Joël Luc Cachelin, Sie sprechen vom 21. Jahrhundert als dem Zeitalter der Städte. Warum?
Weil wir einen globalen Megatrend erleben: die Urbanisierung. Immer mehr Menschen zieht es in die Städte – wegen der Arbeit, wegen der Vielfalt der Möglichkeiten, wegen des Lebensgefühls. Städte bieten das, was die Virtualität des Internets nicht hat: sinnliche Erlebnisse, spontane Begegnungen, kulturelle Dichte. Sie sind soziale Verdichtungsräume, in denen sich Interessen, Ideen und Innovationen kreuzen. [RELATED]

Nennen Sie uns drei wichtige Elemente der Stadt der Zukunft.

Erstens: grüne und blaue Infrastruktur – für Gesundheit, Lebensqualität und Klimaanpassung. Zweitens: eine urbane Verspieltheit, die Raum für Kreativität lässt. Und drittens: Re-Use – also ein sorgsamer Umgang mit dem Bestehenden. Gebäude umnutzen, Materialien länger denken, Geschichte weiterbauen statt abreissen. Das ist nachhaltig und macht Städte lebendig.

Städte leiden auch unter Klimastress – manche Metropolen werden bis in 20 Jahren zumindest im Sommer zu heiss zum Leben sein.

Genau deshalb braucht es Resilienz: Städte müssen sich auf unterschiedliche Zukunftsszenarien vorbereiten. Hitzeperioden, Ressourcenknappheit, Extremwetter – all das wird zunehmen. Entscheidend ist, dass urbane Räume nicht nur reagieren, sondern proaktiv handeln. Es braucht Parks, Wasserflächen, kühlende Schattenräume. Grüne und blaue Infrastruktur sind keine Dekoration, sondern eine Überlebensstrategie.

Und gleichzeitig sollen Städte attraktiv bleiben – auch touristisch. Wie gelingt das?

Indem wir Städte als Orte des Wohlbefindens denken. Architektur spielt dabei eine zentrale Rolle. Gebäude beeinflussen unsere Stimmung, unsere Gesundheit, sogar unsere Kreativität. Healing Architecture ist ein Konzept, das ursprünglich aus der Spitalarchitektur kommt. Dort hat man erkannt, dass natürliche Materialien, Tageslicht, gute Luft, Ruhe und Zugang ins Grüne den Menschen guttun, sie schnell gesund werden lassen. Warum sollten wir diese Erkenntnisse nicht auch bei Hotels anwenden?

Entscheidend ist, dass urbane Räume nicht nur reagieren, sondern proaktiv handeln.

Holz statt Plastik, Parkblick statt Betonwand?

Ganz genau. Es geht um mehr als Ästhetik. Naturbelassene Rohstoffe, biophile Gestaltung, der Übergang von drinnen nach draussen – all das wirkt auf unser Wohlbefinden. Die Hotellerie könnte viel lernen vom Gesundheitsbau. Und sie könnte sich differenzieren, indem sie nicht nur Service bietet, sondern Atmosphäre.

Sie sprechen von der Stadt als Spielplatz. Was meinen Sie damit?

Ich meine damit eine Stadt, die uns überrascht; die Räume bietet, in denen wir entdecken, erleben, interagieren. Foxtrails, Skateparks, thematische Spaziergänge, kulturelle Installationen im öffentlichen Raum – all das sind spielerische Elemente, die Lebensfreude schaffen. Das stärkt nicht nur die Aufenthaltsqualität, sondern auch die Innovationskraft einer Stadt.

Gibt es Beispiele für solche Räume in der Schweiz?

Ja, punktuell. In Bern gab es Pop-up-Restaurants auf Dächern, in Basel Projekte zur Dachbegrünung. Noch weiter ist Rotterdam: Dort werden Dächer für ein Rooftop-Festival geöffnet. Diese neuen Ebenen – über der Stadt, zwischen den Gebäuden – sind noch viel zu wenig genutzt. Dabei steckt darin riesiges Potenzial für Biodiversität, soziale Interaktionen und städtische Landwirtschaft.

Besteht nicht die Gefahr, dass Städte zu einer Art Disneyland verkommen?

Doch, wenn man versucht, eine idealisierte Vergangenheit einzufrieren. Dann wird die Stadt zur Kulisse. Was es braucht, ist Mut zur Kombination: Historisches erhalten, aber mit zeitgenössischer Architektur ergänzen. Und: Städte brauchen Arbeit – echte Jobs in verschiedenen Einkommensklassen. Nur auf diese Weise entsteht soziale Durchmischung. Sonst werden Innenstädte museal und leer.

Was heisst das für Zürich?
Zürich könnte vieles sein: ein Labor für Kreislaufwirtschaft, ein Rückzugsort für digitale Nomaden, ein Ort der Stille und Sicherheit – oder eben ein Hotspot für Clubkultur, Seeerlebnisse und junge Gastronomie. Es geht darum, diese Gegensätze nicht als Widerspruch zu sehen, sondern als Chance. Zürich hat kurze Wege, viel Natur und eine grosse Vielfalt – das ist ein Standortvorteil.

Zürich Experience – Summit for Urban Tourism
Joël Luc Cachelin spricht an der «Zürich Experience – Summit for Urban Tourism» über zukunftsgerechte Städte und zeigt auf, welche Rolle urbane Räume für die Weiterentwicklung des Schweizer Tourismus spielen.

Dienstag, 26. August 2025, The Circle Convention Center, Flughafen Zürich

Programm und Tickets finden Sie hier:

zuerich-experience.com

Gaston Haas