Zwischen Bestand und Bewegung – die Architektur der Alpen
Was trägt, wenn sich alles verändert? In den Bergregionen treffen touristische Entwicklung, gesellschaftlicher Wandel, Klimadynamik und die Kraft der Natur aufeinander. Ein empfindliches Gefüge aus Landschaft, Tradition und Nutzung steht unter Druck. Dieses Dossier beleuchtet, wie Bestand gesichert, Innovation gefördert und Zukunft verantwortungsvoll gestaltet werden kann.
Projektionsraum
Sehnsucht nach den Bergen: Was Gäste in den Alpen suchen
Die Alpen als Projektionsraum einer heilen, ursprünglichen Welt: Das war schon vor 150 Jahren ein Thema. Die Parallelen sind erstaunlich. Damals wie heute suchen Gäste eine Authentizität, die es so nie gab. Nur die Inszenierung hat sich verändert.
Gaston Haas
In den Alpen trifft die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit auf eine perfekt vermarktete Fiktion. Seit über 150 Jahren suchen Gäste hier Zuflucht vor den Zumutungen der Moderne – damals wie heute. In den Alpen trifft die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit auf eine perfekt vermarktete Fiktion. Seit über 150 Jahren suchen Gäste hier Zuflucht vor den Zumutungen der Moderne – damals wie heute. Bild: Claudia Beyli / pixabay.com
Bild: Claudia Beyli / pixabay.com
Die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber gewisse Tendenzen tauchen wellenartig auf: Sie kommen und gehen. Eine solche Tendenz ist die Sehnsucht nach dem sogenannt Authentischen. Bereits im 19. Jahrhundert suchten Reisende in den Schweizer Alpen das, was ihnen die Industrialisierung 1.0 mit ihrer Beschleunigung, dem technologischen Wandel und den Ungewissheiten genommen hatte: Ruhe, saubere Luft, Halt und Gewissheit…
Alpine Tourismuskonzepte mit Zukunft: In verschiedenen Bergregionen entstehen touristische Projekte, die leer stehende Bauten neu beleben, das lokale Gewerbe einbinden und den Ort stärken – wie in Tenna, wo ein altes Berghotel zu neuem Leben erweckt wird.
Blanca Burri
Nora Devenish
Das Berghotel Alpenblick in Tenna wurde 2016 in gemeinnützigen Besitz überführt und soll ab 2026 wiederbelebt werden. Das Berghotel Alpenblick in Tenna wurde 2016 in gemeinnützigen Besitz überführt und soll ab 2026 wiederbelebt werden. Bild: zvg
Bild: zvg
Im Walserdorf Tenna im Safiental entsteht ein Hotelprojekt, das über klassischen Tourismus hinausdenkt. Statt Wachstum um jeden Preis setzt das Projekt «AlpenWeitBlick» auf Gemeinwohl, regionale Kreisläufe und ökologische Verantwortung. Das historische Berghotel Alpenblick wird ein AgriKultur-Hotel – mit Bio-Landwirtschaft, Alpine Food Lab, dem Innovationszentrum Berglandwirtschaft (IZB) und weiteren…
Grengiols: Gastfreundschaft in guter Nachbarschaft
Alpine Tourismuskonzepte mit Zukunft: In verschiedenen Bergregionen entstehen touristische Projekte, die leer stehende Bauten neu beleben, das lokale Gewerbe einbinden und den Ort stärken – wie in Grengiols, wo das Dorfhotel Poort a Poort auf regionale Identität setzt.
Blanca Burri
Nora Devenish
Schlicht und bewusst reduziert: Einfachheit ist Teil des gestalterischen Leitmotivs im Dorfhotel Poort a Poort. Schlicht und bewusst reduziert: Einfachheit ist Teil des gestalterischen Leitmotivs im Dorfhotel Poort a Poort. Bild: zvg
Bild: zvg
Das Projekt «Poort a Poort» soll dem Dorfkern von Grengiols im Landschaftspark Binntal wieder Leben einhauchen. Weil es im Dorf kein zeitgemässes Hotel mehr gab, entstand die Idee eines dezentralen Dorfhotels: Restaurant, Zimmer und gemeinschaftliche Nutzung auf mehrere Häuser verteilt – mit dem Ziel, Gäste als Teil der Dorfgemeinschaft zu empfangen. In der Folge wurde ein zum grossen Teil leer stehendes Gebäude…
Alpine Tourismuskonzepte mit Zukunft: In verschiedenen Bergregionen entstehen touristische Projekte, die leer stehende Bauten neu beleben, das lokale Gewerbe einbinden und den Ort stärken – wie in Gadmen, wo ein leer stehendes Schulhaus zur Gadmer Lodge wurde.
