Ende Juni hatte der Bundesrat verlauten lassen, dass er die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» des «Egerkinger Komitees» um den Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann ablehnt. Diese schiesse weit über das Ziel hinaus. Zudem sollen die Kantone über ein Verhüllungsverbot selber entscheiden können.

Die Regeln will die Regierung aber dennoch verschärfen. Zum einen sollen Kontakte mit bestimmten Behörden mit unverhülltem Gesicht erfolgen müssen. Zum anderen soll jeglicher Zwang, das Gesicht zu verhüllen, unter Strafe gestellt werden. Dreieinhalb Monate später zeigt sich: Die Pläne sind umstritten, im Parlament jedoch nicht chancenlos. Das zeigt die Auswertung von verschiedenen Antworten zur Vernehmlassung, die am (heutigen) Donnerstag zu Ende geht.

Kein Totalverbot, aber...
Die FDP begrüsst die Stossrichtung des indirekten Gegenvorschlags im Grundsatz. Einige Punkte entsprächen Forderungen der Partei, die sie schon vor Jahren erhoben habe. So etwa die klareren Regeln im Umgang mit den Behörden.

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Ergänzung der Gesichtsverhüllung im Strafrecht lehnt die FDP dagegen ab. Diese habe «einzig symbolpolitischen Charakter, weil bereits heute jegliche Art von Zwang verboten ist». Das grundsätzliche Credo «Kein Totalverbot, aber klare Konsequenzen» sei der richtige Weg, schreibt die Partei. Laut ihr obliegt es den zuständigen Kommissionen und dem Parlament, gegebenenfalls weitere Massnahmen zu prüfen.

Allianz formiert sich
Auch die SP findet es richtig, die Initiative mit einem Gegenvorschlag zu kontern – auch wenn «das Tragen von religiösen Symbolen in öffentlichen Einrichtungen in der Schweiz kein überwiegendes Problem darstellt». Deshalb sollen nach Ansicht der SP nur dort Anpassungen vorgenommen werden, wo «tatsächlich reale Schwierigkeiten bestehen könnten». In diesem Punkt herrscht Konsens mit der FDP und auch mit den Mitteparteien GLP und BDP, welche den Gegenvorschlag des Bundesrats begrüssen.

Die CVP findet ebenfalls, der Gegenvorschlag gehe in die richtige Richtung. Dessen Inhalt sollte bereits heute eine Selbstverständlichkeit sein. Nur mit einer gesetzlichen Grundlage könne aber sichergestellt werden, dass die Pflicht zur Gesichtsenthüllung durchgesetzt werden könne.

SVP kritisiert Bundesrat
Die Allianz zu einem Gegenvorschlag sollte damit genug schlagkräftig sein, auch wenn die Vorstellungen und Motive dafür noch weit auseinandergehen. Dass dabei auch eine Prise politisches Kalkül mitspielt, ist offensichtlich: Ohne Gegenvorschlag hat die Initiative vor dem Volk bessere Chancen, was ausser der SVP wohl niemand begrüssen würde.

Die grösste Fraktion im Parlament hält denn auch gar nichts vom bundesrätlichen Vorschlag. Dieser gehe eindeutig zu wenig weit. «Auf das Tragen von Gesichtsverhüllungen in der Öffentlichkeit sowie die damit verbundenen Sicherheitsrisiken und gesellschaftlichen Probleme hat das Bundesgesetz keinerlei Auswirkung», schreibt die SVP. Die Gesichtsverschleierung in der Öffentlichkeit müsse in seiner Gesamtheit verboten werden, ohne Kompromisse. Alles andere sei für einen «freiheitlichen Staat mit christlich-abendländischem Wertefundament» nicht tolerierbar.

Populäres Anliegen
Auch Grüne und die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) lehnen den bundesrätlichen Vorschlag ab – wenn auch aus anderen Gründen als die SVP. Kurz gesagt bezeichnen sie den indirekten Gegenvorschlag in der aktuellen Form als überflüssig. Klar ist: Ein indirekter Gegenvorschlag käme nur Anwendung, wenn die Initiative zurückgezogen oder abgelehnt würde. Ersteres kann ausgeschlossen werden. Ein Nein zur Initiative ist denkbar, jedoch keinesfalls sicher. Nationale Umfragen zeigen, dass viele Menschen Sympathien bekunden mit dem Anliegen.

In den Kantonen Zürich, Solothurn, Schwyz, Basel-Stadt und Glarus wurde ein Verhüllungsverbot in den vergangenen Jahren abgelehnt. Im Tessin und in St. Gallen stimmte die Bevölkerung zu. In Kraft ist das Verbot seit 1. Juli 2016 einzig im Tessin. Dort traf es bisher vor allem vermummte Fussballfans. Frauen mit Burka oder Niqab wurden dagegen kaum je gebüsst. (sda)