Roland Zegg, Sie feiern heute Ihren 64. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch. Wann und an wen übergeben Sie das Zepter?

Roland Zegg: Die Übergabe bei Grischconsulta soll noch dieses Jahr erfolgen. Wie es mit dem TFA weitergeht, werden wir am diesjährigen Forum in Andermatt bekannt geben. Konkrete Namen möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht nennen. Eine Übergaberegelung ist jedoch in Planung. Wir haben in allen drei Bereichen, also bei Grischconsulta, Ibex Fairstay und dem TFA, sehr gute Kaderleute, die ihr Geschäft bereits bestens kennen.

2020 findet das TFA zum 30. Mal statt. Welches Jahr ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Roland Zegg: Am eindrücklichsten war für mich das Forum 2001 in Davos. Die Beiträge zum Thema Krisenmanagement waren sehr ergreifend. Der Absturz der Swissair-Maschine MD 11 bei Halifax und das Lawinenunglück von Galtür (1999) mit 31 Todesopfern waren den Anwesenden noch frisch in Erinnerung. Als der damalige Einsatzleiter auf der Bühne stand, herrschte Totenstille im Raum. Unter die Haut ging auch der Auftritt von Gerhard Huber, der vom Brandunglück in Kaprun Ende 2000 erzählte. Eine Tunnelstandseilbahn war in Brand geraten, 155 Menschen verloren damals ihr Leben. Es war das mit Abstand grösste Seilbahnunglück der letzten 30, 40 Jahre. Als Einsatzleiter Huber sprach, herrschte eine unbeschreibliche Stimmung. Tiefe Ergriffenheit, die ganze Tragik des Unglücks kam noch einmal hoch. Das werde ich nie vergessen.

Jahr für Jahr hat es unter den TFA-Teilnehmenden rund 50 Prozent «Stammgäste» – trotz des relativ hohen Preises und des beträchtlichen Zeitaufwands von bis zu drei Tagen. Was zieht diese Leute jedes Jahr ans TFA?

[IMG 2] Carmen Heinrich: Das TFA ist eine Community. Auf den Treffen geht es sehr familiär zu und her. Man begegnet sich jedes Jahr als «friendly competitor» auf neutralem Boden. Wir sind sozusagen das WEF für die alpine Tourismusbranche: Man trifft sich, auch wenn man an anderen Tagen jeder für sich um den Gast buhlt, die Österreicher im Wettbewerb mit den Schweizern, das eine Tal, das eine Hotel im Wettbewerb mit dem anderen, mit dem nächsten – das TFA bringt sie alle zusammen. Es ist unser Anspruch, die Branche nicht nur durch Wissen, sondern auch durch Begegnungen zu bereichern. Gleichzeitig reden wir den Leuten nicht nach dem Mund, sondern ecken zum Teil an. Auch das schätzen die Leute, wie das Feedback beweist.

Carmen Heinrich ist verantwortlich für die Kommunikation bei Grischconsulta. Seit vier Jahren leitet sie das TFA. Die gebürtige Fränkin ist gelernte Hotelfachfrau und absolvierte ein Studium in Wirtschaftswissenschaften. Beruflich verschlug es sie bereits bis nach Indien, sie wirkte in internationalen Unternehmen wie Unilever oder Coca Cola sowie im Grand Resort Bad Ragaz. Heinrich ist verheiratet und hat einen Sohn.

Roland Zegg: Was uns ausserdem abhebt: Wir schöpfen aus dem Fundus eines Beratungsunternehmens. Wir wissen «von der Front», was die Branche im Moment bewegt. Deshalb wäre das Tourismusforum ohne Grischconsulta so nie entstanden, sie ist der fruchtbare Boden.

In der Szene gilt das TFA auch als «Seilbähnlertreffen». Stört Sie das?

Roland Zegg: Nein. Gerade in der Bergbahnbranche ist das Vernetzungsbedürfnis ausgesprochen hoch. Die Bergbahner wollen eben nicht immer nur über Seilbahntechnik, Seilbahnbewilligungsfragen, Auflagen oder neue Normen reden, sondern bewusst branchenübergreifend und interdisziplinär diskutieren. Deshalb setzen wir am Forum bewusst auf einen bunten Themenmix. Der Tourismus verfügt über eine lange Wertschöpfungskette. Alle Leistungsträger zusammenzubringen, ist ein Grundgedanke des Forums. Die Bergbahnbranche stellt übrigens immer etwa 50 bis 60 Prozent der Teilnehmer. Die anderen 40 bis 50 Prozent sind Hoteliers, Skischulen, Sport- und Eventveranstalter, Gemeindevertreter sowie Leute aus Wissenschaft und Forschung. Sie mögen es «Seilbähnlertreffen» nennen, aber für uns stimmt der Mix so, denn die tonangebenden Akteure der alpinen Tourismuswirtschaft sind dabei. Einen solchen Anlass gibt es sonst nirgends.