Nora Devenish
Blanca Burri
Hotpot der Gadmer Lodge mit Blick auf die Gadmer Dolomiten. Hotpot der Gadmer Lodge mit Blick auf die Gadmer Dolomiten. Bild: David Birri
Bild: David Birri
Wo zuvor Kinder Rechnen und Schreiben lernten, treffen sich heute Wandernde, Tourenskifahrer, Familien und Seminargruppen. Das ehemalige Schulhaus von Gadmen im Berner Oberland heisst seit 2019 Gadmer Lodge und wird als Hotel genutzt. Das Konzept vereint touristische Entwicklung mit sozialem Zusammenhalt und regionaler Verankerung.
Die Schliessung der Schule 2013 war Ausdruck eines langfristigen Trends:…
Die alpine Architektur ist leise, lokal und landschaftsverträglich. Sie setzt auf Natur. Drei Hotels in Graubünden, Uri und im Jura zeigen: Wer mit lokalen Materialien baut und die Landschaft respektiert, schafft echte Erlebnisse und verbindet Gastlichkeit mit Verantwortung.
Andreas Lorenz-Meyer
Die alpine Architektur setzt auf natürliche und regionale Materialien, viel Ruhe und Respekt gegenüber der Landschaft – so wie das In Lain Hotel Cadonau in Zernez. Die alpine Architektur setzt auf natürliche und regionale Materialien, viel Ruhe und Respekt gegenüber der Landschaft – so wie das In Lain Hotel Cadonau in Zernez. Bild: Marco Cadonau
Bild: Marco Cadonau
Jedes Hotel versucht, im Markt auf sich aufmerksam zu machen; etwas zu bieten, was andere nicht haben. Beim Hôtel des Horlogers, im Hochtal Vallée de Joux im Schweizer Jura gelegen, besteht die Besonderheit darin, dass es in die Natur eingebettet ist – und zwar so, dass man es deutlich sehen kann, wenn man davorsteht: An einem Hang liegend, fällt das Gebäude in einem ungewöhnlichen Zickzackkurs zum Tal hin ab und…
In Schweizer Bergtälern entstehen sogenannte Mountain Hubs, multifunktionale Zentren, die urbane Dynamik in die Peripherie bringen. Forscherinnen der Universität Bern sehen in diesem Modell grosses Potenzial.
Christoph Buchs
Schloss Löwenberg in Schluein: Einst Waisenhaus, heute kreativer Mountain Hub mit Ateliers, Start-ups und Kulturangebot. Schloss Löwenberg in Schluein: Einst Waisenhaus, heute kreativer Mountain Hub mit Ateliers, Start-ups und Kulturangebot. Bild: Adrian Michael / Wikipedia
Bild: Adrian Michael / Wikipedia
Die jüngere Geschichte des Schlosses Löwenberg oberhalb von Schluein, einem 600-Seelen-Dorf in der Surselva zwischen Ilanz und Laax, liest sich nicht gerade als Fabel der Glückseligkeit. Über 80 Jahre lang diente das Haus als Waisenanstalt. Später, von 1989 bis 2019, war das «Casti» ein Durchgangsheim für Asylsuchende. Das Haus war also über ein Jahrhundert lang ein Zufluchtsort für Menschen, die vom Leben hart…
Ob Viadukt oder Grandhotel: Die Schweiz verdankt ihren touristischen Reiz auch ihrer Baukultur. Doch wie lässt sich weiterbauen, ohne dabei zu verbauen?
Samuel Huber
Die Schweizer Baukultur prägt den Tourismus – und steht zugleich vor neuen Herausforderungen. Die Schweizer Baukultur prägt den Tourismus – und steht zugleich vor neuen Herausforderungen. Bild: zvg
Bild: zvg
Den alten Dorfkern von Andermatt prägen Holz und Naturstein. Den alten Dorfkern von Andermatt prägen Holz und Naturstein. Bild: zvg
Bild: zvg
Saas-Fee bewahrt die alten Stadel für die nächsten Generationen. Saas-Fee bewahrt die alten Stadel für die nächsten Generationen. Bild: zvg
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Das Devon House veranschaulicht eindrücklich die städtisch geprägte Wohnkultur im Puschlav des 19. Jahrhunderts. Das Devon House veranschaulicht eindrücklich die städtisch geprägte Wohnkultur im Puschlav des 19. Jahrhunderts. Bild: zvg
Bild: zvg
Die Schweiz verfügt über ein reiches baukulturelles Erbe: historische Altstädte, sakrale Bauten, Streusiedlungen, Eisenbahnviadukte und traditionsreiche Grandhotels. Diese Vielfalt zieht jährlich unzählige Gäste an. Der Tourismus lebt mit und von der Baukultur. Entsprechend ist das Interesse gross, dieses Erbe zu pflegen und sichtbar zu machen, es aber gleichzeitig auch funktional zu halten und weiterzuentwickeln.…
Ausgehend von einer langfristigen Vision, verwandelten die Gründer von Montagne Alternative und Anakolodge im Wallis jahrhundertealte Scheunen in ein Hotellerie- und Parahotellerie-Angebot. Eine sowohl architektonische als auch operative Herausforderung.
