Yannic Mühlemann, Souschef im Hotel Eden Spiez, steht in seiner Schatzkammer. Im Kühlraum der Hotelküche lagern fast ausschliesslich hausgemachte Vorräte. «Nachhaltig zu kochen und gleichzeitig Food-Waste zu reduzieren, macht durchaus Spass! Wer die Herausforderung anpackt, merkt schnell, dass dies mit nur wenig Aufwand verbunden ist», so Mühlemann.

Die Schweiz hat sich dem Ziel der Vereinten Nationen verpflichtet, die Nahrungsmittelverluste pro Kopf bis 2030 zu halbieren. Die Hotellerie und Gastronomie schliesst sich der Herausforderung an. 290 000 Tonnen Lebensmittelabfälle aus der Gastronomie sind pro Jahr vermeidbar. Das nationale Food-Branchennetzwerk United Against Waste (UAW) liefert Lösungsansätze.

Das Hotel Eden in Spiez hat sich im Juni 2021 mit 30 weiteren Berner Oberländer Hotels dem Projekt Food Save Berner Oberland von UAW angeschlossen. Ein Jahr lang werden die Küchenabfälle sortiert, via App gemessen und zusammen mit UAW-Coaches entsprechende Verbesserungen ausgearbeitet und implementiert – vom Einkauf über die Lagerung bis zum Service.

Das Resultat ist frappant: Innert kürzester Zeit gelang es der Spiezer Küchenbrigade, ihre Lebensmittelverschwendung um über 58 Prozent zu reduzieren. Konkret von 256 Gramm auf 150 Gramm pro Gast und Tag.

Wer Food-Waste einmal systematisch misst, wird automatisch handeln.

Yannic Mühlemann, Souschef Hotel Eden, Spiez

Food-Waste-Eliminierung wird zum Teamwettbewerb
Im Hotel Eden Spiez gelten als Food-Waste alle Lebensmittelabfälle, die nicht mindestens einmal wiederverwertet wurden – vom Rüstabfall bis zum Bratfett oder Saucenrest. Die ersten Messungen haben ergeben, dass Tellerrückläufe und in der Küche generierte Lebensmittelabschnitte die Liste der Lebensmittelverschwendung anführen.

Tipps gegen Food-Waste

Food-Boxen dienen Gästen, ihre Mahlzeitenresten mit nach Hause zu nehmen.

Lebensmittelspenden an wohltätige Organisationen reduzieren Food-Waste nachhaltig.

Neue Kreationen, wie etwa ein Gewürzsalz aus der eigenen Küche, schaffen Mehrwert.

Stöbern Sie in Grossmutters Kochbüchern! Die Sparsamkeit von gestern ist wieder in.

Die Food-Waste-Apps «Waste Tracker» und «Food Save» von United Against Waste bieten Gastronomen digital Hilfe, Food-Waste lösungsorientiert zu analysieren.

«Food-Waste zu reduzieren, ist hier im Haus mittlerweile zum bereichernden Teamwettbewerb geworden», so Mühlemann. Nach einer anfänglichen Aufklärungsphase helfen alle Mitarbeitenden mit, sämtliche Arbeitsschritte zu überdenken und zu verbessern. Regionale und saisonale Menüs sind bloss der Anfang. Wie zu Grossmutters Zeiten sind der Wiederverwertung von Nahrungsmitteln praktisch keine Grenzen gesetzt. Knochen werden ausgekocht, Rüstabfälle zu Gemüsefonds verwertet, Früchtedekorationen zu aromatisiertem Wasser oder der Orangenabrieb zu Duftöl verarbeitet.

Von guten Vorsätzen und hohen Kundenerwartungen
Die Reduktion von Lebensmittelabfällen in der Küche scheint mit Überzeugung und ein wenig Erfindungsreichtum also keine Hexerei. Wären da nicht die Hygienevorschriften im Hotel- und Restaurantbetrieb. Die Auflagen des Lebensmittelkontrolleurs liessen sich zwar nicht umgehen. Mit wenigen Massnahmen sei aber auch dieses Problem zu lösen, findet Mühlemann. Die Kunst liege allerdings darin, dass der Gast davon nichts merke.

Der Brotkorb beispielsweise hat im Spiezer 4-Sterne-Betriebausgedient. Serviert wird, je nach Bedarf, Brötchen um Brötchen. Am Frühstücksbuffet wird das Müesli portioniert in verschlossenen Gläsern angeboten, und die Fleisch- und Käseplatten sind bewusst kleiner gehalten.

«Inwieweit es sich lohnt, die Gäste auf die Food-Waste-Problematik hinzuweisen? Geschadet hat es bisher sicher nicht», sagt Dominik Gyger, Food & Beverage Manager im Hotel Eden Spiez. Beim Gast Gewissenskonflikte auszulösen, sei aber sicherlich der falsche Ansatz. Gerade im Luxussegment müsse bei allen guten Vorsätzen, nachhaltig zu wirtschaften, auch stets ein gewisser Standard erhalten bleiben. Auf das Guetzli zum Kaffee zu verzichten, kommt für Dominik Gyger demzufolge nicht infrage.

Ökologisch wie ökonomisch sinnvoller Spareffekt
Lebensmittelabfälle in der Restaurant- oder Hotelküche schlagen nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch zu Buche. Sie gehören gar zu den grossen Kostentreibern. Addiert man Waren-, Infrastruktur-, Mitarbeiter- und Entsorgungskosten, ergibt sich ein Vollkostenpreis von 24 Franken pro Kilogramm Food-Waste.

Wie sich die Food-Waste-Reduktion in den Betriebskosten des Hotel Eden Spiez niederschlägt, wurde noch nicht berechnet. Für Yannic Mühlemann und Dominik Gyger steht der Umweltschutzgedanke im Vordergrund. UAW-Fallstudien ergeben aber in einzelnen Betrieben monatliche Einsparungen von 3000 Franken.

Ein Tipp aus der Spiezer Hotelküche für alle Nachahmer: «Einfach mal loslegen! Wer Food-Waste einmal systematisch misst, wird automatisch handeln. Die Zielsetzung darf nicht zu radikal sein, sondern muss im Rahmen des Möglichen liegen. Und selbstverständlich gilt es nach wie vor, auf die Wünsche des Gastes Rücksicht zu nehmen.»

Forderung an den Bundesrat
Am kommenden 12. Mai unterschreibt Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit den Unternehmen und Organisationen des Lebensmittelsektors eine branchenübergreifende Vereinbarung. Diese hat zum Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 im Vergleich zu 2017 zu halbieren. Die Unterzeichnenden sind Unternehmen und Organisationen der gesamten Wertschöpfungskette von Lebensmitteln – von der Produktion über die Verarbeitung und den Handel bis zur Gastronomie. Der von ihnen generierte Ausser-Haus-Food-Waste verursacht knapp 14 Prozent der gesamten Lebensmittelverluste in der Schweiz.

Als Branchenverband der nachhaltigen Beherbungsbetriebe nimmt HotellerieSuisse seine Verantwortung innerhalb der Gastronomie wahr. Die Verbandsmitglieder werden mit verschiedenen Projekten wie United Against Waste bei der Vermeidung von Food-Waste unterstützt. Gleichzeitig fordert HotellerieSuisse den Bundesrat auf, auch Bürgerinnen und Bürger als Privatpersonen und grösste Verursacher von Lebensmittelverlusten für die Thematik Food-Waste zu sensibilisieren. Nur mit einem gemeinsamen Effort aller beteiligten Parteien kann das gesetzte Ziel erreicht werden.

Nora Devenish