Nach dem jüngsten Quartalsbericht Trends & Prospects (Q3/2020) der European Travel Commission (ETC) führte die Lockerung der Pandemiebeschränkungen in ganz Europa im vergangenen Juli und August im Vergleich zu den Vormonaten zu einer leichten Belebung und zeigte das Reisebedürfnis der Menschen auf. Leider machte die jüngste Wiedereinführung von Sperren und Reisebeschränkungen aufgrund der steigenden Covid-19-Fallzahlen schnell jede Chance auf eine baldige Erholung des europäischen Tourismussektors zunichte.

Mit Blick auf die kommenden Monate dämpfen erhöhte Unsicherheit und Abwärtsrisiken weiterhin die Aussichten. Laut ETC-Bericht dürften die europäischen Ankünfte im Jahr 2020 um 61 Prozent zurückgehen.  

Im Anschluss an die Veröffentlichung des Berichts am vergangenen Montag sagte Eduardo Santander, Exekutivdirektor des ETC: «Da die zweite Welle der Covid-19-Pandemie Europa vor der Wintersaison erfasst, ist es jetzt wichtiger denn je, dass die europäischen Nationen ihre Kräfte bündeln, um sich auf gemeinsame Lösungen zu einigen. Dies nicht nur um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, sondern auch um die nachhaltige Erholung des Tourismus zu unterstützen, das Vertrauen der Reisenden wiederherzustellen und vor allem um die Millionen von Unternehmen, Arbeitsplätzen und Betrieben zu schützen, die gefährdet sind, damit sie die wirtschaftlichen Folgen überleben können.»

Laut ETC wird die Richtung der wirtschaftlichen Erholung in ganz Europa wesentlich von der Erholung der Tourismusindustrie abhängen. Der Sektor macht fast 10 Prozent des BIP der EU  aus und bietet über 22 Millionen Arbeitsplätze.

Südeuropäische Reiseziele und Inseln unter den am stärksten betroffenen
Analog der aktuellen Analysen sind die Mittelmeer-Destinationen Zypern und Montenegro mit 85 Prozent beziehungsweise 84 Prozent am stärksten vom Rückgang der Ankünfte betroffen, was auf eine höhere Abhängigkeit von ausländischen Reisenden zurückzuführen ist.

Zu den anderen Ländern, die starke Einbussen hinnehmen müssen, gehören Rumänien, wo die Ankünfte um 80 Prozent zurückgingen, die Türkei (-77 %), Portugal und Serbien (beide -74 %). Auch Island und Malta (jeweils -71 %) schnitten aufgrund ihrer geografischen Lage und strikter Grenzbeschränkungen schlecht ab.

Im Gegenteil dazu scheint Österreich zu Beginn des Jahres von den Winterreisen vor dem 19. November 2019 profitiert zu haben, was zu einem Rückgang von «nur» 44 Prozent für das Jahr bis September 2020 führte. Eine stärkere Abhängigkeit von Kurzstreckenreisen brachte Österreich auch in eine starke Position, um einen weniger volatilen Aufschwung zu erreichen, da die Restriktionen im Land viel schneller gelockert wurden als in anderen Ländern.

Dies unterstreiche laut ETC die Notwendigkeit einer europaweiten Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, da die unterschiedliche Herangehensweise an Reisebeschränkungen die Nachfrage nach Reisen und das Verbrauchervertrauen gedämpft hat.

Eine kürzlich von der IATA durchgeführte Umfrage deutet darauf hin, dass Reisebeschränkungen ebenso abschreckend wirken wie das wahrgenommene Risiko, sich mit dem Virus selbst anzustecken. So würden harmonisierte Lösungen für Tests und Rückverfolgung sowie Quarantänemassnahmen entscheidend sein, um die Abwärtsrisiken in ganz Europa einzudämmen.

Künftig mehr Reisen in ländliche Gebiete
Die jüngsten Prognosen würden gemäss Analyse dennoch positiv stimmen, da sich eine schnellere Erholung des Inlandsreiseverkehrs in Europa abzeichnet. Die ETC rechnet damit, dass bis 2022 das Niveau von 2019 übertroffen wird.

Auch die europäischen Kurzstreckenreisen dürften sich bis 2023 schneller erholen, was durch eine schnellere Lockerung der Reisebeschränkungen und ein geringeres wahrgenommenes Risiko im Vergleich zu Langstreckenreisen begünstigt wird. Das Gesamtreisevolumen wird den Prognosen zufolge erst 2024 wieder den Stand vor der Pandemie erreichen.

Die Covid-19-Pandemie hat auch Auswirkungen auf die Wahl der Reiseziele in bestimmten europäischen Ländern. In der Sommersaison ist ein signifikanter Anstieg der Reisen in ländliche Gebiete und an die Küste zu verzeichnen. Das zeigt auf, dass eindeutige Bedenken bestehen,  in hoch bevölkerte städtischer Orte zu reisen, wo es schwieriger ist, die soziale Distanz einzuhalten.

Weniger Overtourism
Diese Veränderung der Reisevorlieben kann letztlich das Problem des Overtourism mildern, und den Destinationen ermöglichen, die Nachfrage nach nachhaltigem Tourismus anzukurbeln.

Ein gesteigertes Reiseinteresse für sekundäre Reiseziele könne laut Prognosen der ETC einige beliebte touristische Hotspots entlasten, die bisher mit einer übermässigen Reisenachfrage zu kämpfen hatten. Das angepasste Reiseverhalten könne auch dazu beitragen, die wirtschaftlichen Vorteile des Tourismus gleichmässiger innerhalb der Länder zu verteilen. (htr)