Sie stecken derzeit mitten im Findungsprozess: Im «Casino Bern», welches im September sein Comeback feiert und unter der Leitung von Ivo Adam zu einem kulinarischen Flaggschiff der Bundesstadt mit insgesamt fünf Outlets werden will, ist das Tabletop derzeit ein Dauerthema. «Setzen wir im Restaurant auf weisses Tischtuch oder lassen wir es gleich weg? Welches Besteck passt zum avantgardistischen Geschirr der Bistro-Bar? Was lassen wir anfertigen, und was beziehen wir ab Stange? Sicher ist derzeit einzig, dass der gesamte Eventbereich mit seinen bis zu 550 Plätzen allein im 1. Stock klassisch mit Tischtuch, Silberbesteck und nachhaltig produziertem, weissem Porzellan ausgerichtet sein wird», lässt Dave Wälti die Runde am Prozess teilnehmen. Wälti, von der ausgezeichneten und mittlerweile geschlossenen «Eisblume Worb» kommend, ist als Küchenchef der Bistro-Bar massgeblich beteiligt an der Entwicklung und sagt selber, dass dieses Suchen nach der auf allen ebenen stimmigen Ausstattung gar nicht einfach ist, «erst recht nicht, wenn man wie wir eine Carte blanche hat», lacht er.

Branchenvertreter diskutieren relevante Themen
Mit dem htr-Tischgespräch möchte die htr hotel revue Lieferanten, Hoteliers und weiteren Vertretern der Branche die Möglichkeit geben, relevante Themen gemeinsam zu diskutieren und zu vertiefen. Bereits im Januar 2019 lud die htr hotel revue zum Tischgespräch nach Bern zum Thema «Das Buffet». Das erste Tischgespräch war dem Thema «Hotelfrühstück» gewidmet (htr hotel ­revue vom 8.2.2018), das zweite dem «Hotelzimmer» (htr hotel revue vom 19.4.2018), das dritte dem «Convenience Food» (htr hotel revue vom 14.6.2018), das vierte dem Thema «Kaffee und Tassenbeilage» (4.10.2018), das vorletzte «Einkauf und Logistik» (13.12.2018). Die htr-Tischgespräche haben sich als Diskussions- und Austauschplattform bewährt; weitere folgen im Verlaufe des Jahres. gsg/fee

Die Terroir-Küche hat das Tischgedeck stark verändert
Gemeinsam mit fünf weiteren Fachleuten hat sich der Koch an diesem Mittwochvormittag für ein Roundtable-Gespräch der htr hotel revue eingefunden rund um das Thema «Tabletop – Tischkultur». Es ist ein Bereich der Gastronomie, der sich seit geraumer Zeit und im Zuge der ganzen Terroir-Küche, die längst auch die Schweiz erfasst hat, einem grossen Wandel unterworfen sieht, der irgendwo schwankt zwischen Klassik und Avantgarde, zwischen herkömmlichem weissen, opulenten Gedeck und reduzierter, kühler Tischkultur, vor allem aber immer individueller wird – was sich gut zeigt am Beispiel «Casino Bern». Dieses gehört der Burgergemeinde Bern, ist daher ein Haus mit weitreichender Tradition und entsprechender Klientel, will aber als modernes Konzert- und Gesellschaftshaus in die Zukunft gehen, will also – um es kulinarisch zu sagen – den trendigen Foodie wie auch den Liebhaber von Grosses Pièces abholen. So erhält ein jedes Outlet seine eigene Tischkultur, die die gebotene Kulinarik unterstreichen soll. So verfährt aber auch das Zürcher Traditionshotel St. Gotthard, das in seiner legendären «Hummer- und Austernbar» auf klassisch weisse Tischkultur und im Lobby-Bistro auf Läufer und Stoffservietten setzt, während man in der Manzoni-Bar auf all dies verzichtet, um mit dieser Bandbreite eine möglichst breite Klientel anzusprechen, wie General Manager Martin Santschi erzählt.

