Im europäischen Ausland begann man bereits in den 1830er-Jahren mit dem Aufbau eines Eisenbahnnetzes – und legten damit den Grundstein für eine touristische Revolution. Auf einmal waren längere Reisen möglich, weil man schneller, nicht mehr so beschwerlich und günstiger reiste. Obwohl auf Schweizer Boden erstmals 1844 ein Zug verkehrte (auf der Linie Basel-Strassburg) und die erste reine Schweizer Zugverbindung erst 1847 in Betrieb genommen wurde (mehr dazu später), profitierte auch der Tourismus in der Schweiz von dieser Entwicklung. Die Gäste reisten einfach ab der Grenze im Schiff oder der Kutsche weiter.

Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann auch in der Schweiz ein Schienennetz gebaut wurde, waren dafür vor allem Unternehmer wie Johann Jakob Speiser, Karl Geigy und Alfred Escher verantwortlich. Der Staat hielt sich vornehm zurück und überliess es privatem Kapital, die Eisenbahn voranzutreiben. Dieses Vorgehen sorgte dafür, dass mal hier und mal da eine Strecke gebaut wurde. Eine Verbindung der Strecken in der West- mit jenen in der Deutschschweiz entstand beispielsweise erst in den 1860er-Jahren.

1872 wurde die Kontrolle von Bau und Betrieb des Netzes Aufgabe des Bundes. Er erhielt zudem das Recht, Konzessionen zu erteilen. Trotzdem kam es in den 1870er-Jahren zur Krise im Schweizer Eisenbahnwesen. Viele Bahnunternehmen gingen in Konkurs, und die Idee einer Verstaatlichung der Eisenbahnen wurde immer populärer. Anfang des 20. Jahrhunderts war es sowie: Der Staat kaufte verschiedene Privatbahnen auf und schloss sie zu den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) zusammen.

Das Vorpreschen nach dem verschlafenen Start

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Obwohl der Start der Schweizer Eisenbahngeschichte ziemlich träge verlaufen war, war die Schweiz in Sachen Elektrifizierung, die 1888 eingesetzt hatte, eine Pionierin. Ausdruck davon war etwa die Strecke Bern-Lötschberg-Simplon, die bereits bei ihrer Eröffnung im Jahr 1913 elektrifiziert war. Im Historischen Lexikon der Schweiz steht dazu: «Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs waren 77 Prozent des schweizerischen Schienennetzes elektrifiziert, während der entsprechende Anteil bei den übrigen europäischen Bahnen durchschnittlich 5 Prozent betrug.»

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Eine Pionierleistung war auch das Tram vom Genfersee: Nur sieben Jahre nach der Probefahrt der ersten elektrischen Strassenbahn von Siemens in Berlin eröffnete 1888 eine «Tramway» am Genfersee vom Grand Hôtel in Vevey über Clarens und Montreux bis zum Schloss Chillon. Sie verband dadurch alle bedeutenden Hotels am Seeufer und war eine beliebte Aussichtsbahn für die Hotelgäste. 1903 wurde sie verlängert nach Villeneuve, womit sie auch das ehemals abgelegene Hôtel Byron erschloss. Sie war die erste elektrische Bahn der Schweiz überhaupt. In den vornehmen Wagen konnten die Hotelgäste wahlweise im geschlossenen Coupé unten oder auf dem offenen Aussichtsdeck Platz nehmen. Diese Reise erfreute sich bei den Touristen bald einer so grossen Beliebtheit, dass zahlreiche neue Wagen angeschafft werden mussten und die Bahn seit 1903 in einem durchgehenden Zehn-Minuten-Betrieb fuhr.

Die einspurige Strecke verlief vollständig auf der Hauptstrasse. Der Anfangspunkt war westlich von Vevey, in der Nähe des heutigen Sitzes von Nestlé, Endpunkt der südliche Teil von Villeneuve. In Clarens bestand eine Gleisverbindung mit einer Strassenbahn nach Blonay. In Territet führte bis zum Bau der Unterführung 1952 eine technisch einmalige Kreuzung niveaugleich über die SBB Strecke mit einer seltenen Fahrleitungskreuzung für die unterschiedlichen Spannungen.

Nach erfolgreichen Jahren kamen für die Bahn mit dem zunehmenden Autoverkehr schwierige Zeiten. Als es dann darum ging, das zweiachsige Rollmaterial von 1913 zu ersetzen, entschloss sich das Unternehmen, auf Trolleybusse umzustellen, was etappenweise zwischen 1952 und 1958 geschah.

