Nicolai Squarra, Ende Juli beschrieben Sie in einem pointierten Beitrag, wie die Veranstaltungsbranche mit dem Rücken zur Wand steht. Das war vor drei Monaten. Wie ist die Lage heute?

Die Situation hat sich leider sogar verschlimmert. Seit Anfang März wurde unsere Branche infolge der vom Bundesrat und den Kantonen beschlossenen Massnahmen mit einem Berufsverbot belegt. Wir haben seither keine Planungssicherheit. Mit den Lockerungen Anfang Sommer schöpften wir für kurze Zeit Hoffnung, doch diese wurde durch die zweite Welle zerschlagen. Ich rechne damit, dass die daraus resultierenden Massnahmen und somit unser Berufsverbot noch bis April nächsten Jahres anhalten werden. Mindestens.

Nicolai Squarra ist seit Oktober 2020 selbstständiger Unternehmer und betreibt ab November die Event- und Gastronomieflächen auf dem JED-Areal in Schlieren. Zuvor war er zehn Jahre Geschäftsführer des Eventcatering-Unternehmens Dine & Shine und führte
für den Mutterkonzern SV Schweiz das Geschäftsfeld Event, zu dem u. a. die Messe Zürich, das Zunfthaus zur Schmiden sowie das Kultur- und Kongresshaus Thun gehören. Der 37-jährige Vater dreier Kinder und gelernte Veranstaltungskaufmann absolvierte im Jahr 2012 den Master in Business Administration an der ZHAW Winterthur.
jed-events.ch

Berufsverbot klingt irgendwie gemein. Böser Wille war seitens der Politik sicherlich nicht im Spiel. Sind Grossveranstaltungen in der aktuellen Situation in Ihren Augen angebracht?

Ich war bis vor kurzem noch Vorstandsmitglied beim Branchenverband Expo Event und in dieser Zeit selbst an der Ausarbeitung der Branchen-Schutzkonzepte beteiligt. Ich weiss daher aus erster Hand, dass unsere Branchenmitglieder alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um unter teils enormem Kapitaleinsatz wirksame Konzepte zu erarbeiten und umzusetzen. Aber zu Ihrer Frage: Der Besuch von Veranstaltungen mit einem wasserdichten Sicherheitskonzept ist wahrscheinlich sicherer als der allabendliche Gang ins Einkaufszentrum.

Veranstaltung ist jedoch nicht gleich Veranstaltung.

Richtig, das ist das grosse Problem. Der Begriff Veranstaltung wird zu generisch verwendet. Clubs und Konzerte bilden nur einen Teil unserer sehr diversen Branche ab. Denken Sie nur an die Tausenden Corporate Events, die jährlich in der Schweiz umgesetzt werden.

Müsste die Politik bei der Regulierung stärker zwischen einzelnen Veranstaltungstypen unterscheiden und diese nicht bloss anhand der Anzahl Teilnehmer erfassen?

Absolut. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Suisse Caravan Salon in Bern, der während seiner Durchführung kurzerhand abgesagt wurde. In der Presse war zu lesen, dass an dieser «Veranstaltung» täglich 7000 Besucher ein und aus gehen. Dabei wäre der Salon gemäss Bundesrat gar nicht als solche zu klassifizieren gewesen, da er unter die Klassifizierung von Einkaufszentren fällt. Ich kenne das Bernexpo-Gelände gut. 7000 Personen an einem Tag sind auf einem Messeplatz dieser Grösse absolut unproblematisch.

Sportveranstaltungen gelten auch als Grossveranstaltungen. Man hört immer wieder, dass die Situation im Stadion selbst völlig unbedenklich ist. Problematisch sei vielmehr, was vor und nach der Veranstaltung ausserhalb der Stadien passiere. Muss man nicht auch dort die Veranstalter in die Pflicht nehmen können?

Selbstverständlich, und das wurden sie. Die Veranstalter haben auch für den Ein- und Auslass Schutzkonzepte erarbeitet. Sie können aber unmöglich darauf Einfluss nehmen, was auf dem Weg von zu Hause zum Stadion passiert.

Aber wenn sich zu viele Menschen im Umfeld von Veranstaltungen nicht ausreichend an die Regeln halten, dann bleibt der Politik doch nichts anderes übrig, als Events zu untersagen?

Wenn Sie es mit Tausenden von Menschen zu tun haben, gibt es immer den einen oder anderen Ausreisser, der sich nicht an die Regeln hält. Sie können keine Situation bis ins letzte Detail regeln. Aber mit einer vernünftigen Planung und ausreichendem Sicherheitsdispositiv kann man viel bewirken. Die Situation ist in unserem Alltag nicht anders: Wenn ich einkaufen gehe, gibt es hier und da auch einen, der sich nicht an die Maskenpflicht hält, die Maske unterhalb der Nase trägt oder die Mindestabstände nicht einhält. Das ist unvermeidbar.

Und wie sollte die Politik Ihrer Meinung nach reagieren?

Was fehlt, ist eine transparente und zielführende Strategie. Weitere Lockdowns können wir uns auf die Dauer auch als Schweiz nicht leisten. Das ist also nicht die Lösung für die Pandemie. Es braucht Transparenz und einen zielführenden Umgang mit ihr. Nur so erhalten wir letztlich die Planungssicherheit, die wir schon lange fordern.

Sie fordern also einen vorhersagbaren Automatismus, eine Art Ampelsystem, das an klar definierte Ereignisse gekoppelt ist?

