Die rasante Ausbreitung des Coronavirus ist das alles beherrschende Thema. Am Tag unseres Gesprächs hat der Bundesrat Veranstaltungen mit über 1000 Personen untersagt. Wie erleben Sie die Krise?

Grundsätzlich habe ich Verständnis für einen solchen Entscheid. Vorsichtsmassnahmen müssen getroffen werden. Andererseits bin ich bei solchen Themen sehr geerdet, wasche meine Hände ob mit oder ohne Corona regelmässig und lasse mich durch Hysterien nicht einschränken. Was mir allerdings Sorgen macht, ist die wirtschaftliche Entwicklung.

Soeben konnte unsere Branche für das vergangene Jahr gute Zahlen vermelden. Auch der Januar verlief aus touristischer Sicht gut – und nun droht ein dramatischer Einbruch.

Das wird auf die gesamte Wirtschaft Einfluss haben, aber unseren Tourismus trifft es besonders hart. Obwohl nach der Währungskrise endlich wieder eine positive Stimmung herrschte, können es sich viele Anbieter noch nicht leisten, ganze Monate abzuschreiben.

Fredi Gmür, 61, wuchs in Amden auf und absolvierte eine kaufmännische Ausbildung in Betriebswirtschaft, Marketing und Tourismus. Danach wirkte er je sieben Jahre als Tourismusdirektor von Amden und Savognin. Von 1996 bis 2018 war er CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schweizer Jugendherbergen und schaffte es in dieser Zeit, mit innovativen Ideen und konsequenter Umsetzung nachhaltiger Werte die Jugendherbergen von ihrem verstaubten Image zu befreien. Zweimal mit dem Schweizer Tourismuspreis Milestone ausgezeichnet, setzte sich Fredi Gmür in diversen Gremien für die Interessen der gesamten Branche ein und ist auch weiterhin Mitglied der Begleitgruppe Tourismusstrategie des Bundes.

Was raten Sie den Hoteliers in der heutigen Situation?

Ich denke, ganz wichtig ist es, auch in dieser Situation einen kühlen Kopf zu bewahren. Natürlich muss man sich überlegen, wie man die Kostenausfälle wettmachen kann, aber man sollte gegenüber einem Gast, der nun nicht anreisen kann oder will, Goodwill zeigen. So setzen wir positive Zeichen, an die sich Kunden erinnern, eventuell später wiederkommen und bestimmt zu einem Botschafter für das Haus oder die Destination werden.

Sie selbst sind ja nach einer sehr erfolgreichen Zeit als CEO der Schweizer Jugendherbergen und einem anschliessenden Time-out als Berater zurück in unserer Branche.

An und für sich höre ich das Wort Berater nicht gerne, habe aber die zutreffende Bezeichnung noch nicht gefunden.

Worin unterstützen Sie Ihre Kunden?

Meine Tätigkeiten basieren natürlich stark auf meiner Vergangenheit. Ich war während vierzig Jahren im Tourismus in leitenden Positionen tätig, von den Bergbahnen über die Destination bis zur Beherbergung, und hatte Einsitz in diversen kantonalen wie nationalen strategischen Gremien. Damit verfüge ich über einen reichen Fundus an Erfahrungen und Wissen. Ich bin kein Berater, der Nullachtfünfzehn-Aufträge annimmt. Mein Interesse gilt speziellen, scheinbar unlösbaren Herausforderungen.

Je komplizierter, desto besser?

So ist es. Ich leiste mir heute den Luxus, mit spannenden Leuten spannende Projekte anzupacken und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen.

Nennen Sie uns Beispiele?

Da gibt es eine in der Grundbildung tätige Sonderschule, die ein Hotel in ihrer Umgebung gekauft hat mit der Idee, ihren Schülern im Anschluss Lehrstellen anbieten zu können. Oder eine Trotte aus dem 16. Jahrhundert, die betrieblich neu ausgerichtet werden soll. Und schliesslich drei Hotelbetriebe, die ich entwickeln helfe. Ganz wichtig ist mir – und das hat viel mit meinem Werteverständnis von Nachhaltigkeit zu tun –, dass man nicht immer nur Neues baut, sondern versucht, ältere und scheinbar zum Untergang verurteilte Betriebe erfolgreich zu reaktivieren und neu zu positionieren.

Der von den internationalen Ketten getriebene Hotelboom ist Ihnen suspekt?

Es ist gut, dass wir die Ketten bei uns haben. Aber diese investieren nur an Toplagen und in den Städten, nicht in den Orten und Talschaften im Berggebiet, wo Tourismus mit seiner 150-jährigen Tradition von existenzieller Bedeutung ist. Dort ist es aus vielerlei Gründen nicht möglich und auch nicht sinnvoll, immer noch mehr Neubauten zu errichten. Viel wichtiger und nachhaltiger ist es, aus dem Bestehenden Neues zu erfinden und so den heutigen Bedürfnissen anzupassen.

