Bernhard Schweizer, Sie sagen, Organisationsentwicklung sollte man ganzheitlich machen oder lieber gar nicht. So lautet auch der Untertitel Ihres ersten Buches. Ist das nicht etwas radikal?
Die meisten Unternehmen wollen zuerst die Prozesse und Strukturen verändern, das bringt mittel- bis langfristig aber nicht viel. Zuerst muss das Denken sich ändern, dann verändert sich das Verhalten automatisch, da sich oft auch die Bedeutung mitverändert. Ansonsten investiert man viel Zeit und Geld, ohne nachhaltig etwas zu bewirken.

Was heisst das konkret?
Wenn ein Unternehmer denkt, der Markt ist schwierig, dann heisst das im Endeffekt: Der Markt schadet mir. Mit einer solchen Haltung ist es kaum möglich, eine Dienstleistungsorientierung aufzubauen. Oft fehlt die Aussenansicht, die zeigt, wo das Denken blockiert ist. Die Strukturen und eben gerade die Denkstrukturen sind festgefahren. Oft treffe ich Wut, aber auch Angst an. Negative Erfahrungen haben das Denken geprägt. Da braucht es dann eine klärende Auseinandersetzung, damit der Unternehmer für eine Neuorientierung überhaupt offen ist.

Das klingt ja sehr psychologisch.
Das ist so. Bei meinen Begleitungen kommen oft viele Dinge hoch. Oft reagieren Kunden sehr emotional und verständlicherweise betroffen. Aber ich stelle immer klar: Ich bin kein Psychologe. Wenn hier Bedarf besteht, verweise ich weiter.

Hierarchiedenken hat viel mit Kontrolle zu tun. Für mehr Bottom-up muss ein Chef loslassen lernen.
Bernhard Schweizer

Sie beziehen für die Organisationsentwicklung auch die Mitarbeitenden ein. Stellen Sie die Hierarchie so auf den Kopf, wie das Bodo Janssen bei seiner Hotelgruppe Upstalsboom macht?
So weit gehe ich nicht. Die Führung des Unternehmens sollte zu 60 Prozent beim Management liegen und zu 40 Prozent bei den Mitarbeitenden. Bei der Umsetzung ist es dann genau umgekehrt: Hier entfallen 60 Prozent des Pensums auf die Mitarbeitenden und 40 Prozent auf die Führung. Das sind ideale Verhältnisse. In der Praxis ist es meist so, dass 80 bis 100 Prozent der Entscheide allein vom Management gefällt werden. Bei so wenig Mitsprache kann ein Unternehmen gefährlich träge werden.

Gehen Sie bei Ihrer Organisationsentwicklung auf jeden einzelnen Mitarbeitenden zu?
Das hängt von der Grösse des Unternehmens ab. Bei KMU-Betrieben mit 30 bis 40 Mitarbeitenden geht das. Bei grösseren Firmen spreche ich mit jenen, die etwas zu einem Veränderungsprozess beitragen können: mit langjährigen Mitarbeitenden, mit Querdenkern, mit Nein-Sagern. Sehr viele Mitarbeitende haben ein gutes Gefühl dafür, wohin die Reise gehen könnte.

Mit Nein-Sagern machen Sie sich aber keine Freunde bei Ihrem Auftraggeber: Es ist ja das Management, welches Ihr Engagement bezahlt, nicht der Mitarbeitende.
Ich bin kein Schönwetter-Berater. Ich reisse erstmal alle bestehenden «Pflaster» weg, das kann auch weh tun. Aber mit Respekt und nicht verletzend. Ich nehme klar Einfluss. Wenn man das nicht möchte, bin ich der Falsche.

«Die Führung des Unternehmens sollte zu 60 Prozent beim Management liegen und zu 40 Prozent bei den Mitarbeitenden»
Bernhard Schweizer

Sie arbeiten am Denken und am Verhalten Ihrer Kunden. Dinge, die ein Mensch nur schwer ändert. Eine Herkulesaufgabe.
Denke ich nicht. Die Beteiligten müssen den Sinn sehen, was eine Veränderung bringt. Dann kann man sie dafür auch gewinnen. Verhalten und Kompetenzen müssen zum Markt passen. Ist das trotzdem nicht gegeben, muss man sich überlegen, ob man die Kompetenzen besser einkauft.

