«Risk Free Reservations ist ein neues Programm mit dem Ziel, Ihnen zu helfen, mehr Geld zu verdienen.» Das Versprechen von Booking.com klingt verlockend: Zimmerangebote auf der führenden Online-Buchungsplattform werden dem Kunden als erstattungsfähige Buchungen angezeigt, selbst wenn die Option zur kostenlosen Stornierung vom Hotel nicht vorgesehen ist. Sollte der Kunde die Buchung dann tatsächlich stornieren, vermittelt Booking.com einen Ersatzgast, sodass dem Hotel kein Ausfall entsteht. Gelingt auch das nicht und bleibt das Zimmer leer, zahlt Booking dem Hotel den vollen Zimmerpreis. Der Gast behält so die volle Flexibilität bis zum Antritt seiner Reise, und gleichzeitig hat der Hotelier die Garantie, nicht leer auszugehen.

Wann und wo das neue Programm implementiert wurde bzw. wird, dazu gibt es bisher keine offiziellen Informationen. Von Booking heisst es dazu auf Anfrage ­lediglich: «Aktuell testen wir für eine Auswahl an Unterkünften die Darstellung von Buchungen mit nicht kostenfrei stornierbaren Raten. Im Zuge dieses Experiments erscheinen bei teilnehmenden Unterkunftspartnern Raten, bei denen kein Anspruch auf Rückzahlung besteht, gegenüber dem Kunden als flexible Rate und können demzufolge kostenlos storniert werden.» Ob und wann dieses «Experiment» in die Schweiz kommt, ist offen. Gestützt auf einen Beitrag des spanischen Blog-Portals Mirai.com gilt jedoch als gesichert, dass «Risk Free Reservations» zumindest in Spanien bereits teilweise eingeführt wurde.

Der durchschnittliche Zimmerpreis wird sinken
Nun wäre es naiv anzunehmen, der Platzhirsch Booking.com handle uneigennützig. Was für Gäste und Hotels auf den ersten Blick wie eine Neuerung ohne Nachteile aussieht, verdient deshalb genauere Betrachtung. Genau dies tat der Autor des Blog-Beitrags, César López. Und gemäss seiner Analyse hat es das Programm «Risk Free Reservations» in sich.

Hotels, welche auf Booking.com sowohl kostenlos als auch kostenpflichtig stornierbare Zimmer anpreisen, konkurrenzierten dank Bookings «Grosszügigkeit» ihre eigenen Angebote, ist López überzeugt. Das teurere Zimmerangebot mit Option auf kostenlose Annullation verliere jeglichen Sinn und Zweck, wenn das günstigere, nicht kostenlos stornierbare Angebot dem Kunden ebenfalls als kostenlos stornierbar angezeigt wird. Der durchschnittliche Zimmerpreis eines Hotels dürfte also sinken, da sich die Gäste mit Vorliebe für die günstigeren Angebote entscheiden werden.

Ein weiterer absehbarer Effekt sei, argumentiert López, dass Booking.com plötzlich bessere Preise anbieten könnte als das Hotel auf seiner eigenen Website beziehungsweise anderen Kanälen – und das selbst bei Ratenparität, das heisst, wenn die Preise auf allen Plattformen identisch sind.

Dazu ein Beispiel: Der Preis für ein Zimmer beträgt auf sämtlichen Verkaufskanälen 100 Euro (inklusive kostenloser Stornierung) beziehungsweise 90 Euro (ohne Möglichkeit auf Rückerstattung). Booking.com ist dank «Risk Free Reservations» neu der einzige Anbieter, der selbst das kostenlos stornierbare Zimmer für 90 Euro anpreisen kann. Der Anteil der über Booking.com abgewickelten Buchungen dürfte so auf Kosten aller anderen Kanäle, einschliesslich der hoteleigenen Web­site, weiterwachsen.

Wenn plötzlich Booking.com über das letzte Zimmer verfügt
Roland Schegg, Professor am Institut für Tourismus der Fachhochschule Westschweiz HES-SO, teilt die Einschätzungen des Bloggers. Er erkennt in dem Programm von Booking.com jedoch mehr als nur einen Versuch, den Marktanteil bei den Online-Buchungen zu vergrössern. «Am Ende geht es um den Kundenbesitz und um die langfristigen Umsatzperspektiven.» Die Online-Buchungsplattformen wollten den Kunden mit allen Mitteln an sich binden, Schegg spricht von «Customer Ownership». Solche Kunden gingen zu einem späteren Zeitpunkt kaum mehr direkt zum Hotel, um zu buchen. «Hoteliers, die an diesem Programm mitmachen, sabotieren insofern ihre eigenen Direktbuchungsstrategien», warnt Schegg.

Laut López sei auch das neue Programm «opt-out», wie bereits bei früheren Anpassungen des Geschäftsmodells von Booking.com. Das heisst, Hotels, welche nicht an «Risk Free Reservations» teilnehmen wollen, müssen dies explizit angeben – sonst sind sie automatisch dabei.

Beunruhigt ist auch Thomas Allemann, Leiter Mitglieder beim Verband hotelleriesuisse. Er entwirft folgendes Negativ-Szenario: Der Hotelier verzeichnet einen guten Buchungsstand und schliesst deshalb einzelne Kanäle (wie etwa Booking.com), um die letzten verfügbaren Zimmer über die eigene Homepage oder andere ausgewählte Kanäle zu einem höheren Preis zu verkaufen. Storniert ein Gast, der bereits vorher über Booking.com gebucht hatte, sein Zimmer, erscheint dieses nun erneut auf Booking.com, und zwar zu einem vom Unternehmen beliebig festgelegten Preis und obwohl der Hotelier zum gegebenen Zeitpunkt explizit keine Zimmer auf Booking.com anbieten will. Wer dann im Internet nach einem verfügbaren Zimmer sucht, stösst höchstwahrscheinlich auf das Angebot und besteht womöglich bei einer Direktbuchung gegenüber dem Hotel auf einem Preisnachlass mit Hinweis auf den günstigeren Preis auf Booking.com.

Treibt man das Gedankenspiel weiter, ist sogar ein noch ungünstigeres Szenario denkbar: Sind zu einem gegebenen Zeitpunkt sämtliche Zimmer eines Hotels ausgebucht, verfügt plötzlich Booking.com im Falle einer Stornierung exklusiv über das letzte Zimmer und kann dieses beliebig teuer verkaufen.

Höchstens für die Kleinen eine gute Option
Auch wenn «Risk Free Reservations» in der Schweiz noch Zukunftsmusik ist, beobachtet man das Booking-Experiment in hiesigen Hotelierkreisen schon jetzt argwöhnisch. «Wir müssten sicherlich unsere Ratenstrategie und -Struktur überdenken», meint ein Hotelier, der aus Rücksicht auf seine Beziehungen zu Booking nicht namentlich genannt werden möchte. Aus Sicht von Roland Schegg bietet das Programm höchstens jenen Betrieben Vorteile, die ihren Online-Vertrieb ohnehin mehr oder weniger komplett an Booking.com ausgelagert haben. Alle anderen riskierten, in noch stärkere Abhängigkeit des Online-Giganten zu geraten. Besser sei es, noch konsequenter auf Anreize zu Direktbuchungen zu setzen, meint Schegg.