Marcin Majewski stammt aus Lublin, einer Kleinstadt im Südosten Polens. Er fährt seit sieben Jahren Reise­busse. Während der Saison chauffiert er zwei- bis dreimal pro Monat Reisegruppen durch Europa. Eines der Highlights auf der Reise: Luzern, die malerische Stadt mit See und Bergen. «In der Schweiz funktioniert es einfach», so Majewski.

Luzern mit Europas Metropolen unter Druck
Die im Jahr 2018 erschienene Studie zum Städtetourismus der Roland Berger GmbH und der Österreichischen Hoteliervereinigung befasste sich mit der Thematik «Protecting your city from overtourism». Sie hat Daten von 52 europäischen Städten erhoben und ausgewertet und hält fest: «Erfolgreicher Städtetourismus braucht ganzheitliche und nachhaltige Konzepte. Er muss klug gesteuert werden.»

Die Studie hat sich auch mit Luzern beschäftigt. So wurde die Leuchtenstadt zusammen mit Paris, Stockholm und Zürich unter der Kategorie «Peak Performance» aufgelistet. Das sind Städte, welche überdurchschnittlich viele Übernachtungen und gleichzeitig überdurchschnittliche Erträge erzielen.

Es ist nicht verwunderlich, dass das massvolle Miteinander und die kluge Steuerung auch in Luzern Thema sind. So wurde von 2019 bis 2021 in einem kollaborativen Prozess die «Vision Tourismus Luzern 2030» ausgearbeitet und Anfang 2022 seitens des Grossen Stadtrats grünes Licht zur Umsetzung gegeben. Parallel dazu erfolgt die Entwicklung der Reisebuslenkung, das «Carregime». Wo steht Luzern nach der ersten Sommersaison nach Covid?

Besucherfrequenzen erreichen wieder Vorkrisenniveau
Seit dem Frühjahr werden die Besucherfrequenzen an fünf Hotspots in der Altstadt per WLAN-Erkennung erhoben. Damit wird die Ausgangslage erfasst und kann die Wirksamkeit künftiger Massnahmen beurteilt werden. Erste Erkenntnisse sind Ende 2023 zu erwarten.

Die Tourismusakteure hingegen haben bereits heute eigene Kundendaten. Sie gehen aufgrund der steigenden Zahlen davon aus, dass bis 2025 das Vor-Pandemie-Niveau wieder erreicht ist. Und damit rückt die eingangs erwähnte Problematik der Besuchersteuerung erneut ins Zentrum des Interesses.

Kontroverses neues Carregime
Die meisten Reisebusse laden ihre Gruppen im Herzen der Altstadt, beim Schwanenplatz, aus. Nach der Wartezeit auf den stadtnahen Parkplätzen holen sie ihre Kunden beim nahe gelegenen Löwenplatz wieder ab. Die Chauffeure sind mit dem aktuellen Carregime in Luzern zufrieden. Pawel Wojtczak, ebenfalls Busfahrer aus Polen: «Bitte kopiert auf keinen Fall Salzburg. Dort ist alles viel komplizierter.» In der Schweiz hätten die Busse zudem ihre eigenen Parkplätze. Das sei sicherer.

Aufgrund des hohen Besucheraufkommens in der Altstadt und mit dem Ziel einer besseren zeitlichen Gruppenverteilung soll dieses aktuelle Carregime durch ein neues ersetzt werden. Dieses beinhaltet im Kern ein Reservationssystem, das Slot-Management: Buschauffeure oder Reiseunternehmen sollen bereits vor der Anreise ein Zeitfenster fürs Anhalten buchen.

Gemäss Schlussbericht «Strategieprozess Tourismus Stadt Luzern» könnte eine Einschränkung der Cars aber negative Ausweicheffekte wie zum Beispiel eine Verteilung der Grossgruppen auf Kleinbusse nach sich ziehen. Diese Verkehrsmittel sind noch schwieriger zu steuern und werden mittelfristig zu einem grösseren Verkehrsaufkommen führen.

Favorisierte Lösung «Stadtpassage» zu kostspielig
Das Slot-Management ist ein erster Ansatz zur Lenkung der Reisebusse. Der Verkehr im Zentrum Luzerns wird dadurch kaum beeinflusst. Ideen zur langfristigen Problemlösung gibt es viele. Im von der Stadt in Auftrag gegebenen Bericht hat die Gruner AG 59 Lösungsideen bewertet.

Die Stadtpassage wurde Anfang 2023 durch den Stadtrat genauer geprüft.Am 6. Juli dann der Entscheid: In einer Medienmitteilung hält der Stadtrat fest, dass das Projekt nicht weiterverfolgt werde. Die Idee sei zwar machbar, aber mit Kosten von 270 bis 340 Millionen Franken zu hoch. Die Stadt wird das weitere Vorgehen im Bericht und Antrag im Winter 2023/2024 aufzeigen.

Individualreisende –akzeptiert und schwierig zu lenken
Neben den Gruppenreisenden ist davon auszugehen, dass der Nachfragedruck auch bei Individualreisenden steigen wird. Darüber sind sich die Touristiker der Region einig. Mit der Verschiebung vom Car- zum Individual­tourismus wird der Verkehr im Zentrum Luzerns noch weiter zunehmen. Die Branchenexperten betonen, dass Gruppenreisende einfacher zu lenken seien, auch wenn Individualreisende in der Bevölkerung besser akzeptiert würden. Unabhängig von der Art der Gäste wird die Bevölkerung in der Summe ein hohes Besucheraufkommen wahrnehmen, was den Druck auf eine kluge Besuchersteuerung zusätzlich erhöht.

Langfristige Gesamt­lösung unumgänglich
Die Zahlen der Tourismusakteure zeigen es. Luzern bleibt ein Touristenmagnet. Aktuell sind es noch immer die Cartouristen, welche im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Zukünftig werden Gäste die Stadt aber auch vermehrt individuell besuchen. Es ist anzunehmen, dass eine Erschwerung der Zufahrt für Reisebusse zu einer Verlagerung auf Kleinbusse führt und den Trend zu mehr Verkehr zusätzlich beschleunigen wird.

Deshalb gilt es, eine Gesamtlösung, zum Beispiel mit integriertem Park-and-ride-Angebot, für die Zukunft zu entwickeln und den Dialog mit der Bevölkerung weiterzuführen. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine Lösung mehrheits- und zukunftsfähig ist.

Christian Pfiffner ist Chief Operating Officer und Mitglied der Geschäftsleitung der Casagrande AG in Luzern. Claudia Jauch-Zgraggen ist Projektleiterin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am XUND Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz. Die Beiden sind Teilnehmende des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Christian Pfiffner und Claudia Jauch-Zgraggen,