Der Umwelt- und Energiebeauftragte der Weissen Arena Gruppe (WAG), Reto Fry, lässt sich gerne in die Karten blicken. Das Klimaschutzversprechen des Tourismuskonzerns mit Sitz in Laax hat er im «Greenstyle Book» niedergeschrieben. Sein ganzes Wissen steckt zwischen zwei Buchdeckeln aus unbehandeltem Karton und ist in gut verdaubaren Häppchen, bestehend aus Text, Grafiken und Bildern, aufgearbeitet.

Der Autor führt die Ziele der Weissen Arena Gruppe auf und erklärt, wie eine alpine Destination nachhaltig betrieben werden kann. Mit der 2022 erschienenen Publikation erregte Fry europaweit Aufmerksamkeit, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Im Gespräch sagt er, was ihn zum Schreiben bewogen hat und dass sich nachhaltiger Tourismus durchaus rechnet.

Wir haben keine andere Chance, als das anzupacken, was wir selber ändern können.

Reto Fry, weshalb haben Sie das «Greenstyle Book» geschrieben?
Die Idee entstand, als ich unser über die Jahre entwickeltes, umfassendes Umwelt- und Energiekonzept immer wieder erklären musste, wenn neue Arbeitskräfte in der WAG begannen. Eine schriftliche Fassung würde alles vereinfachen, dachte ich. Weil es den Nutzen beschreibt und auf den Marschplan eingeht. Heute dient es intern und extern als Leitfaden und Lehrbuch. Je mehr Personen Bescheid wissen, desto einfacher wird es für mich. Zudem können wir auch auf über zehn Jahre «Greenstyle» zurückblicken. Ein solches Jubiläum ist immer ein guter Moment, sich ein Gesamtbild zu verschaffen.

Ich hätte ein dogmatisches Manifest erwartet. Das ist es aber nicht.
Ich will nicht belehrend wirken. Zwar muss man verstehen, weshalb die Klimawende so wichtig ist, aber dann muss man ganz schnell zu den Chancen schwenken, die daraus für jeden persönlich erwachsen. Denn Chancen gibt es viele: Ist es wirklich ein Müssen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren? Oder ist es nicht einfach mega cool, weil es guttut, wenn einem der Fahrtwind durch die Haare streicht?

Das ist jetzt etwas gar pathetisch.
Wir müssen es positiv formulieren, wenn wir die Menschen erreichen wollen, denn viele verschliessen sofort die Ohren, wenn sie das Wort Klimawandel hören. Ihnen muss man mit positiv konnotierten Bildern aufzeigen, wie sie persönlich von der Klimawende profitieren können. Dabei gibt es einen guten Nebeneffekt: der positive Einfluss auf die Umwelt.

Verschliessen sich Touristiker, Gastronominnen und Hoteliers dem Klimawandel?
Klar gibt es solche. Viele sind aber auch sehr innovativ. Wir, die WAG, als der grösste Arbeitgeber der Region möchten mit gutem Beispiel vorangehen und hoffen, weitere inspirieren zu können.

Sie schreiben, dass Sie die Welt retten und dabei Spass haben wollen. Weshalb ist Ihnen das so wichtig?
Das ist einfach ein schöner Slogan. Nein! Wenn wir nicht alles so ernst nehmen, kommen wir weiter, als wenn wir dauernd an das Problem denken. Dann verkrampft man sich und wird unzufrieden. Auch ich. Das kommt immer wieder vor, denn: Unsere Ziele und Visionen liegen so weit in der Zukunft, dass der Weg dorthin aufreibend und anstrengend ist. Um motiviert zu bleiben, muss man auch kleine Erfolge feiern und sich die Zeit nehmen, beispielsweise einmal fein essen zu gehen. Wenn man nicht feiert, geht man an der Aufgabe zugrunde.

Weshalb ist ein nachhaltiger Tourismusbetrieb wirtschaftlich wichtig?
Wir wollen einen Ort kreieren, wo man auch in Zukunft mit einem guten Gewissen Ferien machen kann. Das schätzen unsere Gäste sehr. Damit bleiben wir langfristig attraktiv. Uns ist schon klar, dass der Einfluss der WAG trotz ihrer Grösse global gesehen sehr klein ist. Wir sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Wir haben keine andere Chance, als das anzupacken, was wir selbst ändern können.

Bei gewissen Umweltthemen wäre ich wirklich froh um Gesetze.