Repräsentative statt nur nützliche Bahnhöfe

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Zentral für die touristische Nutzung der Bahn waren schon damals die Bahnhöfe. Während heute vor allem der praktische Nutzen dieser Gebäude im Zentrum steht, ging es um die Jahrhundertwende gleichermassen um Nützliches wie Wartsäle, Toiletten und Witterungsschutz und um einen feierlichen Empfang und den Komfort der Gäste. Entsprechend grosszügigen waren die Schalterhallen, die Wartsäle und Bahnhofrestaurants. Oft waren die Räume mit Bildern lokaler touristischer Sehenswürdigkeiten geschmückt. Bekanntestes Beispiel dafür ist vermutlich der 1907 erbaute Bahnhof Basel SBB, wo heute noch Wandgemälde aus den 20er-Jahren für Matterhorn, Engadin, Berner Oberland und Vierwaldstättersee werben.

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Auch dem grössten Bahnhof des Landes, dem Zürich Hauptbahnhof, sieht man bis heute seine geschichtlichen Wurzeln an. Im Jahr 1847 war der Bahnhof Endpunkt der ersten Bahnstrecke der Schweiz, der sogenannten Spanisch-Brötli-Bahn, von Zürich nach Baden. Die heute noch erhaltene repräsentative Bahnhofshalle im Neorenaissance-Stil entstand 1871. Bis 1930 waren hier die Gleise anzutreffen. Obwohl Pläne für einen Durchgangsbahnhof in Zürich schon im 19. und im frühen 20. Jahrhundert diskutiert wurden, wurde der HB Zürich erst 1989 mit dem neu eröffneten Tiefbahnhof Museumstrasse teilweise zum Durchgangsbahnhof.

Nur wenige Bahnhofbuffets haben überlebt

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Der repräsentativen Funktion des Bahnhofs entsprechend waren um die Jahrhundertwende oft auch die Bahnhofbuffets reich verzierte, eindrückliche Lokale. Häufig gab es an einem Bahnhof sogar mehrere Restaurants, eines für Reisende erster Klasse und zweiter, eines für Reisende der dritten Klasse (erst seit den 1950er-Jahren gibt es in Schweizer Zügen nur noch zwei Klassen). Viele dieser Restaurants sind im Laufe der Jahre verschwunden. Eines der bekanntesten war das alte Bahnhofbuffet von Olten. Das 1856 eröffnete Restaurant galt wegen seiner zentralen Lage im Schweizer Eisenbahnnetz lange als das Bahnhofbuffet der Schweiz. Hier wurde über die Jahre hinweg so mancher wichtige Verein gegründet, etwa der Schweizer Alpen-Club (1863), der Schweizerische Gewerkschaftsbund (1880), die Freisinnig-Demokratische Partei (1894) und der Schweizerische Fussballverband (1895). Nach einer für die historische Substanz zerstörerischen Erneuerung im 20. Jahrhundert besann man sich 2017 auf die Bedeutung der Geschichte, die im aktuellen Interieur inszeniert wird.

Einige Beispiele haben aber auch überlebt, etwa die Restaurants im Bahnhof Lausanne und Basel Badischer Bahnhof. In den historischen Räumlichkeiten von Lausanne ist heute das Tibits beheimatet. In Basel wurden die Lokale umgenutzt und dienen heute der Kultur.

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Eine besondere Geschichte zu Gastronomie und Eisenbahn schrieb das Grand Hotel von Gletsch: Nach dem Bau der Furkastrasse als erste (und bis heute einzige) Ost-West-Verbindung durch die Schweizer Alpen entstand im Obergoms in den 1860er-Jahren das Grand Hotel Glacier du Rhône, erbaut durch die berühmte Hoteilierfamilie Seiler aus Zermatt. Mit dem Bau der Strasse über den Grimselpass in den späten 1890er-Jahren wurde der Ort zuhinterst im Rhonetal zu einem bedeutenden touristischen Standort. Im Juli 1926 nahm die neue Furka-Oberalp-Bahn ihren Betrieb auf der ganzen Länge zwischen Brig und Disentis auf. Nach dem Bau der Verbindungslinie zwischen Brig und Visp begann im Sommer 1930 die Geschichte des Glacier-Express mit direkten Wagen zwischen Zermatt und St. Moritz. Dieser Zug hielt auf Initiative Seilers in der Sommersaison täglich in Gletsch zum Mittagshalt an, wo die Passagiere im Grand Hotel ihr Essen einnehmen konnten. Mit dieser grossartigen Idee verlieh der initiative Hotelier dieser alpinen Einsamkeit während einigen Sommerwochen den Glanz eines vorzüglich erschlossenen Hotelstandorts im Hochgebirge.

Die Belle Epoque prägt Luxuszüge bis heute

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Ähnlich luxuriös wie die Grand Hotels, die Bahnhöfe und die Bahnhofbuffets dieser Epoche waren auch viele Züge. Das vermutlich bekannteste Beispiel dieser Zeit ist der Orientexpress. Der König der Züge oder Zug der Könige verkehrte erstmals am 5. Juni 1883 von Paris in Richtung Konstantinopel.