Insbesondere am Beispiel Textilien ist gut ersichtlich, zeigt die angeregt diskutierenden Runde, wie gross derzeit der Wandel ist. Ob sie, fragt Hotelier Santschi die beiden anwesenden Textilfachleute ganz direkt, einen Einbruch erfahren hätten, und wie der sich zeige. «Es sind sicherlich herausfordernde Zeiten», erwidert Manuel Küng und bestätigt damit, was Dave Wälti mit seinen Ausführungen rund um die Ausstattung des «Casino Bern» bereits angedeutet hat. «Zahlreiche neue Restaurants, selbst solche im hohen Gourmet-Segment, reduzieren ihre Tischkultur vermehrt auf ein Minimum. Das bekommen wir sehr wohl zu spüren: Oftmals will man kein Tischtuch mehr, da werden bestenfalls Läufer oder Sets eingesetzt – wenn überhaupt. Der Trend geht eindeutig hin zu mehr Kleinteilen, was letztlich Auswirkungen auf die Stoffmenge hat», erzählt der Verkaufsleiter der Burgdorfer Leinenweberei Schwob AG. Diese ganze Entwicklung führte, fügt er an, zu einem völligen Umdenken innerhalb des Betriebs mit einem stärkeren Fokus auf individuelle Anfertigungen im Kleinstmengenbereich.

Das bestätigt Lars Zimmermann, Mitinhaber der Zimmermann Textil AG in Belp BE: «Unser beider Vorteil ist sicherlich, dass wir als KMUs sehr flexibel sind. Wir arbeiten beispielsweise mit einer Weberei in Deutschland, dank der wir Halbleinen in 40 verschiedenen Farben bereits ab einem einzigen Stück produzieren können. Der Einsatz von individuell gestalteten Läufern beispielsweise ermöglicht auch Res-
taurants ganz neue stilistische Wege – solche Lösungen als Ergänzung zur herkömmlichen, standardisierten Handelsware wurde für uns zu einem wichtigen Wirtschaftszweig». Die Terroir-Welle hatte aber nicht nur zur Folge, dass das klassische Tischtuch vermehrt verschwindet. Im Gegenzug, bemerkt Küng, hat die Haptik an Bedeutung gewonnen, was ihnen auch zugutekommt. «Der Gast von heute will das Material spüren, wünscht Wertigkeit, insbesondere auch beim Stoff, was sich einerseits beim verwendeten Material, aber auch in der Webart zeigt», erklärt er.

Die Herausforderung heute: alles aufeinander abzustimmen
Dieser Wunsch nach Haptik, die die moderne, regionale, nachhaltige Kochkunst mit sich bringt, sie beschäftigt die Tischkulturbranche durch alle Bereiche hindurch. Auch Heinz Bolli, Kundenberater bei der Solothurner Firma Banholzer AG bemerkt: «Weisses, klassisches Porzellan? Heute sind vor allem Steingut und Keramik in allen Erdfarben und allen möglichen Formen gefragt, das durchaus auch unvollkommen daherkommen darf». Und Besteck-Spezialist Matthias Spitz fügt an: «Abgesehen von Klassikern wie etwa die unverwüstliche Gastro-Serie Baguette kommen selbst in gehobensten Restaurants immer mehr ultramoderne Serien zum Einsatz wie etwa Gaya mit seiner matten Oberflächenbehandlung, dem Set in Kupfer, Gold oder gar Schwarz», so der CEO des Besteckherstellers Sola mit Sitz in Emmen LU.

Die grosse Herausforderung besteht dann wiederum darin, alle Teile aufeinander abzustimmen – selbst wenn es eine Mischung aus Standard- und Massanfertigung ist – sodass von der klassischen Menüfolge bis zum Sharing-Dinner jeweils ein stimmiges Ganzes entsteht. Dass dies vielfach gar nicht so einfach ist, weiss Dave Wälti derzeit nur zu gut: «Es ist enorm wichtig, den Ablauf auch als Koch zu testen. Sprich: Wie isst es sich aus dem Teller? Wie speichert er die ­Wärme? Passt der Löffel dazu? Welches Geräusch gibt dieser beim Anhäufen ab? Wie funktioniert das Ganze als Gesamtbild? Das sind alles Punkte, die man selbst zwingend beachten und durchspielen muss», sagt er. Für seine Bistro-Bar haben sie sich für sechs verschiedene Teller entschieden, die gar beidseitig einsetzbar sind, also insgesamt zwölf Servier­varianten ermöglichen. Nach zwei, drei Jahren, so die Idee, soll das Set verkauft und der Erlös in die nächste Produktion investiert werden. «Damit versuchen wir, auch im Non-Food-­Bereich einen Kreislauf zu schliessen. Gleichzeitig können wir uns Schritt für Schritt weiterentwickeln und unser Konzept schärfen», so Wälti.

