Herr Züllig, warum sollte ein Wirt bei einem Bauern einkaufen statt auf standardisierte Produkte vom Grossverteiler zu setzen?

Züllig: Weil der Gast von heute immer mehr sensibilisiert ist und klare Qualitätsvorstellungen hat, gerade was die Ernährung betrifft. Wir spüren dies im Hotel Schweizerhof stark. Indem wir nur Produkte aus der Region servieren und die Geschichte dahinter erzählen, in der Deklaration dazu auch Name und Hof des Landwirts erwähnen, schaffen wir eine Bindung vom Gast zum Erzeuger. Das wird sehr geschätzt, und der Kunde ist bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen.

Seit wann setzen Sie konsequent auf heimische Produkte?

Züllig: Beim Frühstücksbuffet bereits seit 25 Jahren. Vor vier Jahren haben wir den Terroir-Gedanken auch in unserem mit 15 GM-Punkten ausgezeichneten Gourmet-Restaurant Scalottas umgesetzt. Das ist deutlich aufwendiger: Allein für das 25-plätzige Restaurant zählen wir 40 Einzellieferanten, holen die Ware grösstenteils auch selber ab. Daraus ergeben sich Gespräche, die neue Ideen zur Folge haben. So entwickeln wir uns gemeinsam weiter. Dennoch ist es eher eine Nische, nicht jeder Gastronom kann es sich leisten.

Lohnt es sich auch wirtschaftlich?

Züllig: Durchaus, wenn man zwei Punkte beachtet: Saisonalität und die Verwertung des ganzen Tieres, was weniger Foodwaste zur Folge hat. Dies zeigt sich sehr wohl in der Rendite und bei den Warenkosten. Letztere sind bei uns trotz eher teureren Produkten relativ tief.

Herr Ritter, und was bringt dem Bauern diese enge Zusammenarbeit mit Gastronomen?

Ritter: Wir sehen es am Beispiel Andreas Züllig: viel. Die Menschen sehnen sich derzeit nach Natur, nach gesunden regionalen Lebensmitteln. Das ist ein Marktpotenzial, das von immer mehr Köchen und Gastgebern gut genutzt und umgesetzt wird – auch wir Bauern müssen dies künftig noch mehr nutzen. Heute hat nur gute Marktchancen, wer sich differenzieren, sich abheben kann und wer die Geschichten hinter seinen Produkten erzählen kann. Diese Emotionen gilt es greifbar zu machen.

Züllig: Mit einer engen Zusammenarbeit findet eine gemeinsame Art der Vermarktung statt, die dem Image beider Branchen dient.

Ritter: Wir beobachten den Trend hin zur Natur selbst bei den Grossverteilern: Auch sie holen ihre Kunden heute auf persönliche Art ab. Gerade für den Bauern ist es entscheidend, dass er eine Verbindung zum Konsumenten herstellt. Erst dann kann er für seine Produkte die Mehrwerte erklären, so dass sich der Käufer sagt, okay, die Ware ist zwar teurer als im Ausland, aber sie ist mir diesen Preis wert. Die Entwicklung der letzten Jahre gibt uns diesbezüglich recht: Der Einkaufstourismus bei Lebensmitteln hält sich stabil bei rund 3 Milliarden Franken gegenüber 63 Milliarden, die jährlich mit Lebensmitteln in der Schweiz im Detailhandel und im Verkauf an die Gastronomie umgesetzt werden.

Dennoch ist die Umsetzung kompliziert und komplex. Was empfehlen Sie jungen Köchen, Herr Züllig, wie sollen sie vorgehen?

Züllig: Wir haben Landwirte in unserer Umgebung einfach angefragt, ob sie beispielsweise Alpschweine züchten wollten. So entwickelten sich über die Jahre verschiedene Zusammenarbeiten. Aber es ist aufwendig. Man muss die Landwirte motivieren, Neues zu wagen. Die Landwirtschaft, so mein Eindruck, hat sich lange in einer Komfortzone bewegt, und viele Betriebe verharrten in einem industrialisierten Prozess: Die Produktion war klar, die Preise fix, die Direktzahlungen flossen. Sie mussten sich unternehmerisch wenig anstrengen. Da muss man sie als Gastronom zuweilen etwas aufrütteln.

Neue Plattform für mehr Kooperation
Gemeinsam mit Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer haben HotellerieSuisse-Präsident Züllig und Bauernverband-Präsident Ritter anlässlich der traditionellen «Sichlete» auf dem Bundesplatz in Bern das Projekt «LandGastWirt» lanciert. Auf der Plattform vomhof.ch sollen künftig Landwirtschafts- und Gastrobetriebe besser und regional zusammengeführt werden.
https://www.vomhof.ch/gastro

Ritter: Hierbei gilt es zu beachten, dass die Hälfte der Lebensmittel heute in der Schweiz inhouse und die andere Hälfte ausserhaus konsumiert werden. Beim Inhouse-Konsum haben wir dank guten Labels und durch die Unterstützung von Grossverteilern mittlerweile einen beachtlichen Grad an Spezialisierung erreicht. Das Markt- und das Wachstumspotenzial liegt derzeit speziell im Gastro- und im Hotel-Bereich, wo bislang der Preis immer ein grosser Diskussionspunkt war. Glücklicherweise ist sich auch dies am Ändern. Wenn wir es schaffen, noch mehr Bauern und Gastronomen zusammen- und ein paar Leuchttürme mehr hervorzubringen, birgt dies auf mehreren Ebenen eine riesige Chance ...

