Der Reisehunger ist gross. Auch die Gäste aus den Fernmärkten kehren wieder in die Schweiz zurück. Unter den Anbietern und Gastgebern überwiegt die Vorfreude auf deren Rückkehr. Bei der lokalen Bevölkerung machen sich da und dort Befürchtungen über Overtourism breit. Wie gross wird der Andrang sein?

[RELATED]Welchen Effekt das erneute Reiseaufkommen im ersten normalen Tourismusjahr nach der Pandemie haben wird, ist schwierig vorauszusagen. Sicher ist, dass das Nachholbedürfnis überall vorhanden ist. Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger findet es notwendig, eine Balance zwischen den Bedürfnissen der Gäste, der Tourismusakteure und der lokalen Bevölkerung zu schaffen. Die Frage nach dem Wie kann aber auch er nicht abschliessend beantworten.

Herr Nydegger, wird der Rekord von 39 Millionen Logiernächten aus dem Jahr 2019 getoppt?
Wenn dieses Jahr alles so funktioniert, wie es zurzeit den Anschein macht, kann es durchaus sein, dass wir uns wieder Richtung Logiernächtezahlen von 2019 bewegen. Das ist sehr erfreulich. Grundsätzlich sollte es aber nicht unser Ziel sein, nur Frequenzen zu toppen.

Sondern?
Wir sollten unseren Erfolg nicht alleine an den Logiernächten messen. Stattdessen wäre es wichtig, vermehrt Wertschöpfungszahlen in den Vordergrund zu rücken. Oder noch besser: Die Zufriedenheit der Gäste und der touristischen Akteure, aber auch der Bevölkerung sollte für den Erfolg des Tourismus massgebend sein.

Die einheimische Bevölkerung war in der Vergangenheit nicht immer glücklich über den grossen Besucherstrom und monierte Overtourism.
Overtourism ist eine Empfindungsfrage. Er entsteht, wenn der touristische Hochbetrieb die Befindlichkeit der Bevölkerung stört. Diese subjektive Wahrnehmung lässt sich aber kaum objektiv messen. In der Schweiz ist Overtourism stets ein geografisch wie zeitlich punktuelles Phänomen. Es wird nur an einzelnen Orten und Spitzentagen wahrgenommen. Overtourism ist sicher kein schweizweites Problem.

Wenn Tourismus den Einheimischen verleidet, ist unser Auftrag misslungen.

Könnte es eines werden?
Overtourism entsteht dann, wenn eine Destination attraktiv ist und sehr gut an sogenannte Eingangsportale wie Flug- oder Schiffshäfen angeschlossen ist. Und schliesslich entsteht Overtourism dort, wo es preislich günstig ist. Durch diesen letzten Punkt sind wir in der Schweiz vor Overtourism doch sehr gut geschützt.

Können Sie die Befürchtungen der Bevölkerung vor Overtourism nachvollziehen?
Es ist sogar essenziell, dass wir sie ernst nehmen. Tourismus hat keinen Selbstzweck und ist kein privatwirtschaftliches Phänomen. Tourismus hat eine volkswirtschaftliche Aufgabe. Dazu gehört auch die Aufrechterhaltung der Lebensqualität der lokalen Bevölkerung. Wenn Tourismus den Einheimischen verleidet, ist unser volkswirtschaftlicher Auftrag misslungen.

Wie lassen sich Besucherströme effektiv regulieren?
Die vollendete Lösung liegt noch nicht vor. Auch gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Jede Destination hat andere Voraussetzungen und Ansprüche und muss deshalb individuell betrachtet werden. Schweiz Tourismus kann auf nationaler Ebene deshalb nichts beitragen. Mit Verboten nur Frequenzen zu reduzieren, ist aber bestimmt nicht der richtige Weg.

Was raten Sie Tourismusorganisationen im Umgang mit der einheimischen Bevölkerung?
Indem man den Dialog sucht und den grossen Querschnittsnutzen des Tourismus aufzeigt, kann schon viel Verständnis erreicht werden.

Ist die Bearbeitung der Fernmärkte aus ökologischer Sicht vertretbar?
Mobilität hat immer eine Auswirkung auf die Umwelt. Wenn wir reisen, dann müssen wir das akzeptieren. Aber mit der Fernmarkt-Bearbeitung können wir wenigstens dafür sorgen, dass die Nachhaltigkeit so gross wie möglich ist. Das erreichen wir unter anderem durch längere Aufenthaltsdauer, durch die Promotion des öffentlichen Verkehrs oder durch zeitliche und geografische Diversifikation.

Wie gross ist das Nachholbedürfnis bei den chinesischen Gästen, zu reisen?
Es gibt keinen Grund, weshalb die Chinesen nach den langen Pandemieeinschränkungen nicht das gleiche Reisebedürfnis haben wie alle anderen Nationen auch.

Welcher Fernmarkt ist 2023 für die Schweiz besonders interessant?
Reisende aus Fernost kehren dieses Jahr generell zurück. Südostasien hat dabei das Potenzial, ein neuer Treibermarkt zu werden. Im Moment nehmen wir grosses Interesse aus Singapur, Thailand, Indonesien und Malaysia wahr.