Christoph Marty, Ende November und Anfang Dezember herrschte in weiten Teilen der Alpen und des Alpenvorlands Schneechaos, im Tessin hatten wir erst vor ein paar Tagen drei Meter Neuschnee. Dennoch gilt der Winter 2023/24 als wärmster seit Beginn der Messungen vor 60 Jahren. Wie passt das zusammen?
Selbst in einem warmen Wintern kann es während einiger Tage bis ins Flachland Schnee geben, und das flächendeckend und nicht nur vereinzelt. Dazu braucht es lediglich ein zufälliges Zusammenspiel von kalter Luft und Niederschlag, und das hatten wir während des angesprochenen Monatswechsels und im Januar. Wenn wir nur die Anzahl Schneetage im Mittelland betrachten, ist dieser Winter gar nicht so schlecht. Die ersten Schneemassen überraschten ja sogar die Skigebiete. Die waren noch gar nicht bereit, den Betrieb aufzunehmen. Das änderte sich dann aber ziemlich rasch.

Wann genau?
Pünktlich mit Beginn der Weihnachtsferien. Da änderte sich die Grosswetterlage, es wurde wärmer, und der Schnee schmolz dahin. In der Folge wurde es in tieferen Lagen wieder grün. Die hoch gelegenen Skigebiete profitieren zwar noch heute von dem starken Start in den Winter. Aber über den gesamten Winter beziehungsweise die Monate Dezember bis Februar betrachtet, lag die Temperatur gemäss MeteoSchweiz 3,6 Grad über der Norm, was dem mildesten Winter seit Messbeginn 1864 und dem sechsten Winter in Folge mit mehr als einem Grad Temperaturüberschuss entspricht.

Aber vergangenes Jahr lag nicht so viel Schnee, obwohl es sogar leicht kühler war!
Leicht kühler nützt nicht viel, wenn der Niederschlag weitgehend fehlt wie im vergangenen Winter. In der Saison 2022/23 war die Luft vor allem sehr trocken und warm, was zu Schneemangel in allen Höhenlagen geführt hat. Dieser Winter ist bis jetzt eher feucht und warm, was unterhalb von tausend Metern mehrheitlich zu Regenfällen und somit unterdurchschnittlichen Schneehöhen geführt hat. Nur oberhalb von 1500 Metern fiel überdurchschnittlich viel Schnee, der dann aber wegen der grossen Wärme zum Teil wieder weggeschmolzen ist, was der Grund ist, dass nur oberhalb von zweitausend Metern überdurchschnittliche Schneehöhen liegen. Das heisst, dieser Winter ist bis jetzt durch Schneearmut unter 1500 Metern und durch Schneereichtum über zweitausend Metern gekennzeichnet. Dennoch haben die beiden Jahre auch eine Gemeinsamkeit.

Welche ist das?
Die Konsequenz für tiefe Lagen ist die gleiche. Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit extrem, dass Luftmassen wärmer sind als früher. Kommt heute eine wärmere Luftmasse von Südwesten, ist diese gegenüber der vorindustriellen Zeit um zwei Grad wärmer, das macht für den Schnee extrem viel aus, denn er reagiert extrem empfindlich auf Temperaturen über Null Grad. Im Flachland lagen die Schweizer Wintertemperaturen früher knapp unter Null Grad. Jetzt liegen wir oft darüber, und dann regnet es häufiger und der gefallene Schnee schmilzt schneller wieder. Das heisst, je weiter unten, umso klarer war die Schneearmut in beiden Wintern.

Sehen wir hier einen Trend?
Dass ein Jahr wärmer ist als das zuvor, überrascht schon. Zumindest, wenn es wie jetzt das vierte Mal in Folge passiert. Denn dass es durch den Klimawandel langfristig wärmer wird, bedeutet nicht, dass jeder künftige Winter wärmer ist als der jeweils vorhergehende. Von der Wahrscheinlichkeit her müsste einer der kommenden Winter wieder etwas kühler sein als die vergangenen. Es kann durchaus auch im Alpenraum kurzfristig wieder einmal etwas kälter werden, mit kurzen Phasen mit relativ viel Schnee. Klar ist aber auch: So kalt wie früher wird es nicht mehr werden.

Ihre Prognose für die kommenden Jahrzehnte?
Für Höhenlagen bis 1500 Meter sieht es definitiv nicht gut aus. Ich sage nicht, jedes künftige Jahr wird schneeärmer als das vorhergehende, aber je weiter wir in die Zukunft schauen, desto schneeärmer wird es. 

Dieser Beitrag erschien erstmals auf der Website des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF.