächtung verbietet, aber den Import von Fleisch von geschächteten Tieren erlaubt: Jährlich werden 410 Tonnen Rind- und 175 Tonnen Schaffleisch aus Ländern importiert, in welchen die Schächtung erlaubt ist, so etwa aus Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland.
Die Kontingente legt die Agrareinfuhrverordnung (AEV) fest, via Versteigerung kommt das Fleisch auf den Markt. In einzelnen Schweizer Schlachthöfen gibt es Schlachtungen nach muslimischen Regeln, allerdings mit Betäubung – so etwa in Hinwil ZH. Für Muslime gemässigter Glaubensrichtungen ist das akzeptabel. Muslime weichen auf vegetarische Produkte, Fisch und Meeresfrüchte aus, wenn keine Fleischgerichte mit Halal-Fleisch verfügbar sind.
Allerdings ist nicht jedes fleischlose Lebensmittel beziehungsweise Produkt automatisch halal. So trifft das etwa auf Käse nur dann zu, wenn das verwendete Lab von einem Kalb stammt, das nach den entsprechenden Vorschriften gehalten und geschlachtet wurde. Haram, also verboten, kann ein Produkt in einer Reihe weiterer Fälle sein. Beispielsweise sind Süssigkeiten mit Gelatine, die meist aus Schweineknochen hergestellt wird, nicht halal. Ebenso kann ein zugefügter Aromastoff nicht erlaubten Alkohol als Trägersubstanz enthalten.
Industriebetriebe, zum Beispiel Aromenhersteller, lassen ihre Produkte hinsichtlich halal zertifizieren. ua


Nachgefragt

Önder Güneş, Sprecher der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids)

Herr Güneş, ist es aus Sicht der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids) sinnvoll, wenn sich ein Hotelbetrieb in Sachen «halal» zertifizieren lässt?
Vielen Muslimen ist vor allem wichtig, Schweinefleisch zu vermeiden und dass ihr Essen bei der Zubereitung auch nicht mit Produkten vom Schwein in Kontakt kam. Zudem legen sie Wert darauf, dass das Fleisch nach islamischen Richtlinien geschlachtet und verarbeitet wurde und keine tierischen Zusätze enthält, die nicht halal sind. Eine Zertifizierung des Betriebs wäre tatsächlich ein Pluspunkt. Gäste hätten so die Gewissheit, dass sie das Essen ohne Bedenken geniessen können.

Aber?
Es gibt verschiedene Firmen in der Schweiz, die Zertifizierungen anbieten. Das Problem ist, dass es keine Richtlinien gibt und auch kein Lebensmittelinspektorat kontrolliert, wie glaubwürdig ein solches von einem privaten Unternehmen herausgegebenes Halal-Siegel ist. Wir vom Fids sind aktuell daran, eine Zertifizierung auszuarbeiten. Dabei arbeiten wir mit dem Europäische Halal-Zertifizierungsinstitut (EHZ) in Hamburg zusammen. Aufgrund der Reputation und der Referenzen sind wir sicher, dass sie es seriös angehen.

Es gibt zertifiziertes Halal-Fleisch aus der Schweiz, andererseits gibt es Kontingente für importiertes Halal-Fleisch. Was empfehlen Sie Hotels?
Wenn jemand in der Schweiz geschlachtetes Fleisch als halal taxiert, dann können wir das einfach nur glauben. Diese Person steht in der Verantwortung, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Wer als Konsument darauf vertraut, den trifft keine Schuld, falls mit dem Produkt doch etwas nicht in Ordnung sein sollte. Somit kann ein Hotel je nach Marktverfügbarkeit Halal-Fleisch aus der Schweiz oder auch aus dem Ausland verwenden. Beides ist valabel.

Würden Sie Hotels raten, Schweizer Halal-Fleisch speziell zu deklarieren?
Das ist aus meiner Sicht nicht zwingend. Für die meisten Gäste wird es ausreichend sein zu wissen, ob etwas halal ist oder nicht. Muslimen ist es wichtig, dass Halal-Gerichte nicht mit Speisen in Kontakt kommen, die dies nicht sind. Die Pfanne muss also vor dem Braten zwingend gereinigt worden sein.

Muss eine Hotelküche Halal-Gerichte in einem separaten Bereich zubereiten?
Im Idealfall ja. Das würde helfen. Es ist allerdings auch klar, dass Hotels schauen müssen, dass die Rechnung aufgeht. Separate Bereiche in den Küchen sind wohl nicht praktikabel.

Was raten Sie im Hinblick auf das Frühstücksbuffet?
Auch hier gilt: Wenn Halal-Gerichte kommen mit Speisen in Berührung, die nicht halal, sondern haram sind, war die Mühe umsonst. Die Halal-Speisen sollten deshalb in klar abgetrennten Bereichen bereitstehen. Manchmal werden Fruchtsäfte mit Gelatine geklärt. Das ist ein Schweinefleischprodukt. Meines Wissens kann man keine Fruchtsäfte kaufen, die auf der Packung ein Halal-Siegel tragen. Man müsste also zuerst herausfinden, wie der Fruchtsaft geklärt wurde. Naturtrüber Apfelsaft ist eine Alternative. Muslime können jedenfalls auf vegetarische Gerichte ausweichen. Oder auf Fisch und Meeresfrüchte – diese sind immer halal.

Wie sollen Hotels gegenüber muslimischen Gästen mit Alkohol umgehen?
Dass muslimische Gäste keinen Alkohol zu sich nehmen, auch keinen, der sich in einem Produkt versteckt, ist für sie ein Thema. Aber es ist völlig klar, dass ein Hotel in der Schweiz alkoholische Getränke im Angebot hat und diese auch nicht zu verstecken braucht.

Ueli Abt