Das TFA bekommt keinerlei finanzielle Unterstützung von Verbänden oder durch die öffentliche Hand. Rentiert das Forum?

Roland Zegg: Das TFA schreibt nicht jedes Jahr schwarze Zahlen. Der Erfolg der Veranstaltung hängt stark von der Anzahl Teilnehmer ab. Auch die Zusammensetzung der Sponsoren variiert. Wenn es top läuft und es auch keine Terminkollisionen gibt, dann rentiert es. Letztendlich liegt das volle unternehmerische Risiko bei Grischconsulta.

Carmen Heinrich: Unser gesamtes Team engagiert sich personell sehr stark. Wir organisieren fast alles selbst und geben kaum etwas an Dritte hinaus. Das kommt der Qualität zugute, spart aber auch Kosten.

Das bevorstehende TFA in Andermatt steht unter dem Motto «Metamorphose». Das Programmheft eröffnet mit einem Zitat von Heraklit: «Nichts ist so beständig wie der Wandel». Wie philosophisch wird das TFA 2020?

Carmen Heinrich: Philosophie hinterfragt, definiert, entwickelt weiter. Genau das tun wir auch. Wir verstehen uns als Thinktank, bei dem auch kontroverse Meinungen diskutiert werden. Der Begriff Metamorphose passt ausserdem perfekt zur Destination: Andermatt, ein kleines, beschauliches Bergdorf, welches durch eine Milliardeninvestition aufblüht. Das ist auch für andere Destinationen interessant, die vielleicht an einem ähnlichen Scheidepunkt ihrer Entwicklung stehen und womöglich ebenfalls auf der Suche nach Grossinvestoren sind. Da wollen wir genau hinschauen. Der Tourismus befindet sich stark im Wandel.

Trotzdem haben sich in den vergangenen 30 Jahren bestimmte Themen immer wieder wiederholt.

Roland Zegg: Das ist tatsächlich so. Gewisse Themen wiederholen sich alle sieben bis acht Jahre.

Krisenbedingt?

Roland Zegg: Nicht unbedingt. Es gibt Zeiten, da geht es vor allem um Marketing und Vertrieb. Irgendwann werden dann die Themen Mitarbeiterführung, Unternehmenskultur und Fachkräftemangel aktuell. Dann taucht unweigerlich die Thematik der Finanzierung, Restrukturierung und Sanierung auf. Ist auch diese Welle wieder abgeebbt, geht es plötzlich um Kooperieren und Fusionieren. Change Management war vor 20 Jahren schon Thema. Es sind Themenzyklen, die sich nach sieben bis acht Jahren unter anderen Vorzeichen wiederholen. [IMG 3]

Roland Zegg studierte an der ETH Zürich Maschinenbau und technische Betriebswissenschaften und doktorierte anschliessend mit einer Forschungsarbeit über die schweizerische Hotellerie. 1987 gründete er das Tourismusberatungsunternehmen Grischconsulta, zwei Jahre später rief er das TFA Tourismusforum Alpenregionen ins Leben. Der Samnauner ist ehemaliger Skirennfahrer und Skischulleiter, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Aktuelles Thema Nummer 1 dürfte der Klimawandel sein. Ein Novum am TFA?

Carmen Heinrich: Bereits 1990 war das Forumsthema «Ökologie im Tourismus». Damals ging es jedoch noch nicht um Klimawandel. Dieser hat dank Greta in jüngster Vergangenheit massiv an Bedeutung gewonnen. Deshalb werden wir dem Thema dieses Jahr Platz einräumen, unter anderem im Rahmen einer grossen Podiums-diskussion. Wir wollen allerdings nicht wie die Fridays-for-Future-Päpste auftreten, sondern das Thema in praxistaugliche Massnahmen übersetzen.

Ein weiteres Thema am diesjährigen TFA ist Strahlung und Elektrosmog in den alpinen Destinationen. Ebenfalls ein nicht unumstrittenes Thema.

