Heiko Nieder, Sie sind frisch gekürter «Gault-Millau-Koch des Jahres 2019», Ihr «The Restaurant» im «Dolder Grand» trägt nun mit 19 Punkten die in der Schweiz bisher vergebene maximale Punktezahl. Wie fühlen sich die 19 Punkte an?

Sie fühlen sich toll an. Ich freue mich mächtig, das gesamte Team freut sich mit. Wahnsinn, was das alles mit sich bringt, all die Gratulationen. Man freut sich bis zum ersten Service danach – dann geht es weiter wie bisher. Dann muss man sich wieder auf das besinnen, was einem den Erfolg bescherte.

Sie klingen entspannt. Löst die Auszeichnung keinen neuen Druck oder Stress aus?

Den haben wir im Griff, sonst wäre es ja schlimm. Allerdings dachte ich im Vorfeld, dass ich am Tag nach der Gault-Millau-Titel-Verleihung angespannter sein werde. Das Gefühl am Dienstag nach der Prämierung war aber ein wohliges, voller Zufriedenheit.

Gehen Sie immer so entspannt mit Druck in der Küche um?

Ich bin schon lange in der Küche, es gibt wohl nichts, was ich hier noch nicht erlebte. Das macht gelassen. Und wenn man Vater ist, merkt man, dass es noch andere Probleme gibt als jene in der Küche. Früher hatte ich rund um die Uhr den Job im Kopf. Mit Familie endet der Job an der Haustüre, ich plane auch nicht mehr Speisekarten in den Ferien. Erstaunlicherweise habe ich, seitdem ich Vater bin, das Gefühl, ein noch besserer Koch zu sein.

Entspannung fördert bekanntlich die Kreativität.

Wenn ich im Restaurant stehe, bin ich jetzt fokussierter. Und wenn nicht, kann ich wirklich abschalten. Eine Familie erlaubt gar nichts anderes.

Sie gehören nun zum Kreise der sieben Schweizer 19-Gault-Millau-Punkte-Köche, davon drei aus der Deutschschweiz. Früher lag die Liga fast aus
schliesslich in den Händen von Romands. Kochen Deutschschweizer Köche heute besser?

Es sieht so aus (lacht). Ich denke, die modernere Küche, wie ich sie praktiziere, ist heute bei den Gourmetführern akzeptierter. In der Westschweiz orientierte man sich mehr an der französischen Küche. Die heutige Verteilung der Punkte in der Schweiz spiegelt also die Entwicklung der Gourmetküche wider.

Sie stammen aus Deutschland, haben dort gelernt, Ihre Karriere entwickelt. Ist es leichter, in der Schweiz in den Gourmethimmel aufzusteigen?

Umgekehrt. In der Schweiz ist schon das grundsätzliche kulinarische Niveau höher. Man kann in einem einfachen Restaurant gut essen. Kocht man in Deutschland gut, erhält man schnell Beachtung. Als Deut
scher hier so hoch aufzusteigen, dauert wohl schon etwas länger – der Gourmetführer will ja sicher sein, dass der so ausgezeichnete Koch nicht grad wieder das Land verlässt.

Ihr Menü, welches Sie bei der Punkteverleihung kochten, war von prägnanten, ja zum Teil fast widersprüchlichen Geschmackserlebnissen geprägt. Ist das Ihr Stil?

Ich möchte unserem anspruchsvollen Gast andere als die gewohnten Geschmackserlebnisse bieten. Dass der Gast denkt: Was meint er denn nur damit? Mir geht es dabei aber auch darum, dass mir der Job nicht langweilig wird. Das erreiche ich durch ungewohnte Kombinationen, indem ich teste, wie man Produkte auch noch anders geniessen kann.

Sie betonten mehrfach, dass Ihre Kunst das Ergebnis eines ganzen Teams ist. Welche Rolle spielen Sie in der Küche?

Ich denke mir alle Kreationen aus. Auf den Teller zum Gast kommen diese aber nur dank dem Team. Ich könnte das alles auch alleine kochen, aber dann gäbe es erst übermorgen was zu essen (lacht). Die Produktion ist komplett durch
organisiert, jeder weiss, was er tun muss, wer sein Stellvertreter ist.

Wie wirtschaftlich ist Ihr Res
taurant mit seinen 15 Tischen?

Bis auf einige Corporate-Service-Kosten des Hauses trägt sich das Restaurant selbst.

Wie schaffen Sie das?

Ich bin wirtschaftlich orientiert und schmeisse nichts weg. Zum einen aus Respekt vor der Ware, zum anderen wegen der Ökonomie. Ich bestelle viel kurzfristig, noch am Nachmittag für den Abend, Bianchi beliefert uns drei- bis viermal am Tag. Und am Mittag hilft uns das Amuse-bouche-Menü, das 90 Prozent der Lunch-Gäste bestellen, dass alles komplett verwertet wird.

Ein Gastrokommentar von Alexandre Caldara über das Menü von Heiko Nieder lesen Sie hier.