Arbeitskräfte zu finden und an einen Betrieb zu binden, ist für viele Branchen eine grosse Herausforderung. Wobei Betriebe auf dem Land und in Tourismusdestinationen stärker betroffen sind und bleiben als Städte. «Der Fachkräftemangel wird uns durch die demografische Entwicklung noch einige Jahrzehnte begleiten», sagt Oliver Hoff von der unabhängigen Beratungsfirma EBP in Zürich. Deshalb lohne es sich, gute Rahmenbedingungen zu schaffen.

Auf dem Arbeitnehmermarkt haben die Fachkräfte nicht nur die Wahl zwischen den Betrieben, sondern auch zwischen den Regionen. Stadt oder Land? Zürich oder Gstaad. Regionen müssen sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, um im Arbeitnehmermarkt zu bestehen. Arbeitnehmende suchen nicht nur einen interessanten Arbeitsplatz, sondern auch eine attraktive Arbeits- und Wohnregion. Dazu gehört neben den gewohnten Komponenten wie grosszügige sowie bezahlbare Wohnungen und attraktive Freizeitangebote auch eine Willkommenskultur. Saisonniers und Anderssprachige müssen heute besser abgeholt und ins kommunale Leben integriert werden. Daneben müssen Arbeit und Familie vereinbar sein – es braucht entsprechende Angebote in der Kinderbetreuung und der Schule. Wichtig ist zudem, dass die Dienstleistungen der Behörden vereinfacht und besser zugänglich werden.

Regionale Unternehmen und Organisationen müssen zusammenspannen. Oliver Hoff, unabhängige Beratungsfirma EBP in Zürich

Das sind alles Faktoren, die ein einzelner Arbeitgeber nur bedingt beeinflussen kann. Regionen müssen diese unbedingt unterstützen, sagt Hoff. Deshalb empfiehlt er: «Regionale Unternehmen und Organisationen müssen zusammenspannen und diese übergeordneten Aufgaben koordiniert lösen, da sie auch gemeinsam davon profitieren.»[RELATED]

Bedürfnisse abklären und Zusammenarbeit koordinieren
Um zu erfahren, was Zuzüger wirklich brauchen, muss eine Region an Workshops und mit Umfragen klären, welche Bedürfnisse die Mitarbeitenden haben, und darf sich nicht auf Annahmen stützen. Denn Einheimische haben andere Bedürfnisse als Saisonniers und Anderssprachige. Nach der Bedürfnisabklärung muss man die entsprechenden Stakeholder wie Gemeinden oder Vereine ins Boot holen und zusammen mögliche Massnahmen umsetzen. Da dieser Prozess komplex ist, empfiehlt Hoff, die Verantwortung dafür an einer Stelle zu bündeln, ähnlich wie dies bei der Standortförderung für Unternehmen gemacht wird.


Bezahlbarer Wohnraum für Familien
In vielen Bergdestinationen wie Gstaad, Zermatt und Lenzerheide ist bezahlbarer Wohnraum schwierig zu finden. Die klassischen Personalhäuser von Hotels oder Tourismusorganisationen schaffen nur bedingt Abhilfe. Dort gibt es oft kleine Wohneinheiten. Mitarbeitende mit Familien suchen aber grosse Wohnungen mit mindestens vier Zimmern. Lösungsansätze sind Wohnbaugenossenschaften nach städtischem Vorbild, wie ein Beispiel der Gemeinde Saanen in der Destination Gstaad zeigt.

Genossenschaftsbau in den Bergen
Saanen führte im Projekt «Zukunft Saanen» eine Bedürfnisanalyse durch. Die Einheimischen forderten darin mehr bezahlbaren Wohnraum für Familien. Drei lokale Initianten, Unternehmer aus der Bevölkerung, haben sich zusammengeschlossen und geprüft, wie man diesem Anliegen gerecht wird. Sie haben sich schliesslich für den Genossenschaftsbau auf gemeindeeigenem Land entschieden. Inzwischen liegen Pläne für eine Überbauung mit 60 grosszügigen Wohneinheiten für Mehrpersonenhaushalte vor. Das Investitionsvolumen beträgt 30 Millionen Franken. In Kürze wird eine gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft gegründet und die Finanzierung finalisiert. Danach folgen eine Gemeindeabstimmung und die Baupublikation. Wenn alles nach Plan läuft, wird 2024 mit dem Bau begonnen. Die ersten Wohnungen sollen 2025 bezugsbereit sein.

