Die Personenfreizügigkeit steht wieder unter Beschuss. Im Nationalrat wird in der Herbstsession über die Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» debattiert, die nichts weniger verlangt als das Ende der Personenfreizügigkeit mit der EU. Für die Hotellerie wäre das fatal – und für mich als Gastgeberin im Glarnerland eine nicht zu vernachlässigende Herausforderung.

Wenn unser Hotel voll ausgebucht ist, betreuen wir bis zu 150 Gäste – Familien in den Ferien, internationale Gäste auf Schweizreise, Stammgäste, die seit Jahren wiederkommen. Dahinter stehen 65 Mitarbeitende, die jeden Tag dafür sorgen, dass sich die Gäste willkommen fühlen. 21 sind Schweizerinnen und Schweizer, 6 von ihnen machen ihre Ausbildung bei uns. Viele andere stammen aus Deutschland oder Portugal, etliche wohnten bereits vor ihrer Anstellung in der Schweiz.

Ohne die Personenfreizügigkeit wäre es um einiges schwieriger und herausfordernder, diesen Betrieb in der heutigen Form zu führen. Dabei geht es nicht um Löhne. Wir zahlen vergleichbar mit Detailhandel oder Pflege, dazu gibt es Wochenendzuschläge und Boni. Trotzdem finden sich kaum Schweizerinnen und Schweizer, die in unserer Branche arbeiten wollen. Das liegt weniger am Einkommen als am geringen gesellschaftlichen Ansehen und den unregelmässigen Arbeitszeiten. Ich erinnere mich an eine junge Schweizerin, die mit Begeisterung bei uns die Lehre absolvierte. Doch ihre Eltern kritisierten ständig ihre Arbeitszeiten, und der Abschluss der Ausbildung stand auf der Kippe.

Diese Initiative wäre ein Schlag gegen den Schweizer Tourismus.

In Ländern wie Österreich oder Italien gilt die Arbeit im Gastgewerbe als ehrbare Aufgabe. In der Schweiz leider weniger. Und doch ist es ein Beruf mit Zukunft. Gastfreundschaft kann nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. Es sind Menschen, die an der Réception willkommen heissen, beim Frühstück spontan ein Gespräch führen oder flexibel auf Sonderwünsche eingehen. Genau das macht den Unterschied. Hinzu kommt die hohe Fluktuation in unserer Branche: Lehr- und Wanderjahre gehören dazu, Stellen müssen ständig neu besetzt werden. Würden wir bei jeder Anstellung aus der EU ein langwieriges Bewilligungsverfahren durchlaufen müssen, wäre das für kleine und mittlere Betriebe schlicht nicht zu stemmen.

Darum ist die Debatte im Nationalrat so brisant. Diese Initiative wäre nicht nur ein Schlag gegen den Tourismus, sondern gegen die ganze Schweizer Wirtschaft. Wir Schweizerinnen und Schweizer sind mitten in Europa, mit dem wir viele unserer Werte teilen. Wenn wir uns abschotten, verlieren wir unsere grösste Stärke: die Offenheit, mit der wir Gäste aus aller Welt empfangen.

Nadja Vogel ist Direktorin des Märchenhotel Braunwald.