Diese Herangehensweise an eine Tischkultur – kurzlebiger, flexibler, aber sehr wohl wirtschaftlich durchdacht – kommt bei den anderen gut an. «Allein zu überlegen, wo wollen wir in zwei, wo in zehn Jahren stehen, lohnt sich auch in dieser Hinsicht für jeden Betrieb», findet Martin Santschi vom Hotel St. Gotthard anerkennend. Dennoch ist man sich auch einig: Was beim einen funktionieren kann, ist noch kein Garant für den anderen. Was zu welchem Haus passt und ob die entsprechende Ausstattung vom Gast auch honoriert wird und allenfalls zu mehr Gästeaufkommen führt, das ist so eine Krux. «Letztlich ist die Kultur eines Hauses alles entscheidend», sagt Banholzer-Kundenberater Heinz Bolli. Gerade auch für die Zulieferer haben sich im Zuge des individualisierten, massgeschneiderten Tabletops die Anforderungen gewandelt. «Wir werden immer mehr zu persönlichen Beratern und Ideenlieferanten», bemerkt Spitz von Sola. Und Heinz Bolli ergänzt: «War Banholzer einst bekannt für seinen dicken Katalog, ab dem einfach bestellt wurde, so wünscht der Gastronom und Hotelier heute eine allumfassende Beratung, ein individuelles Gesamtpaket». Dies hat zur Folge, dass der Solo­thurner Gastrobedarf-Anbieter sein Angebot mit neu-
en Showrooms in St-Légier JU und St. Gallen stetig ausbaut, um so auch mehr Kundennähe garantieren zu können.

Was zu den einen Betrieben passt, funktioniert in anderen nicht
All diese Veränderungen werfen letztlich auch die Frage auf: Wie ist das nun mit der weissen Tischwäsche und dem Porzellan – ist das völlig überholt? Im Gegenteil, ist man sich einig, und das zeigt sich nicht zuletzt auch am Beispiel Hotel St. Gotthard, das mehrere Versuche gestartet hat, zeitgemässer zu werden. Santschi erzählt, dass sie oft die Frage umtreibe, was zu einem Haus wie dem ihren passe. «Bunte Läufer auf den Tischen unserer Terrasse, Kellner in T-Shirts, Dinieren am Tresen unserer ‹Hummer Bar› – alles Dinge, die andernorts ziehen, funktionieren bei uns einfach nicht», lautet General Manager Santschis Erkenntnis. «Bei uns drängt sich einfach die weisse Tischkultur auf», fügt er augenzwinkernd an. «In einem so klassischen Haus wie dem ihren ist das aber auch einfach stimmig», bestätigt ihn Küng von der Leinenweberei Schwob, der auch mit Freude beobachtet, wie selbst Gastrogruppen mitunter aus Nachhaltigkeitsgründen von Pa­pier- wieder vermehrt auf weisse Stoff-Servietten umstellen.

Die Textilbranche hat längst neue Wege eingeschlagen. «Wir experimentieren mit Hanf oder Flachs vom benachbarten Bauern – was nicht nur punkto Haptik spannend ist, sondern auch bezüglich Regionalität», so Küng. «Es ist letztlich auch eine Frage der Verfügbarkeit», schliesst sich Zimmermann an, «Leinen ist auch in der Mode sehr gefragt, weswegen sich Engpässe ergeben, was wiederum die Preise in die Höhe treibt», so der Mitinhaber der Textil-Firma, welche sich ebenfalls an neuen Rohstoffmaterialien versucht, wie etwa einer Faser aus rezyklierten PET-Flaschen.

