Der Bundesrat schlägt vor, eine zweite Röhre durch den Gotthard zu bauen, um die Alpentransit-Verbindung während der Sanierung des bestehenden Tunnels zu gewährleisten. Nach der Renovation, ab etwa 2030, würden dann beide Röhren zur Verfügung stehen.

Die Vorlage verbietet es jedoch, die Kapazität der Verbindung zu erweitern: Geplant ist, nur eine Spur pro Tunnel für den Verkehr freizugeben und die andere als Pannenstreifen zu benutzen. Für Lastwagen würde ein Dosiersystem eingerichtet.

Reine Sanierungsvorlage
Nach der Lesart des Bundesrats handelt es sich daher um eine reine «Sanierungsvorlage». Die Gegner, zu welchen neben Linken und Grünen auch Vertreter der Zentralschweizer Kantone zählen, sehen darin aber einen Etikettenschwindel: Für sie ist absehbar, dass das Verkehrsregime unter dem Druck der Strasse über kurz oder lang aufgeweicht würde.

Die Autofahrer im Stau würden nur schwer verstehen, warum ein voll ausgebauter Tunnel nur zur Hälfte geöffnet werde, sagte Markus Stadler (GLP/UR). Für Paul Rechsteiner (SP/SG) steht fest, dass die «normative Kraft des Faktischen» zur Öffnung führen würde.

Auch für Konrad Graber (CVP/LU) zeichnet sich «kein Happy-End» ab: Zuerst werde der Tunnel schrittweise für den Vierspurbetrieb freigegeben, dann werde die Schweizer Verlagerungspolitik insgesamt in Frage gestellt, sagte er. Verkehrsministerin Doris Leuthard erinnerte ihn aber daran, dass dafür eine Verfassungsänderung nötig wäre.

Nach Ansicht von Claude Janiak (SP/BL) würde sich die Schweiz mit dem Ausbau auch gegenüber der EU erpressbar machen. Das Landverkehrsabkommen verbiete eine mengenmässige Beschränkung der Transitfahrten, sagte er. Genau das stelle die Sperrung von zwei Fahrspuren aber dar. Leuthard hielt ihm entgegen, dass die EU das Vorgehen für vereinbar mit dem Abkommen halte, was sie sogar mit einem Schreiben des EU-Verkehrskommissars belegen konnte.

Gegner orten Verfassungsbruch
Die Gegner sehen in der zweiten Tunnelröhre auch einen Bruch mit der Verfassung. Der Alpenschutzartikel verbietet nämlich die Steigerung der Kapazität von Transitstrassen. Für die Befürworter ist die Verfassungsmässigkeit dadurch gewährleistet, dass nur eine Fahrspur in jeder Richtung geöffnet würde.

Rechsteiner schien diese Argumentation absurd: Die Kapazität entstehe mit dem Bau, unabhängig davon, ob sie genutzt werde. «Zwei Strassentunnel ist das Doppelte von einem Strassentunnel», sagte er. Darum brauche es nicht nur eine Gesetzes-, sondern eine Verfassungsänderung.

Die Befürworter verwiesen allerdings auf eine Stellungnahme des Bundesamts für Justiz, welches die Verfassungsmässigkeit bestätigt hatte. Auch für Leuthard führt eine zweite Röhre nicht zwingend zu mehr Verkehr.

Umstrittene Finanzierung
Zu reden gab auch die Finanzierung: Die Sanierung und der Bau des neuen Tunnels kosten rund 2,8 Milliarden Franken – rund doppelt so viel, wie die Sanierung ohne zweiten Tunnel und die nötigen flankierenden Massnahmen kosten würden. Vorgesehen ist etwa der Bau einer Rollenden Landstrasse (RoLa) für den Transport der Lastwagen.

Obwohl günstiger, halten die Tunnel-Befürworter das Geld dafür für verschwendet, weil die RoLa-Anlagen nach der Sanierung zurückgebaut werden müssten. «Eine Milliarde wäre damit obsolet», sagte auch Leuthard. Die Ausgaben für die zweite Röhre seien die «nachhaltigere und bessere Investition».

Konrad Graber (CVP/LU) dagegen sah in der teureren Variante «ein Missverhältnis von eingesetzten Mitteln und erzielter Wirkung». Er war nicht der einzige, der befürchtete, dass wegen des Baus der zweiten Gotthard-Röhre viel dringendere Strassenprojekte auf die lange Bank geschoben würden. Um diesen zu finanzieren, seien während zehn Jahren die gesamten Einnahmen aus der Vignette nötig.

Tessiner Appell
Die Befürworter liessen sich durch solche Vorbehalte nicht beirren. An vorderster Front für die zweite Röhre kämpfte der Kanton Tessin. Südlich der Alpen besteht die Befürchtung, vom Rest der Schweiz abgeschnitten zu werden, falls der bestehende Strassentunnel für die Sanierung während insgesamt fast drei Jahren gesperrt würde.

«Lassen sie uns bitte heute nicht im Stich», appellierte Filippo Lombardi (CVP/TI). Seiner Meinung nach hätte eine dreijährige Tunnel-Sperrung katastrophale Folgen für das Tessin, die volkswirtschaftlichen Schäden würden sich auf hunderte Millionen Franken belaufen.

Lombardi führte auch die zusätzliche Sicherheit für die Autofahrer ins Feld: Heute dürfte eine Röhre mit Gegenverkehr gar nicht mehr gebaut werden, sagte er. Das Argument der Sicherheit mit zwei Tunnelröhren wog schwer für die Befürworter. Auch Leuthard bezeichnete den Sicherheitsgewinn als wichtigstes Argument für eine zweite Röhre. Das Risiko zu vermindern, dürfe etwas wert sein, sagte sie.

Standesvertreter aus St. Gallen und Graubünden warnten zudem vor dem zusätzlichen Verkehr auf der A13, andere erinnerten daran, dass weder in Uri noch im Tessin Platz für die RoLa-Verladestationen zur Verfügung stehe. «Die Sanierung mit dem Bau des zweiten Tunnels dient der ganzen Schweizer Bevölkerung», fasste Peter Föhn (SVP/SZ) zusammen.

Die Debatte wird am nächsten Donnerstag fortgesetzt. Zur Diskussion stehen noch drei Rückweisungsanträge. Mit diesen soll der Bundesrat unter anderem beauftragt werde, die Verfassungsmässigkeit oder alternative Finanzierungen vertieft zu überprüfen. Das letzte Wort hat das Volk: Die Vorlage soll dem fakultativen Referendum unterstellt werden. (npa/sda)