Roland Zegg: Ich war kürzlich sogar selbst an einer Anti-5G-Demo. Es war meine erste Demo, mit bald 64 Jahren!

Sie sind 5G gegenüber kritisch eingestellt?

Roland Zegg: Ja. Ich persönlich betrachte die Technologie als schädlich für die Menschen. Der Tourismus befindet sich momentan in einem Digitalisierungsrausch. Bis jetzt fragt keiner danach, was das für den Menschen bedeutet. In den Ferienhotels können immer mehr Gäste nicht mehr richtig schlafen. Das hat mit Elektrosmog zu tun, weil Feriendörfer von Antennen mit hochfrequenter Strahlung überdeckt und Hotels vom Erdgeschoss bis unters Dach mit strahlungsstarken Routern für WLAN bestückt werden. Wir werden Hoteliers am Forum konkrete Anleitungen geben, wie man auf die zunehmende Funk- und Handystrahlung reagieren kann. Für ihre Mitarbeiter und Gäste, damit diese die Vorzüge des Handyempfangs zwar haben, aber nicht unnötig unter den gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden müssen. Wir haben lange überlegt, ob wir dieses Thema ans TFA bringen sollen. Meines Erachtens ist nun der Zeitpunkt gekommen, um die Touristiker, Hoteliers und Leistungsträger zu informieren und zu sensibilisieren.

Der Fokus auf den Menschen und das menschliche Befinden ist eine Konstante beim TFA. Querdenker, nicht nur aus der Branche, haben ihren festen Platz im Programm.

Roland Zegg: Neben der fachlichen Vermittlung, die für den Teilnehmer in seiner Funktion als Manager gedacht ist, muss es immer auch einen Teil geben, der ihn als Menschen anspricht. Etwas für die Seele, das über das alltägliche Managementleben hinausgeht. Auch dieses Jahr treten drei Persönlichkeiten auf, die bewusst nichts mit Tourismus zu tun haben und «den Menschen im Menschen» ansprechen. Man kann ein Unternehmen nicht gut und gesund führen, wenn der Mensch dabei vor die Hunde geht.

Carmen Heinrich: Wir haben den Mut, auch kontroverse Themen anzusprechen. Das ist sicher etwas, was uns von anderen Veranstaltungen unterscheidet. Wir sind uns des Risikos bewusst.

Vor zwei Jahren etwa trat ein Österreicher mit umstrittenen Thesen zum Klimawandel auf. Wurden Sie für seinen Auftritt kritisiert?

Carmen Heinrich: Wir haben durchaus Feedback zu dem Referenten erhalten. Schon direkt nach seinem Auftritt wurde rege diskutiert. Das ist genau das, was wir wollen. Wir geben auch kontroversen Meinungen Platz und Raum. Jeder Teilnehmer hat seine eigene Meinung und kann sich überlegen, ob er dem Gesagten zustimmt oder nicht.

Sie vertrauen auf die Mündigkeit des Publikums?

Carmen Heinrich: Absolut.

Roland Zegg: Ganz genau. Wir glauben, dass zum Forum reife Menschen kommen, die fähig sind, sich eine Meinung zu bilden. Wir scheuen keine Kontroversen. Wir haben den Anspruch, Themen, die sich am Horizont abzeichnen, frühzeitig aufzugreifen und die Tourismusakteure zu sensibilisieren und sie somit zu Entscheidungen zu befähigen. Viele Teilnehmende suchen im Anschluss an die Auftritte den Kontakt zu den Rednern. So werden die Themen hinterher in die Verwaltungsräte hineingetragen und auch dort diskutiert.

Frau Heinrich, wann findet das TFA das erste Mal in Deutschland oder im Südtirol statt?

Carmen Heinrich: Lieber schon heute als morgen. (lacht) Wir haben unsere Fühler bereits ausgestreckt.

30. TFA Tourismusforum Alpen­regionen in Andermatt
Die 30. Ausgabe des TFA Tourismusforums Alpenregionen findet vom 30. März bis 1. April 2020 in Andermatt statt. Unter dem Motto «Metamorphose» erwarten die Teilnehmenden drei grosse Themenblöcke: «Inside Bergbahnen – Balance zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit», «Quo vadis Bergdorf – alpine Destinationen in der Transformation» und «Mens sana in corpore sano – was der Destination und ihren Menschen guttut». Den Schlusspunkt setzt wie gewohnt eine von drei wählbaren Forumstouren.
tourismusforum.ch

patrick timmann