Der Bundesrat berät in diesen Tagen über Massnahmen, wie angesichts der geradezu explodierenden Neuansteckungszahlen die Pandemie wieder unter Kontrolle gebracht werden kann. Ein Entscheid steht morgen Mittwoch an.

Zur Debatte steht dabei offenbar auch ein sogenannter «Circuit Breaker». Damit ist ein kurzer restriktiver Mini-Lockdown gemeint, mit dem die Ansteckungen innert kurzer Zeit eingedämmt werden sollen. Wirtschaftsverbände wehren sich vehement gegen eine solche Massnahme, weil diese den Unternehmen enorm schaden könnte.

Licht am Horizont geht aus
Mit einem solchen Mini-Lockdown würde in der Schweiz ein Zeichen gesetzt, das verheerende Folgen haben könnte, sagen auch Ökonomen. «Wenn wir jetzt einen zweiten Lockdown haben und damit zeigen, dass die Normalität doch nicht so schnell wieder einkehrt, könnte die Konsumentenstimmung längerfristig Schaden nehmen und die Investitionen werden zurückgehen», sagt etwa der Ökonom Claude Maurer von der Credit Suisse.

Bisher seien die Konsumenten und Unternehmen nämlich davon ausgegangen, dass die Krise einen relativ überschaubaren Zeithorizont habe – im Gegensatz zum Beispiel zur Finanzkrise 2008. Damals war von Beginn weg klar, dass eine Erholung mehrere Jahre andauern dürfte.

Maurer erklärt: «Der Grund, dass die Schweizer Wirtschaft während der Coronakrise bisher nicht so stark Schaden genommen hat, ist, dass das Licht am Ende des Tunnels sichtbar war.» Die Konsumenten sorgten sich wenig um die Zukunft und gaben das Geld, das sie während des Lockdowns gespart hatten, sofort nach der Öffnung der Geschäfte im Frühsommer wieder aus. Das kurbelte die Wirtschaft an und schürte Hoffnung auf eine schnelle Erholung.

Mit einem weiteren Lockdown würde die Erholung hingegen wieder in weite Ferne rücken. Das würde die Konsumenten und Firmen verunsichern –  mit Folgen auch für die Arbeitnehmer: «Wenn eine Besserung erst 2022 oder 2023 in Sicht ist, werden Firmen eher Stellen abbauen, als das noch im Frühling der Fall war, als die Krise noch absehbarer schien», sagt David Marmet, Ökonom der Zürcher Kantonalbank (ZKB).

Ohne staatliche Eingriffe nicht möglich
Die Ökonomen hoffen deshalb, dass sich ein zweiter Lockdown über alle Branchen hinweg verhindern lässt. Ganz ohne weitere Eingriffe des Staates dürfte ein Eindämmen der Pandemie allerdings nicht funktionieren, sagt Martin Eichler, Chefökonom von BAK Economics: «Wenn wir einen kompletten Lockdown verhindern möchten, müssen wir jetzt relativ massiv eingreifen.»

Restriktionen seien allerdings punktuell einzusetzen, sagen die Ökonomen unisono. Grenzschliessungen beispielsweise würden laut Eichler jetzt, wo das Virus weit verbreitet ist, keinen grossen Nutzen mehr bringen, schädigten die Wirtschaft aber stark. «In diesem Bereich sollte man weniger restriktiv sein und Wege finden, mit denen der wirtschaftliche Austausch möglich bleibt, beispielsweise mit entsprechenden Teststrategien. Für die Wirtschaft ist es wichtig, dass die Grenzen offen bleiben.»

Denkbar sind laut den Ökonomen auch Einschränkungen in bestimmten Branchen oder Regionen. «Es gibt leider keine Gerechtigkeit in dem Sinne, dass wir die Auswirkungen auf alle Branchen verteilen können. In gewissen Branchen ist einfach der persönliche Kontakt sehr ausgeprägt und bei anderen nicht», sagt Karsten Junius von S. Safra Sarasin.

Das hiesse, dass der Dienstleistungssektor, darunter namentlich die Gastronomie, die Eventbranche und der Tourismus, erneut unter die Räder kommen würden. «Neu erwartet man eine Erholung in K-Form: In einigen Branchen, wie dem Tourismus oder der Luftfahrt, wird es weiter nach unten gehen, andere werden sich in unterschiedlichem Tempo wieder von der Krise erholen, weil sie nun mit dem Virus umzugehen wissen», sagt David Marmet von der ZKB.

Lockdown würde Klarheit schaffen
Sollte es schlimmstenfalls dennoch zu einem weiteren umfassenden Mini-Lockdown kommen, liesse sich daraus laut den Ökonomen allerdings auch ein Vorteil für die Wirtschaft ableiten: «Aktuell haben wir in allen Kantonen andere Regeln und man weiss nicht genau, was eigentlich gilt. Ein Mini-Lockdown, also verbindliche Regeln auf Bundesebene, würde Klarheit schaffen», sagt Marmet.

Ohne klare Regeln bestünde die Gefahr, dass die Konsumenten vor lauter Unsicherheit nicht mehr aus dem Haus gehen würden und das Vertrauen verlieren. Dadurch könnte ein «De-Facto-Lockdown» entstehen, sagt Marmet. «Letztendlich könnte das mittelfristig die grösseren wirtschaftlichen Konsequenzen haben», sagt Junius.

Somit hat laut Maurer also nicht nur das Verhängen eines Lockdowns Konsequenzen, sondern auch das Nicht-Verhängen. «Die Politik ist in einer schwierigen Lage: Tut sie nichts und die Fallzahlen steigen zu stark, leidet die Wirtschaft. Verhängt sie Massnahmen, leidet die Wirtschaft auch. Das auszutarieren ist im Moment die grosse Kunst.» (Tabea von Ow/AWP/sda)