Rudolf Strahm, warum hat sich die politische Schweiz so lange so schwergetan, den Schritt in die Moderne zu wagen?
Wie so oft musste sich ein neues System zuerst im Ausland bewähren, bevor es hier zur Geltung kommt. Vor zwölf Jahren wurde eine erste Motion Aebischer für die Einführung des Titels «Professional Bachelor» bei Abschlüssen der Höheren Berufsbildung im Nationalrat zwar angenommen, aber im Ständerat abgeschmettert. Die Opposition gegen die Titelaufwertung kam aus der Hochschulszene. Dort spielen standespolitische Interessen oder auch der akademische Dünkel eine Rolle. Dank Bundesrat Guy Parmelin ist jetzt die Zeit reif für die Titelaufwertung.
Wenn nach dem Ständerat im Winter auch der Nationalrat zustimmt: Wie profitieren Absolventinnen und Absolventen von Eidgenössischen Prüfungen und Höheren Fachschulen?Berufstitel sind heute für die gesellschaftliche Anerkennung wichtiger als früher, manchmal sogar matchentscheidend. Man studiere nur die fantasievoll formulierten Stelleninserate! Für Absolventen der Höheren Berufsbildung, die in einer internationalen Branche arbeiten, etwa in der Hotellerie, in der Informatik, Logistik, Textiltechnik oder Rechnungslegung, sind Titelzusätze für Jobs und Praktika im Ausland wichtig. Gewisse Länder akzeptieren Zuwanderer nur mit akademischen Titeln. Obschon die Höhere Berufsbildung fachkompetenzmässig mehr zählt, ist sie mit den schweizerischen Berufsbezeichnungen in der internationalen HR-Szene nicht bekannt.
Berufstitel sind heute für die gesellschaftliche Anerkennung wichtiger als früher.
Sind Abschlüsse der Höheren Berufsbildung tatsächlich auf einer Stufe mit einem Bachelor oder Master oder einzuordnen?
Mit seinem Antrag ans Parlament will der Bundesrat in der Regel die BP- und HF-Abschlüsse zusätzlich zur deutschen oder englischen Berufsbezeichnung mit dem Titelzusatz «Professional Bachelor» zulassen und schützen. Und die HFP in der Regel mit dem Zusatz «Professional Master». Er stützt sich dabei auf den Vergleich mit Unis und Fachhochschulen aufgrund des Nationalen Qualifikationsrahmens. Die HFP, die frühere Meisterprüfung, ist eben sehr, sehr anspruchsvoll. Alle Fachkräfte mit Höheren Berufsabschlüssen sind im Arbeitsmarkt hoch begehrt, das sind die tragenden mittleren Kader, Teamchefs und Technikerinnen.
Noch immer glauben viele Eltern, dass die Zukunft ihrer Kinder an der Uni liege. Das erstaunt doch etwas in einem Land, das mit der dualen Berufsbildung weltweit Anerkennung feiert.
In akademischen Kreisen und besonders auch bei Expats kennt man das durchlässige Bildungssystem nicht. In der Schweiz herrscht das Prinzip «Kein Abschluss ohne Anschluss». Auch mit dem Start in eine Berufslehre kann man bei uns mit Berufsmaturität und Fachhochschule oder mit einer Höheren Berufsbildung Karriere machen.
Deutschland und Österreich haben ihre Titelstruktur schon seit längerem angepasst. Welche Erfahrungen machen die beiden Länder damit?
Es gab dort mit dem Zusatz «Bachelor Professional» einen Reputationsschub. Seither steigen manche Hochschulabsolventen bei ihrer Weiterbildung sogar auf den Erwerb des «Bachelor Professional» um, weil dieser in der Privatwirtschaft mehr Ansehen geniesst als manche Uni-Titel.
Der frühere SP-Nationalrat und Preisüberwacher Rudolf Strahm engagiert sich seit Jahrzehnten im Bereich Bildung. Als Autor von «Die Akademisierungsfalle» und «Karriere mit Berufsbildung» setzt er sich vehement für die Gleichstellung von akademischer und Höherer Berufsbildung ein.
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