Können Sie zur Wirtschaftlichkeit etwas konkreter werden?
Wir können durch Investitionen viel Geld sparen. In der Regel haben wir Massnahmen umgesetzt, die einen positiven Return on Investment haben. Jede Heizung, die durch eine Wärmepumpe ersetzt worden ist, spart viel Energie und somit Geld. Das Gleiche gilt für die LED-Beleuchtung oder die Spardüsen bei den Wasserhähnen. Kaum hatten wir sie eingebaut, waren sie auch schon amortisiert. Natürlich lösen diese Massnahmen Investitionen aus, aber ab einem gewissen Zeitpunkt lohnen sie sich wirtschaftlich. Wenn wir alle das machen, schaffen wir die Klimawende.

2016 haben Sie die «Greenstyle Foundation» gegründet. Weshalb?
Der Begriff «Greenstyle» bezieht sich auf das Umweltkonzept der WAG. Zu ihr gehören Restaurants, Hotels, Bergbahnen und Ski-, Snowboard- und Bike-Schulen, Läden sowie die Destinationsvermarktung. Innerhalb des Konzerns können wir selbst entscheiden, was wir machen möchten. Nur interessiert es die Gäste nicht, welche Betriebe zum Konzern gehören und welche nicht. Um «Greenstyle» aber auch in die Destinationskommunikation aufnehmen zu können, müsste die ganze Region mitmachen. Wir fragten uns deshalb, wie wir das Thema aus dem Konzern in die Destination bringen. Eine von verschiedenen Antworten ist die Foundation. Aus ihrem Geldtopf können gemeinnützige Umweltprojekte unterstützt werden.

Welche Projekte wurden bereits umgesetzt?
Seit der Gründung haben schon 32 Projekte Fördergelder erhalten. Inzwischen haben wir rund 100'000 Franken jährlich zur Verfügung. Aber es ist fast einfacher, Geld zu sammeln, als Menschen zu finden, die damit etwas realisieren können. Konkret wurde bisher beispielsweise ein Bergwaldprojekt in Trin unterstützt, das mit Jugendlichen für den Erhalt, die Pflege und den Schutz des Waldes einsteht. Ein anderes schönes Projekt ist der kostenlose Kleider-Repair-Service für Gäste und Einheimische im Riders Hotel.

Im «Greenstyle Book» ist ein ganzes Kapitel dem sogenannten Showcase Crap Sogn Gion gewidmet. Dabei geht es um die Gesamtsanierung der Bergbahn mit Stationen, Restaurants und Hotel.
Ja, denn der Crap Sogn Gion ist mit über 60 Jahren unser grösster und ältester Verbraucher im Gebäudebestand. Auf der anderen Seite besteht bei einer Gesamtsanierung auch das grösste Potenzial zur Verbesserung. Das Ziel ist, 80 Prozent weniger Energie zu verbrauchen als heute und mit Solarstrom mehr zu produzieren, als benötigt wird. Vom Verbraucher klimaschädlichen, importierten Heizöls zum Produzenten billigster Solarenergie durch das Gebäude selbst. Aber auch alle anderen relevanten «Greenstyle»-Themen sollen radikal in die Neukonzeptionierung aufgenommen werden und an einem Praxisbeispiel aufzeigen, was heute alles möglich und nötig ist und wie wir alle davon profitieren können.

Solarstrom hat das grösste Potenzial
Weniger als ein Prozent der Gesamtfläche der Destination Flims-Laax-Falera würde genügen, um den Elektrizitätsbedarf der Region abzudecken. Bereits auf Dächern und an Fassaden könnten gemäss dem Verband unabhängiger Energieerzeuger mindestens 160 Gigawatt­stunden Elektrizität pro Jahr produziert werden. Das entspricht dem Verbrauch von 40'000 4-Personen-Haushalten.

Die Realisierung eines weiteren Riesenprojekts hat die WAG auf dem Vorabgletscher im Sinn. Gemeinsam mit Repower, der Gemeinde Laax und Flims Electric entwirft sie eine hochalpine Solaranlage. Weshalb wird der einzige Gletscher in der Destination nicht für den Bildungstourismus genutzt?
Der Gletscher ist schon heute fast inexistent und eignet sich für den Bildungstourismus weniger. Er wird wohl viel früher wegschmelzen, als wir noch vor wenigen Jahren dachten. Das Gute ist auch, dass die Anlage vom Tal aus nicht zu sehen ist und sehr hohe Erträge erreicht werden können. Der Ort ist deshalb prädestiniert für die Energie­gewinnung.