Einige Hoteliers wünschen sich inzwischen mehr Mitwirken seitens der Mitarbeitenden, mehr «Bottom-up»-Prozesse. Sie wissen aber nicht, wie sie das erreichen können.
Hierarchiedenken hat viel mit Kontrolle zu tun. Für mehr Bottom-up muss ein Chef loslassen lernen. Doch wie soll man jemandem Kontrolle abgeben, dem man nicht vertraut? Stichwort ist hier Empowerment: Der Mitarbeitende muss zur Mit-Führung befähigt werden.

Sie sagen, das Verhalten ändert man, wenn man den Sinn sieht: Was ist der Effekt Ihrer ganzheitlichen Organisationsentwicklung, wie Sie sie nennen?
Der Kunde, also der Gast, gibt mehr Geld aus, wenn er das Gefühl bekommt, dass die Mitarbeitenden mit vollem Herzen beim Job sind. Das sind sie, wenn sie den Sinn in ihrem Tun sehen. Auch etwas dazu zu sagen haben, wie ihr Tun aussehen soll. Der Effekt für Unternehmen schlussendlich: mehr Spass, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und somit mehr Umsatz.

Bernhard Schweizer referiert am Igeho Campus powered by HotellerieSuisse zum Thema «Erfolgsfaktor Kultur».
Zeitpunkt: Mittwoch, 20. 11. 2019, 10.05 bis 10.35 Uhr.


Neue Geschäftsmodelle: Womit sich ein Hotel heute auseinandersetzen muss
Gewerbliche Anbieter von Unterkünften sind von zwei Seiten herausgefordert. Zum einen nimmt die Diversität der Gästebedürfnisse zu – Stichworte sind Globalisierung, Vermischung von Arbeit und Freizeit, Art und Weise der Reisen und Aufenthalte –, zum anderen nehmen auch die Möglichkeiten, wie man auf diese Gästebedürfnisse reagieren könnte, zu – Stichwort Diversität der Geschäftsmodelle. Gefragt sind in einer solchen Welt immer weniger die schnellen Lösungen für unmittelbare «Probleme», sondern eher ein strukturiertes Nachdenken über Gegenwart und Zukunft.

In seinem Referat am Igeho Campus zeigt Christian Laesser auf, entlang welcher Überlegungen man Unterkunftskonzepte und dazugehörende Geschäftsmodelle andenken könnte:

Ein erster Schritt besteht darin, das eigene Verständnis als «Hotel» abzulegen. Im Kern ist man letztlich in einem Geschäft, welches einfach die vorübergehende Unterbringung von «Lebewesen» beinhaltet.

Der zweite Schritt besteht aus der strategischen Frage, in welchen Bereichen für den Hotelbetreiber der Kundenprozess und damit die relevante Dienstleistungskette beginnt und endet. Diese Dienstleistungskette kann sehr eng bis sehr extensiv sein.

Der dritte Schritt besteht aus der Diskussion über das Raum- und Zimmerprogramm (Art der gemeinschaftlichen Räume; Grösse und Ausstattung der Zimmer), kombiniert mit der Dienstleistungsbreite und -tiefe, vor dem Hintergrund spezifischer und begründeter Gästebedürfnisse, und das wiederum kombiniert mit den Rahmenbedingungen des Betriebsstandortes (zum Beispiel urbaner Raum versus ländlicher Raum).

Der vierte Schritt beinhaltet so-dann das Design der zur Umsetzung notwendigen Prozesse. Damit verbunden sind etwa auch Diskussionen, wer spezifische Prozesse ausführt: Gast oder Anbieter? Maschine oder Mensch oder Mensch mit Hilfe von Selbstbedienungstechnologie? Welche Prozesse werden ausgelagert oder allenfalls auch eingelagert? Inwieweit ist ein Hotel am Ende des Tages eine physische Plattform (alles ausgelagert) oder ein integrierter Betrieb?

Christian Laesser referiert am Igeho Campus powered by HotellerieSuisse zum Thema «Hotels in einer Welt von Diversität: Gedankenansätze für Konzepte der Zukunft».

Zeitpunkt: Dienstag, 19. 11. 2019, 13.40 bis 14.10 Uhr.