Ihr Interesse gilt hybriden Lösungen?

Ja. Die Herausforderung besteht darin, ein Standardprodukt so zu entwickeln, dass es eine hybride Nutzungsform annimmt mit verschiedenen Möglichkeiten und Ebenen. So ist es als Ganzes frei von absoluten Abhängigkeiten und weist einen touristischen wie gesellschaftlichen Gesamtnutzen auf.

Sie sprechen Public-Private-Partnerships an. Mit solchen Projekten waren Sie schon zu Ihren Jugendherberge-Zeiten erfolgreich.

Und darum geht es auch jetzt bei den erwähnten Hotelprojekten. Es gibt in vielen Bergdörfern wunderschöne Gasthäuser, die zu verrotten drohen. Mit durchdachten und von allen Parteien mitgetragenen PPP-Projekten können ganze Dorfkerne wiederbelebt werden – und zwar langfristig. Am besten gelingt das mit der Gründung einer Stiftung mit einem Stiftungszweck, um das Objekt der Spekulation zu entziehen.

Kann man grundsätzlich aus jedem aufgegebenen Betrieb im Berggebiet etwas nachhaltig erfolgreiches Neues schaffen?

In der Praxis wohl nicht. Die Konstellation muss stimmen. Dazu gehören die teils komplexen rechtlichen Voraussetzungen und natürlich die finanzielle Situation. Nicht überall ist das öffentliche Interesse und damit die Bereitschaft zur Mitfinanzierung vorhanden.

Sie waren in früheren Jahren auch Tourismusdirektor in Amden und Savognin. Die Zeiten haben sich gewandelt, oder nicht?

Doch. Heute stellt der Beruf eines Tourismusdirektors ganz andere Anforderungen. Zu meinen Vorbildern gehörten damals Schwergewichte wie Hanspeter Danuser in St. Moritz oder Kurt H. Illi in Luzern, die nebst vielem anderen auch die Selbstinszenierung beherrschten. Heute sind Manager gefragt, die nebst Kompetenzen in der modernen Vermarktung die Fähigkeit besitzen, die Leistungsträger vor Ort zusammenzubringen.

Wer macht es in Ihren Augen heute gut?

In sehr vielen Destinationen wird heute besser gearbeitet als früher. Einen sehr guten Job macht meines Erachtens Pascal Jenny in Arosa. Und auch wenn in jüngster Zeit anderes zu lesen war, möchte ich als positives Beispiel das Oberengadin nennen. Dort ist es nämlich gelungen, dass alle elf Gemeinden zusammenarbeiten. Das allein ist eine Riesenleistung.

Damit ist es noch nicht getan.

Natürlich nicht. Wie überall muss sich auch die Destination Oberengadin zu einer absoluten Netzwerkorganisation weiterentwickeln. Eine Destination ist im Grunde ja nichts anderes als eine Unternehmung mit verschiedenen Abteilungen. Was passiert dort, wenn die einzelnen Bereiche nicht zusammenarbeiten? Ein solches Unternehmen beschäftigt sich vorwiegend mit sich selbst und macht nie Gewinn.

Die Öffentlichkeit steht dem Tourismus oft ambivalent gegenüber. Wieso schafft es unsere Branche nicht, ein nachhaltig besseres Image zu kreieren?

Ein Grund ist sicher, dass Leaderfiguren sehr selten sind. Unsere Branche ist eine Einstiegs- oder dann Zwischenbranche, und irgendwann wandern die profilierten Köpfe wieder ab. Das hat natürlich mit den Strukturen und dem Lohngefüge zu tun. Es muss einer schon sehr viel Herzblut haben, um jahrzehntelang im Tourismus zu wirken. Kommt dazu, dass jeder, der einmal Gast war, meint, er sei nun Spezialist, und gegenüber Dienstleistungserbringern oft ein grenzwertiges Verhalten an den Tag legt. Nicht alle können damit langfristig umgehen.

Der Druck hat mit den Bewertungsplattformen noch zugenommen.

Ich sagte meinen Mitarbeitenden immer wieder: Es gibt nichts Schöneres als Dienen. Wir dürfen die Menschen verwöhnen, die uns das Vertrauen schenken, dass wir ihre schönsten Tage im Jahr gestalten. Aber Dienen muss man wollen, und die meisten Schweizer sind dazu nicht mehr bereit. Für sie ist dieser Begriff negativ besetzt. Darum ist es eine der wichtigsten Aufgaben von Patrons, Unternehmern, Branchenverbänden und Tourismusorganisationen, junge Menschen zu motivieren, in dieser Branche zu arbeiten und ihr treu zu bleiben.

Hegten Sie je selbst den Gedanken, die Branche zu verlassen?

Nein, nie. Der Tourismus war, ist und bleibt meine Branche.

Gery Nievergelt