War das für Sie immer klar?
Ich war lange unsicher, ob wir den Vorab mit Solarpanels verbauen sollten. Aber es gibt ein paar Argumente, die mich überzeugen. Der Gletscher hinterlässt eine Steinwüste. Dort gibt es noch fast keine Biodiversität. Der Ort ist mit Strassen und Stromnetz erschlossen, und die Bahnen als Verbraucher befinden sich gerade nebenan. Die WAG-Fahrzeugflotte braucht ebenfalls Strom. Aber mir ist auch bewusst, dass wir in der Destination eigentlich genug Infrastrukturen hätten, die man theoretisch mit Solaranlagen bestücken könnte, ohne dass eine Landschaft verbaut werden müsste. Weil es, gemessen an der heutigen Geschwindigkeit, aber 500 Jahre dauern würde, bis alle Dächer und Fassaden mit Solarpanels ausgerüstet wären, bin ich – und laut einer Umfrage zusammen mit über 80 Prozent der befragten Gäste – für den alpinen Solarpark. Theoretisch können wir dann sagen, dass der gesamte Strom für die Bahnen und die Beschneiung mit Solarstrom vom Vorab stammt.

Was ist auf im Gebiet Vorab geplant?
Die vertikale Anlage soll vor allem Winterstrom generieren. Sie besteht aus 20'000 Modulen mit einer Totalfläche von 150'000 Quadratmetern und 7,5 Megawatt Leistung. Pro Jahr werden 12 Gigawattstunden Strom produziert. Das ist die Menge, die 3000 4-Personen-Haushalte verbrauchen.

Wann beginnen Sie mit dem Bau?
Wir bauen dieses, spätestens nächstes Jahr eine Testanlage, um Erfahrungen zu sammeln. Wir müssen mehr darüber erfahren, was wir bezüglich Höhe, Sturm, Schnee, Eis und Feuchtigkeit berücksichtigen müssen.

In Anbetracht der Nachhaltigkeitsziele der Weissen Arena Gruppe: Auf welcher Stufe bewegt sie sich im Moment auf einer Skala von 1 bis 100?
Durch neue Möglichkeiten wird sich das Ziel immer wieder verschieben! Betrachten wir das Jahr 2010, als wir mit «Greenstyle» begannen: Wir waren so stolz auf die ersten LED-Lämpchen, die wir damals installiert haben. Sie galten als so innovativ, dass wir sie nachts der damaligen Geschäftsleitung präsentierten. Heute sind LEDs das Normalste der Welt. Wir stecken tatsächlich mitten in der Energie­wende: Ölheizungen werden ersetzt, es wird Energie gespart mit LED-Lampen, Spardüsen, Isolation, Wärmepumpen, und es kommen ständig bessere Speicherlösungen dazu. Die Mobilität wird elektrifiziert und es wird in Ladeinfrastruktur investiert. Auf den Gebäudedächern produzieren immer mehr Solaranlagen Strom. Wir können zuversichtlich sein. Aber in welchem Speed?

Geht Ihnen die Klimawende zu langsam voran?
Bei gewissen Umweltthemen wäre ich froh um Gesetze. Vor allem dort, wo kein Nachteil folgt, sondern nur der Fortschritt besiegelt wird. Und auch bei Themen, wo das einzelne Verhalten der Allgemeinheit schadet.

Sie sind eine engagierte Person, Ihr Umgang ist aber gelassen. Ist Ihr Job so lässig, wie es den Anschein macht?
Es ist ein vielseitiger Job, auch wenn er manchmal hart ist und es für Umweltthemen immer noch viel Überzeugungsarbeit braucht. Und doch: Als Verantwortlicher Umwelt und Energie bei der WAG habe ich noch jeden Tag viel Freude an der Arbeit. Es motiviert mich immer wieder, wenn ich mich für eine bessere Welt einsetzen kann.

Ein Handwerker repariert die Umwelt
Reto Fry ist in Flims aufgewachsen, wo er die Lehre als Metallbauschlosser absolvierte. Seit 2007 arbeitet er bei der Weissen Arena Gruppe, seit 2010 in der Funktion als Verantwortlicher Umwelt und Energie. Der 45-Jährige hat ein CAS-Diplom in «Nachhaltigem Bauen» von der Hochschule für Technik und Wirtschaft und ein FH-Diplom in «Tourism and Hospitality Management». Der Vater zweier Kinder verbringt gerne Zeit mit seiner Familie und in der Natur.