Das Klima verändert sich, die Temperaturen steigen, und damit steht auch der Wintersport vor grundlegenden Veränderungen. Mit dem Projekt Kompass Schnee steht ab sofort ein strategisches Orientierungsinstrument zur Verfügung. Damit lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels datenbasiert bewerten und unumgängliche Anpassungen planen. 

Der Wintertourismus in der Schweiz ist nach wie vor sehr begehrt, aber er wird sich verändern. Insbesondere in tiefergelegenen Gebieten ist die natürliche Schneedecke in den Schweizer Bergen bis 2050 von einem teilweise dramatischen Rückgang betroffen. Aber die Meereshöhe ist nicht das einzige Kriterium, um Entscheidungsgrundlagen zu schaffen. Und: Es gibt diverse alternative Anpassungsszenarien, mit denen die Destinationen arbeiten können. 

Kompass Schweiz wurde heute in Zürich der Öffentlichkeit vorgestellt. Wir haben uns mit dem Klimaexperten Reto Knutti unterhalten. Knutti forscht an der ETH Zürich auf dem Gebiet der Klimaphysik. Der «htr hotelrevue» beantwortet er die drängendsten Fragen. 

Reto Knutti, das Projekt «Kompass Schnee» zeigt Veränderungen bei der natürlichen Schneedecke. Wie gross ist der Effekt tatsächlich?

In tiefen Lagen unter etwa 1500 Metern über Meer dürfte die natürliche Schneemenge bis 2050 nochmals deutlich abnehmen, zusätzlich zu der schon beobachteten Reduktion. In hohen Lagen über 2000 Metern ist die Abnahme klein, die Situation deutlich stabiler.

Wie verschiebt sich die Schneefallgrenze künftig?

Die Schneefallgrenze ist in den letzten vierzig Jahren um etwa 100 Meter gestiegen, und das geht ähnlich weiter. Der Winterniederschlag nimmt leicht zu, aber ein deutlich höherer Anteil fällt als Regen.

Was heisst das konkret für den klassischen Wintersport?

Wintersport bleibt in der Schweiz an vielen Orten möglich, aber nicht überall. Es trifft die tiefen Lagen, dort, wo es heute schon schwierig ist. Die Schneesicherheit ist dort nicht mehr dauerhaft gewährleistet und die Investitionen rechnen sich nicht mehr. Wo man hingegen unten eine Bahn als Zubringerlösung, nach oben Spielraum und genügend Finanzierung hat, bleibt es attraktiv.

Wintersport bleibt in der Schweiz an vielen Orten möglich, aber nicht überall.

Kompass Schnee beleuchtet auch die technische Beschneiung. Kann sie den natürlichen Schnee ersetzen?

In tiefen Lagen gibt es Grenzen bei der Beschneiung. Wenn es zu warm ist, dann schneit man nicht, und wenn es regnet, dann schmilzt der Schnee weg.

Aber in höheren Lagen bleibt sie ein Instrument?

Unbedingt, die Beschneiung wird sogar an Bedeutung zunehmen. Weil die kalten Stunden abnehmen, braucht es aber deutlich mehr und stärkere Anlagen. Damit kann man ein Gebiet in kürzerer Zeit einschneien. Die Notwendigkeit, dafür Wasser in Seen zu speichern, nimmt zu.

Kompass Schnee liefert eine Karte der regionalen Schneeabhängigkeit. Was bedeutet das für die jeweiligen Tourismusstrategien?

Es wird überall wärmer, aber die genauen Auswirkungen sind in einem Schattenloch im Engadin anders als an einem Südhang im Wallis. Einige Destinationen machen ihre Umsätze vor allem im Winter und sind damit stärker betroffen während andere, stark betroffenen Destinationen, ihr Angebot bereits diversifiziert haben.

Was müssen die Destinationen bei einer neuen Strategie berücksichtigen?

Es spielen viele Komponenten zusammen: lokale Gegebenheiten von Klima, Infrastruktur, Arbeitsplätzen, Herkunft der Gäste und mehr. Hier liefert Kompass Schnee wertvolle Grundlagen.

Was sind die wirkungsvollsten Anpassungsstrategien?

Investitionen in Wintersport sind langfristig primär in höheren Lagen zielführend. Unten kann man es natürlich versuchen, aber es wird sich kaum rechnen. Ein attraktives Angebot über das ganze Jahr reduziert die Abhängigkeit vom Schnee.

Gibt Kompass Schnee Empfehlungen ab?

Nein, aber eine wissenschaftlich fundierte Grundlage. Die Anpassungsstrategien müssen zwingend von den Destinationen angestossen werden.

Weshalb?

Nur die Verantwortlichen vor Ort kennen die Verhältnisse gut genug, um Entscheidungen treffen und umsetzen zu können.

Die Winter werden aber noch ein Stück wärmer werden.

Wie belastbar sind die Aussagen des Projekts?

Die beobachteten Veränderungen sind offensichtlich. Wo meine Mutter im Emmental Ski gefahren ist, denkt man heute kaum noch daran. Die Winter werden aber noch ein Stück wärmer werden. Wobei: Die Schwankungen von Jahr zu Jahr bleiben weiterhin hoch. Das heisst, es gibt bessere und schlechtere Winter. Schwieriger ist die Frage, wie die Destinationen darauf reagieren sollen. Woher kommen die Gäste? Welche Erlebnisse suchen sie? Wie viel sind sie bereit, für die Angebote zu bezahlen? Dort liegen vielleicht die grössten Unsicherheiten.

Können wir den alpinen Winter retten?

Der natürliche Winter ist, wie er ist, wir können ihn nicht beeinflussen. Aber wir können uns optimal positionieren und geschickt investieren, damit wir gut aufgestellt sind. Dann bleibt Wintersport in der Schweiz attraktiv, primär an geeigneten Orten in hohen Lagen. 

Was geben Sie der Branche mit auf den Weg?

Veränderungen sind gerade in Bergregionen nicht immer einfach. Ich bin selber dort aufgewachsen und kenne das. Aber wer sich aktiv und früh mit den Veränderungen beschäftigt und diese Transformationsprozesse gut in der Region abstützt, wird die besten Karten haben.

Kompass Schnee
Nach zweijähriger intensiver Arbeit wurde das Projekt Kompass Schnee der Öffentlichkeit präsentiert. Schweiz Tourismus, Seilbahnen Schweiz und der VSTM als Projektträger haben das Instrument mit der ETH Zürich, dem Bundesamt für Metereologie und Klimatologie Meteo Schweiz, dem Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF und der Eidgenösssischen Forschungsanstalt WSL. Innotour unterstützte das Projekt finanziell. Zentral war neben der wissenschaftlichen Datenerhebung die Einbindung aller relevanten Stakeholder. 

Mehr Infos zu Kompass Schnee finden Sie hier.