Noëmie Ruckstuhl, vor Ihrem Engagement in Pontresina arbeiteten Sie als Leiterin des Hotel Sunstar Piemont. Wie war die Zeit dort? 
Es war eine wunderbare Erfahrung, und ich hatte eine wirklich gute Zeit mit dem Team. Nun kann ich meine Italienischkenntnisse im Engadin nutzen. 

Was zog Sie zurück in die Alpen?
Definitiv der Job. Das «Sunstar Pontresina» war innerhalb der Hotelgruppe schon länger ein Thema. Als das Projekt näher rückte, habe ich mich beworben.

Seit einem Jahr leiten Sie das Hotel zusammen mit Eva Leitner. Was haben Sie in Ihr neues Büro mitgenommen?
Ganz ehrlich, ich habe gar nichts in mein Büro mitgenommen. Ich bin in den letzten Jahren zur digitalen Nomadin geworden. Mein Büro befindet sich sozusagen in meinem Rucksack. 

Sie wagen im neu renovierten und erweiterten Hotel eine neue Arbeitsorganisation. Das Konzept wurde sogar für den Hotel Innovation Award nominiert. Wie sind Sie vorgegangen?
Als Erstes haben wir unsere Werte definiert, nach denen wir arbeiten wollen: Mut, Verantwortung, Selbstbestimmung und Echtheit. Im Team haben wir dann besprochen, was diese Werte auf unseren Betrieb bezogen bedeuten und wie wir sie im Arbeitsalltag integrieren können. 

dies oder das?

Zug oder Flug?
Kommt ganz auf die Destination an, wenns mit dem Zug machbar ist, dann gerne mit dem Zug.

Jupe oder Hose?
(schmunzelt) Hose! Oder ein Kleid.

Eisbaden oder Kaminfeuer?
Definitiv das Kaminfeuer, mit einem guten Glas Rotwein oder einem feinen Tee. Ins Eiswasser bekommt man mich nicht.

«Bridgerton» oder «Black Mirror»?
Weder noch, ich schaue keine Serien.

Basler Mässmogge oder Bündner Nusstorte?
Nusstorte. Obwohl ich in Basel aufgewachsen bin und die Herbstmäss liebe, mag ich den Mässmogge gar nicht. Dann lieber Rahmtäfeli und Magebroot.

Beschreiben Sie das Konzept.
Wir haben überall flache Hierarchien. Es gibt keine Vorgesetzten, sondern Verantwortlichkeiten. Jeder kann Verantwortung übernehmen. Bei uns erhalten deshalb alle Mitarbeitenden den gleichen Grundlohn. Je nach Ausbildung, Alter, Erfahrung sowie Verantwortung gibt es Zuschläge. 

Jeder kann jede Aufgabe übernehmen?
Ja, beispielsweise Bestellungen machen, Dienstpläne schreiben, die Uniformen der Mitarbeitenden waschen, Datenschutzbeauftragter sein oder ganz einfach die Pflanzen giessen.

Hat sich das Konzept bewährt?
Im Grossen und Ganzen schon. Wir haben ein tolles Team und eine gute Stimmung. Trotzdem haben wir in unserer ersten Saison Tiefen und Höhen durchlebt. Ich weiss nicht, wann ich bei der Arbeit zuletzt so viel gelacht habe wie im letzten halben Jahr.

Wie haben die Gäste darauf reagiert?
Wir erhalten durchwegs positives Feedback. Das freut uns immer besonders, denn unser Credo lautet: Glückliche Mitarbeitende schaffen glückliche Gäste. 

Das tönt nach Friede, Freude, Eierkuchen ...
Wir mussten schon ein paar Dinge anpassen: die Entlöhnung der Zusatzaufgaben etwa. Es hat sich herausgestellt, dass gewisse Aufgaben mehr Zeit brauchen, als wir berechnet haben. Auch die Höhe der Entlöhnung muss je nach Aufgabenbereich abgestuft sein. 

Flache Hierarchien bringen auch Herausforderungen mit sich.
Die Mitarbeitenden wünschen sich mehr Strukturen. Da jeder die Arbeit auf seine eigene Art und Weise macht, fehlt manchmal ein roter Faden. Nun haben wir Checklisten erarbeitet, die uns allen die Arbeit erleichtern. 

Für welche Hotels eignet sich diese Art von Selbstorganisation?
Eine schwierige Frage. (runzelt die Stirn) Bei Neueröffnungen ist es sicherlich einfacher als bei Traditionshäusern. Aber es braucht vor allem ein neues Mindset und viel Willen. Diese beiden Attribute sind wichtiger als die Grösse oder der Standard des Hotels. 

Auch in der Dienstleistung gehen Sie neue Wege. Im Zimmerpreis beispielsweise ist nur die Endreinigung inbegriffen, nicht aber die Reinigung des Restant-Zimmers. Das müssen die Gäste zusätzlich buchen. Wie kommt das an?
Wir haben unterschiedliche Rückmeldungen erhalten. Viele Gäste sind begeistert, weil sie die tägliche Zimmerreinigung nicht für nötig halten. Für andere ist es ungewohnt. Um Missverständnisse zu vermeiden, müssen wir die Kommunikation verbessern. 

Unser Credo lautet: Glückliche Mitarbeitende schaffen glückliche Gäste.

Mit der reduzierten Dienstleistung können Sie besser planen und Mitarbeiterkosten senken. Nennen Sie Zahlen?
Es zahlt sich schon aus, aber wir füllen trotzdem jeden Tag die Minibar auf, ergänzen Tee und Kaffee, leeren den Abfall und kontrollieren die Hygieneartikel. Auch die Planung bleibt herausfordernd: Vor allem im Sommer buchen Gäste sehr kurzfristig. 

Ihr Angebot ist eine Mischung aus Hotel, Serviced Apartments und Hotel Garni. Wo sehen Sie sich zugehörig?
Wir sehen uns als Hotel für den freiheitsliebenden Gast, der Flexibilität schätzt und genau das sucht. 

Als was sind Sie klassiert?
Mit unserem Konzept können wir uns nicht klassieren. Wir hätten mit ein paar Anpassungen die 4-Sterne-Klassifikation erreichen können, haben uns aber bewusst dagegen entschieden, weil wir uns nicht verbiegen möchten. Wir glauben an unser Konzept und sehen darin auch die Zukunft der Hotellerie. 

Angesichts der Klimaerwärmung wird der Sommergast immer wichtiger. Was unternehmen Sie für diese Zielgruppe?
Sunstar hat seine Hotels in den letzten Jahren individualisiert und jedes auf eine Zielgruppe ausgerichtet. Unser Hotel ist im Speziellen für den freiheitsliebenden Gast konzipiert. So haben ganz unterschiedliche Gäste mit unterschiedlichen Bedürfnissen die Möglichkeit, ihre Ferien unter demselben Dach zu verbringen.