In einer Zeit, in der sich alles verändert – das Reiseverhalten, die Erwartungshaltung der Gäste, die Medienlandschaft und der Arbeitsmarkt –, bleibt ein zentrales Element im Schweizer Tourismus erstaunlich konstant: die Angst vor Ecken und Kanten. Die Angst, jemanden auszuschliessen. Die Angst, zu viel Meinung zu zeigen. Doch wer heute alles für alle sein will, wird morgen von niemandem mehr wirklich gesehen. [RELATED]

Viele Destinationen, gerade im öffentlich-rechtlich organisierten Tourismus, bewegen sich im Spannungsfeld zwischen politischer Rücksichtnahme, vielfältigen Interessen und dem Wunsch nach Harmonie. Man will alle Gemeinden abdecken, alle Partner zufriedenstellen, niemanden vor den Kopf stossen. Verständlich – aber auch gefährlich. Denn diese Logik führt dazu, dass sich viele Destinationen immer ähnlicher werden. Beliebig. Austauschbar.

Dabei gäbe es so viel Potenzial. Emotionen, Geschichten, mutige Narrative, die Gemeinschaft stiften. Denn letztlich entscheidet sich Begeisterung nie auf Excel-Ebene – sondern im Herzen. Wer es schafft, Menschen emotional abzuholen, ihnen ein echtes Gefühl zu geben, der baut nicht nur Reichweite auf, sondern auch Relevanz. Und die beginnt mit einer klaren Position.

Ein Blick in die Praxis zeigt: Destinationen wie Engadin-St. Moritz setzen auf Ruhe und Reduktion statt Reizüberflutung – mit Botschaften wie «Der schönste Ort, um nichts zu tun». Valais/Wallis wiederum inszeniert mit der Kampagne «Ich bin das Wallis» die eigene Bevölkerung und schafft emotionale Nähe. Und Bern Welcome beweist mit augenzwinkernden Reels zur urbanen Langsamkeit, dass Positionierung auch mit Selbstironie funktioniert. Solche Beispiele zeigen: Profil beginnt dort, wo man sich traut, anders zu sein – und das konsequent sichtbar macht.

Mut zur Positionierung bedeutet nicht, laut zu sein. Es bedeutet, echt zu sein.

Mut zur Positionierung bedeutet nicht, laut zu sein. Es bedeutet, echt zu sein. Und das beginnt intern – mit einer Kultur, die bereit ist, Entscheidungen zu treffen, unbequeme Fragen zu stellen und auch mal gegen den Strom zu schwimmen. Dafür braucht es neue Formen von Leadership, die weniger verwalten und mehr inspirieren. Mehr Vision, weniger Abstimmungsmarathon.

Was es jetzt braucht, sind Destinationen mit Charakter. Marken, die sich trauen, nicht allen zu gefallen. Denn wer niemandem wehtun will, bewegt auch nichts. Klar positionierte Destinationen sind greifbarer, sichtbarer – und ziehen genau die Menschen an, die zu ihnen passen. Sei es durch markante Bildwelten, eine unverwechselbare Sprache oder eine klar positionierte Community-Arbeit: Denn Reibung erzeugt Aufmerksamkeit – und damit Wirkung.

Zermatt beispielsweise zeigt seit Jahren, wie konsistente Markenführung aussieht: Das Matterhorn als ikonisches Zentrum, begleitet von heroischer Bildsprache und einer klaren Linie – sichtbar auf allen Kanälen. Kein Mischmasch, keine Beliebigkeit. Einfach Zermatt.

Vielfalt und föderale Strukturen fordern uns im Schweizer Tourismus besonders heraus – gerade deshalb sind klare Positionierungen entscheidend. Mehr Mut zur Differenzierung, mehr Lust auf Relevanz, mehr Raum für echte Emotionen. Oder anders gesagt: weniger Kompromiss, mehr Kante.

Kim Ryter ist Vorstandsmitglied des VSTM und Geschäftsführerin der Full-Service-Agentur Artasio AG mit Sitz im Berner Oberland. Mit ihrem Team begleitet sie touristische Dienstleister, Destinationen und KMU in den Bereichen Strategie, Markenführung und digitale Kommunikation.