Die Kompositionen der Reisezüge der Belle Epoque konnten Schlaf-, Speise-, und Salonwagen umfassen. Das Reisegepäck landete in separaten Gepäckwagen. Grosszügige Abteile, Teakholz, Samtvorhänge prägten das Interieur. «Wer hier mitfuhr, hatte ein dickes Scheckbuch», heisst es im Bildarchiv der ETH-Bibliothek zu einem Bild eines luxuriösen Speisewagens aus der Belle Epoque ums Jahr 1880.

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Interessanterweise war das Innendesign dieser Luxusbahnwagen derart prägend, dass auch moderne Züge wie der Pride of Africa und der Royal Scotsman diesen Stil imitieren.  Und die Montreux Berner Oberland Bahn (MOB) setzt unter dem Namen «Goldenpass Belle Epoque» auf der Strecke zwischen Montreux und Zweisimmen historische Wagen ein und verspricht «romantische Atmosphäre mit unvergleichlichem Komfort und Charme».

Wenn nicht das Auto, muss halt die Bahn hinfahren

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Weil um die Jahrhundertwende noch kaum Autos auf Schweizer Strassen verkehrten, wurden viele touristische Orte wie Hotels, Kurbäder und Sehenswürdigkeiten per Bahn erschlossen. Die Tramstrecke zum Grand Hôtel in Aigle etwa war ein reiner Hotelzubringer. Zuerst hoffte der Hotelbesitzer die projektierte Bahn nach Les Diablerets werde beim Hotel eine Haltestelle errichten. Als dann aber eine andere Linienführung Ausführung fand erstellte man 1900 die Stichbahn zum 1872 gebauten Hotel.

Nebst den lokalen Tramkursen mussten die zierlichen Trams auch die Personenwagen der Zahnradbahn nach Leysin zwischen Aigle SBB und Aigle Depot AL befördern, da nur ein einziges Zahnradtriebfahrzeug einen zusätzlichen Adhäsionsantrieb besass und die Zahnradstrecke erst beim Depot begann. Während der Krisenjahre hatte das Hotel grosse Probleme und musste 1934 die Türen für immer schliessen. Die Trambahn hatte den Betrieb bereits 1932 eingestellt.

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Im Sommer 1875 kam das neue Hotel Rigi-First des Luzerner Architekten Paul Segesser in Betrieb. Der Prachtsbau in schönster Aussichtslage unterschied sich als fünfteilige Anlage in neobarocken Formen von allen anderen Hotelbauten an der Rigi deutlich. Um die Hotels in Rigi-First und Rigi-Scheidegg zu erschliessen, entstand im gleichen Jahr eine Zubringerbahn von Rigi-Kaltbad über Rigi-First nach Rigi-Scheidegg, die höchstgelegene Adhäsionsbahn Europas. Ein Jahr später wurde zudem beim heute noch bestehenden und fachgerecht restaurierten Viadukt die Hotel-Pension Rigi-Unterstetten eröffnet. 1931 stellte die Bahn ihren Betrieb ein.

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Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden im Oberengadin nicht nur Hotelbauten, sondern auch zahlreiche weitere Infrastrukturen im Dienst des Tourismus. So pendelte ab 1896 in den Sommermonaten auch eine elektrische Strassenbahn zwischen dem Bad und dem Dorf, einige Jahre bevor die ersten Dampfzüge 1903/1904 das Engadin erreichten. Die Trambahn hatte ihren Ausgangspunkt in St. Moritz Bad bei der Heilquelle. Von dort fuhr die Strassenbahn dem Hotel Du Lac entlang und erreichte die Innbrücke. Dann begann die Steigung nach St. Moritz Dorf, wo die Bahn am Postplatz vor dem Hotel Schweizerhof endete.

In den 1930er-Jahren sollte der Trambetrieb dringend saniert werden. Doch es fehlte das Geld, weshalb der Betrieb im Herbst 1932 eingestellt und durch eine Autobuslinie ersetzt wurde. Die Gleisanlagen wurden 1940 abgebrochen.

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Am 24. August 1912 nahm eine schmalspurige Trambahn vom Bahnhof Meiringen über Reichenbach (Station der Drahtseilbahn zum Reichenbachfall) zum Eingang der Aareschlucht den Betrieb auf. Als grosse Neuheit besass die Bahn Endschleifen. Den Ersten Weltkrieg überstand sie nur mit grossen Schwierigkeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg als das Auto sprunghaft an Popularität gewann, wurde das Tram in den Strassen von Meiringen plötzlich zum Störfaktor. Nun rächte sich die erzwungene Linienführung über die Hauptstrasse; ein Neuinvestition wäre notwendig geworden. Am 16. September 1956 stellte die rund 3 km lange Bahn den Betrieb endgültig ein.

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