Laetitia Grandjean
Behutsame Wiederbelebung alpiner Bausubstanz: Anakolodge in La Forclaz umfasst sechs ehemalige Scheunen, Speicher und Ställe, die zu Ferien-Maiensässen umgebaut wurden. Behutsame Wiederbelebung alpiner Bausubstanz: Anakolodge in La Forclaz umfasst sechs ehemalige Scheunen, Speicher und Ställe, die zu Ferien-Maiensässen umgebaut wurden. Bild: Nicolas Sedlatchek
Bild: Nicolas Sedlatchek
Montagne Alternative in Commeire: In zwölf umgebauten ehemaligen Scheunen logieren seit 2009 Seminargruppen aus ganz Europa. Montagne Alternative in Commeire: In zwölf umgebauten ehemaligen Scheunen logieren seit 2009 Seminargruppen aus ganz Europa. Bild: Montagne Alternative
Bild: Montagne Alternative
Der Walliser Architekt Olivier Cheseaux erinnert sich an seine ersten Kontakte mit den Banken. Sein Projekt zur Umnutzung von sechs ehemaligen Speichern und Scheunen zu hotelähnlichen Maiensässen in La Forclaz im Val d’Hérens überzeugte nicht. Grund für die Skepsis der Banken war insbesondere die Lage. Es handelte sich bei dem 130-Seelen-Ort um kein bekanntes touristisches Ziel. [RELATED] «In Verbier oder in…
Martina Hollenstein, Initiantin des Innotour-Projekts «Klimafitte Destinationen», fordert ein neues Rollenbild: DMOs sollen nicht nur verkaufen, sondern den Umgang mit dem Klimawandel aktiv mitgestalten.
Blanca Burri
Zwei Jahreszeiten auf einem Sessellift: Das Symbolbild zeigt die realen Auswirkungen des Klimawandels. DMOs sind gefordert. Zwei Jahreszeiten auf einem Sessellift: Das Symbolbild zeigt die realen Auswirkungen des Klimawandels. DMOs sind gefordert. Bild: Dominik Taeuber
Bild: Dominik Taeuber
Im Mai verschüttete ein Bergsturz oberhalb von Blatten im Lötschental fast das ganze Dorf. Es war ein extremes, aber seltenes Ereignis. Häufiger sind schleichende Naturgefahren wie beim «Spitze Stei» in Kandersteg. Dort bedroht seit Jahren eine instabile Felswand die Umgebung. In der Folge entstehen neue Gefahrenzonen, die auch touristische Betriebe wie etwa das Belle Epoque Hotel Victoria direkt betreffen. [RELATED]…
Casimir Platzer: «Wir sind in der roten Zone eingestuft»
Seit 2018 wird der «Spitze Stei» oberhalb von Kandersteg überwacht. Casimir Platzer, Betreiber des Belle Epoque Hotel Victoria, investiert trotzdem weiter – und setzt sich für zusätzlichen Schutz ein.
Blanca Burri
Casimir Platzer betreibt des Belle Epoque Hotel Victoria in Kandersteg. Casimir Platzer betreibt des Belle Epoque Hotel Victoria in Kandersteg. Bild: Andrea Badrutt
Bild: Andrea Badrutt
Casimir Platzer, der «Spitze Stei» in Kandersteg wird seit 2018 überwacht. Wie genau ist Ihr Hotel von der roten Gefahrenzone betroffen? Unser Hotel befindet sich in einem Gebiet, das aktuell als rote Zone eingestuft ist. Der Betrieb läuft sehr gut. Wir haben erst im vergangenen Herbst umfangreiche Renovationen vorgenommen, und weitere Arbeiten sind geplant. Solche Erneuerungen sind zum Glück möglich und wichtig für…