Gut möglich, dass das Pendel zurückschlägt, nicht nur im Textilen. «Vermehrt fragen Junge nach klassischem Silberbesteck», beobachtet Matthias Spitz von Sola, und Heinz Bolli von Banholzer spürt das Traditionelle in einer erhöhten Nachfrage nach Weingläsern mit hohem Stiel. Dave Wälti, als 31-Jähriger ein Vertreter dieser neuen, jungen Generation, bestätigt sie in ihrer Wahrnehmung: «Ich bin je länger desto mehr überzeugt von der klassischen, weissen Tischkultur. Es gibt nichts, das so zeitlos und vielseitig einsetzbar ist und dabei doch immer modern bleibt.»


«Die Kultur des Hauses entscheidet mit.»
Heinz Bolli
ist Kundenberater bei Banholzer AG mit Sitz in Deitingen SO. Der Anbieter von Dienstleistungen und Artikeln für die Gastronomie, Gemeinschafts- und Systemgastronomie beschäftigt 36 Mitarbeitende. Das Unternehmen investiert derzeit in den Aussendienst: Nebst dem Showroom in Deitingen wurde neu einer in St-Légier JU eröffnet. Per Juli 2019 folgt ein dritter in St. Gallen. www.banholzer.ch  [IMG 3]


«Die Haptik ist wichtig, man will spüren.»
Manuel Küng ist Leiter Verkauf bei der Emmentaler Leinenweberei Schwob AG. Seit 1872 produziert, näht und veredelt sie Textilien nach Schweizer Qualitätsstandards für die Hotellerie und Gastronomie sowie für das Gesundheitswesen rund um die Wäsche für Tisch, Bett, Küche und Bad. Das Unternehmen ist Öko-Texund Max-Havelaar-zertifiziert, zu ihm gehören sechs eigene Wäschereien. www.schwob.ch [IMG 4]


«Wir setzen vermehrt auf Kleinstmengen.»
Lars Zimmermann,
Mitinhaber Zimmermann Textil AG mit Sitz in Belp, hat 2006 zusammen mit seinem Bruder Jens und seinem Vater Ulrich die Textilfi rma gegründet. Das Familienunternehmen ist spezialisiert auf Tisch-, Bett-, Frottier- und Küchenwäsche. Nebst Standardprodukten setzen sie verstärkt auf Sonderanfertigungen und spezielle Konfektion, Farben, Einwebungen bis hin zu Stickereien. www.zimmermanntextil.ch [IMG 5]


«Wir stehen für die klassische Tischkultur.»
Martin Santschi
ist seit 16 Jahren General Manager des 4-Sterne-Superior-Hotels St. Gotthard in Zürich, das 1889 vom Hotelier Caspar Manz eröffnet wurde und heute in vierter Generation, aber weiterhin von Verwaltungsratspräsidentin Ljuba Manz geführt wird. Das Familienhotel verfügt über 138 Zimmer und ist weit herum bekannt für seine bereits 1935 gegründete «Hummer- und Austernbar». www.hotelstgotthard.ch [IMG 6]


«Klassisches SilberBesteck ist gefragt.»
Matthias Spitz
ist CEO der Firma Sola Switzerland AG mit Sitz in Emmen LU. Die Firma, 1866 gegründet, ist der grösste Schweizer Hersteller von Besteck, Porzellan und ServierZubehör. Die Versilberung erfolgt nach wie vor in Emmen in der hauseigenen Galvanik. In ihrem Designstudio werden 3D-Modelle eins zu eins entworfen, produziert wird an verschiedenen Standorten der Welt. www.sola.ch [IMG 7]


«Es ist enorm wichtig, alles selber zu testen.»
Dave Wälti
ist Küchenchef der Bistro-Bar im «Casino Bern», welches im September wiedereröffnen wird. Derzeit wird das Traditionshaus für 78 Millionen Franken umgebaut. Unter der Leitung von Ivo Adam entsteht in der Berner Kulturstätte eine moderne Gastronomie mit fünf verschiedenen Betrieben: eine Kaffee-Bar, eine Bistro-Bar mit Counter Dining, ein FineDining-Restaurant, ein Kitchen Table sowie ein Chefs Table. www.casinobern.ch  [IMG 8]