Willkommens- und Dienstleistungskultur
Zuzüger erwarten, dass die Wohngemeinde sie willkommen heisst und ihnen relevante Dienstleistungen zur Verfügung stellt. «Das Registrieren bei der Einwohnergemeinde muss beispielsweise ganz einfach, am liebsten online, gehen», sagt Oliver Hoff von der Beratungsfirma EBP. Gleiches gilt für die Anmeldung der Schulkinder oder das Ausfüllen der Steuererklärung. Hoff sagt: «Es lohnt sich, entsprechend in digitale Angebote zu investieren und die Mitarbeitenden dafür gezielt auszubilden.» Die Mehrsprachigkeit der Zuzüger darf nicht vergessen werden.

Stadt Bern als Beispiel für Willkommenskultur
Die Stadt Bern ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Willkommenskultur. Die SEO-optimierte Website bietet umfassende Informationen. Auch die Onlineregistrierung mit dem Portal eUmzugCH ist möglich, und zwar für alle Zuzugsvarianten, für Wochenaufenthalter wie für Zuzüger aus dem Ausland. Auf der Plattform gibt es auch viele nützliche Informationen, von Organisation von Abfall bis Familiennachzug. Die Stadt führt regelmässig Willkommensanlässe durch. Dann zeigen Bürger ihr Quartier, anschliessend begrüsst der Stadtpräsident die Zuzüger im Rathaus persönlich. Auf dem Land ist ein so breites Angebot schwieriger, da die Nachfrage kleiner ist; es wird aber immer wichtiger.

Integration in Gemeinde und Vereine
«Zuzüger sind nicht nur Fachkräfte, sondern auch wertvolle Mitdenker in der Entwicklung einer Region», sagt der Berater Oliver Hoff. Das müsse man auch in den Tourismusregionen realisieren und entsprechende Massnahmen treffen. Wer sich dafür entscheidet, in eine neue Region zu ziehen, fällt diesen Entscheid überlegt. Er möchte sich integrieren und einbringen. Damit das gelingen kann, ist eine offene Haltung der Bevölkerung wichtig, was aber allen voran in Bergregionen nicht immer vorbildlich gelebt wird. «Umfragen zeigen, dass Einheimische gegenüber Zuzügern skeptisch sind. Teilweise werden ihre Ideen als besserwisserisch abgetan», weiss Heike Mayer vom Geographischen Institut der Universität Bern.

Offen sein für andere Ideen und Kulturen
Mayer empfiehlt, Zuzüger früh in Vorstände von Vereinen oder Organisationen wie Tennisclub, Kirchgemeinderäte oder Tourismus einzubinden. Dort können sie sich einbringen und gleichzeitig die Mentalität der Bevölkerung kennenlernen. Auch soll man möglichst niederschwellige Begegnungsräume für Einheimische und Zuzüger anbieten. Beispiele sind regelmässige Kaffeetreffs in der Bibliothek, Kulturabende und offene Begegnungsräume, wo Einheimische wie Zugezogene freiwillig Workshops anbieten.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Im Tourismus gibt es nur wenige Nine-to-five-Jobs, und die Kinderbetreuung ist deshalb schwierig. «Auch weil öffentliche Angebote zu Randzeiten oft fehlen», sagt Oliver Hoff vom Beratungsunternehmen EBP. Weil der Ausländeranteil in Tourismusdestinationen hoch ist, fehlen in diesen Bevölkerungsschichten auch die familiären Netzwerke. Man hört davon, dass ältere Geschwister zu den jüngeren schauen, während die Eltern aus der tiefen Einkommensklasse arbeiten, auch während der Ferien, die meist in die Hochsaison fallen.

Tagesschulangebot und mehr Kitaplätze
Die Gemeinde Saanen, zu der der Kurort Gstaad gehört, hat einen Ausländeranteil von 35 Prozent. Dort versuchten der örtliche Hotelierverein und die Gemeinde, Tagesmütter zu finden, die auch am Abend oder an Wochenenden bereit sind, Kinder zu betreuen. «Wir waren ernüchtert, dass das niemand machen will», sagt Christof Huber, Präsident des Hoteliervereins Gstaad-Saanenland. Nun gibt es einen neuen Ansatz: Die Gemeinde Saanen entwickelt Lösungen für Tagesschulplätze, die auch in den Ferien offen sind. Die Höhe der Kosten ist noch nicht bekannt. Sie müssen dereinst von der Bevölkerung genehmigt werden. Zusätzlich zu den Tagesschulplätzen wird auch das Angebot für Vorschulkinder ausgebaut. Die bestehenden Kitaplätze werden um zehn Plätze erweitert.

Blanca Burri