Ja, denn nur so können wir Unternehmer abwägen, auf welche wirtschaftlichen Risiken wir uns einlassen. Das ist bis anhin unmöglich. Ich komme noch einmal auf den Suisse Caravan Salon zurück: Er war bewilligt und hatte ein absolut wasserdichtes Schutzkonzept – und wurde dennoch mittendrin abgebrochen. Das ist ein Desaster für unsere Branche und unsere Kunden. Wir haben momentan kaum noch nennenswerte Einkünfte, und mit den wenigen Events, die noch stattfinden, riskieren wir so, weitere Verluste einzufahren.

Aber steht die Forderung nach klaren Regeln nicht im Widerspruch zu angemessenen Regeln auf lokaler Ebene? Ein Flickenteppich ist zwar unübersichtlich, aber er bildet die Lage vor Ort viel genauer ab...

Es gibt da auf den ersten Blick tatsächlich einen gewissen Widerspruch. Aber verschiedene klar definierte Szenarien könnten auch auf die kantonalen Ebenen heruntergebrochen werden. Hier müsste es eine engere Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und Kantonen geben. Deutschland ist dafür zumindest in der Herangehensweise ein gutes Beispiel. Das Überschreiten gewisser Fallzahlen hat dort automatisch konkrete Massnahmen in den betroffenen Regionen zur Folge. Diese Planbarkeit liesse sich meiner Meinung nach auch in der Schweiz und auf kantonaler Ebene umsetzen.

Immerhin lässt die Politik die Branche nicht tatenlos hängen. Stichwort Härtefallregelung.

Die Härtefallregelung ist ein positives Signal aus Bern, in das die Branche viel Hoffnung steckt. Die in Aussicht gestellten Zahlungen erfolgen allerdings frühestens im Februar/März. Das ist zu spät. Viele meiner Kollegen erwirtschaften dieses Jahr keine 10 Prozent ihres üblichen Jahresumsatzes. Die gesprochenen Covid-Kredite wurden bei vielen durch die laufenden Fixkosten aufgebraucht. Ohne Einkünfte werden sie diese Zeit kaum überbrücken können.

Aus wirtschaftlicher Sicht machen Überbrückungshilfen nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass nach der Krise wieder alles so wird wie vor der Krise. Glauben Sie daran?

Selbstverständlich. Die zwischenmenschliche Zusammenkunft ist Teil unserer DNA. Dieses Bedürfnis lässt sich nicht langfristig ausblenden, auch wenn es gewisse Veränderungen in Richtung Digitalisierung geben wird. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass die LiveCom-Branche aus der Krise sogar noch gestärkt hervorgehen wird, da es bei den Menschen einen erheblichen Nachholbedarf gibt.

Am 1. November lancieren Sie Ihr eigenes Start-up JED Events. Mutig.

Man könnte auch sagen verrückt. (lacht) Den Entschluss hatte ich bereits im August letzten Jahres gefasst, also weit vor der Krise. Aber ich würde den Entscheid auch heute genauso treffen.

Worauf beruht Ihr Optimismus?

Unsere Location befindet sich auf dem ehemaligen Druck-Areal der NZZ in Schlieren. Hier entstehen auf rund 2500 Quadratmetern unterschiedliche Veranstaltungsflächen für bis zu 840 Personen. Das Ganze funktioniert nach dem Plug & Play-System, d. h. sämtliche Veranstaltungsflächen sind voll möbliert und technisch voll ausgestattet. Wir haben eine hauseigene Eventgastronomie. Dies im Gegensatz zu dem in unserer Branche noch sehr verbreiteten Off-Location-Konzept, bei dem der Betreiber einfach eine leere Halle zur Verfügung stellt.

Eine Art One-Stop-Shop für Events?

Richtig. Mit dieser Grössenordnung liegen wir voraussichtlich nach der Krise genau am Puls der Zeit. Ich habe deshalb keine schlaflosen Nächte, obwohl wir als Start-up durch sämtliche Raster der Hilfsleistungen fallen. Weder Kurzarbeit noch die Härtefallregelung werden für uns greifen.

Bis vor kurzem waren Sie noch Geschäftsführer bei Dine & Shine. Viele Caterer setzen in der Krise auf Home-Delivery. Können Sie sich damit über Wasser halten?

Das Thema Home-Delivery ist vielleicht ein lukrativer Ansatz für die grossen Player im Bereich der Personalgastronomie. Eigentlich ist Home-Delivery eine ganz andere Disziplin, ein anderes Geschäftsmodell. Es erfordert aufwendige Logistikprozesse, um den Endabnehmer zu erreichen. Zudem verspricht es deutlich tiefere Margen. In die Gewinnzone kommen Sie dort nur durch Skaleneffekte, also wenn Sie mehrere 1000 Abnehmer pro Tag bedienen. Für kleine KMU in der Eventgastronomie mit 20 Festangestellten ist das kaum die Lösung.

Was halten Sie von innovativen Konzepten wie dezentralen Messen und Ausstellungen in Hotels?

Grundsätzlich sehe ich solche Ideen positiv und befürworte den Unternehmergeist, der dahintersteckt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Wirtschaftlichkeit tatsächlich gegeben ist oder ob es nur der kurzfristigen Grundauslastung dient. Solche Modelle helfen primär, die Fixkosten zu decken, aber durch die Krise helfen werden sie voraussichtlich nicht. Zudem warne ich vor der Gefahr, dass bei Aussenstehenden der Eindruck erweckt werden könnte, dass es der Veranstaltungsbranche und der Stadthotellerie ja doch nicht so schlecht geht. Wenn die Politik dadurch den Eindruck erhält, dass die Branche so in Eigenregie die Krise überwinden kann, laufen wir Gefahr, am Ende weniger Gehör zu erhalten und unsere Forderungen nicht durchzubringen.

patrick timmann