Züllig: … eine Chance vor allem für Berg- und Randregionen, um auf sich und ihre Produkte aufmerksam zu machen. Selbstverständlich schätzt es ein städtischer Gast, wenn er einheimische Produkte vorgesetzt bekommt. Aber eine vertiefte Zusammenarbeit ist ein Thema, das vor allem den Ferien- und ländlichen Regionen nützen kann.

Ritter: Hier haben die Gäste Zeit, wollen gute Produkte und persönliche Eindrücke mit nach Hause nehmen ... Das sind kauffreudige Kunden. Wer die begeistern kann für seine Arbeit und seine Produkte, hat viel gewonnen.

Herr Züllig ist aber der Meinung, dass es den Bauern bislang gut ging und sie mehr ökonomischen Druck brauchen, bis sie das Potenzial erkennen. Wie sehen Sie das, Herr Ritter?

Ritter: Da ist auch in unserer Branche viel in Bewegung gekommen. Tatsache aber ist, dass es für den Bauern einfacher ist, wenn ein Gastronom mit konkreten Ideen an ihn herantritt, als wenn er selber einfach aufs Geratewohl etwas produziert, von dem er nicht weiss, ob er letztlich auch Abnehmer findet.

Noch dann erwartet den Bauern viel Kleinarbeit, dazu kommt der Austausch mit neuen Auftraggebern, allenfalls mit Gästen. Lässt sich das einfach so nebenbei bewerkstelligen?

Ritter: Das ist nicht für alle gleich einfach, dem ist so. Wir beobachten aber auch, dass der Austausch mit neuen Interessenten für ihre Produkte für Landwirte sehr bereichernd sein kann, gerade weil sie in ihrem Alltag wenig vom Hof, von ihrer Arbeit wegkommen.

Züllig: Deswegen laden wir unsere Produzenten regelmässig mit ihren Familien zum Essen ein und servieren ihnen Gerichte, die wir aus ihren Produkten zubereitet haben. Wir führen ihnen vor Augen, was dank ihren Erzeugnissen möglich ist. Natürlich sind wir nicht nur Gutmenschen: Dass wir uns regional positionieren, hat auch ganz viel mit Marketing zu tun, letztlich sind wir Unternehmer und wollen Geld verdienen. Dennoch erfüllt es uns mit viel mehr Freude, wenn die Zusammenarbeit auch auf emotionaler Ebene spielt.

Zeigt sich das in der landwirtschaftlichen Ausbildung? Ist sie abgestimmt auf heutige Bedürfnisse oder verhaftet sie noch in der Produktoptimierung?

Züllig: Ich war kürzlich auf dem Plantahof, der landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte in Landquart, und hatte den Eindruck, dass die heutigen Landwirtinnen und Landwirte gut auf Themen wie Unternehmertum, Eigeninitiative und Innovationen vorbereitet werden.

Ritter: Die Grundbildung bietet wie bis anhin die fachliche Grundlage, das Handwerk. Wichtig aber ist, dass danach die Betriebsleiterschule absolviert wird. Das ist die nächste Stufe, die das Gelernte vertieft, die aber auch wichtige Themen wie Innovation, Management, Verkauf, Auftreten am Markt aufgreift. Das ist insbesondere für Landwirte in Berggebieten wichtig, wo die Kosten per se höher sind. Wer im alpinen Raum nicht eine gewisse Wertschöpfung erzielen kann, hat heute kaum noch eine Chance. Die Landwirtschaft muss sich unternehmerisch bewähren.

Es gibt Plattformen wie vomhof.ch oder diversitas.ch, welche die Zusammenarbeit fördern und den Vertrieb vereinfachen sollen. Hilft das?

Züllig: Unterschiedlich. Eine grosse Herausforderung ist die Logistik. Diese ist enorm aufwendig. Das sehen wir im Graubünden am Beispiel der Plattform alpinavera.ch, die sich an den Endverbraucher richtet. Ganz sicher aber können digitalisierte Lösungen beim Vermarkten, Sensibilisieren und Zusammenführen beider Branchen helfen.

Ritter: Für den Bauern bleibt die Knacknuss, dass er üblicherweise auf Bestellung produziert. Er muss sich ja darauf verlassen können, dass er seine Produkte im richtigen Moment auch verkaufen kann. Daher ist für ihn eine persönliche, direkte Zusammenarbeit von grossem Vorteil. So entstehen nicht zuletzt auch Kundenbeziehungen, die eine langfristige Planung ermöglichen.

Züllig: Das stimmt. Kaufen wir ein Alpschwein, dann lebt es erst mal noch zwei Jahre. Das erfordert eine Planung, die man sich auch als Gastronom erst einmal aneignen muss. Ich war am Genussmarkt von Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein – und das war sehr eindrücklich: Caminada präsentierte seine Vorratskammer gefüllt mit Einmachgläsern mit Kirschen, Spargeln, mit Artischocken vom Domleschg und getrockneten Birnen vom Hochstamm. Der Trend hin zu regionalen, saisonalen Erzeugnissen, die als Edelprodukte gehandelt und nach traditioneller Art haltbar gemacht werden, ist längst in der Gourmetküche angekommen. Solche Vorreiter, höchst ausgezeichnet und Verfechter der alpinen Kochkunst, sind wichtig. Sie animieren andere Köche und steigern die Nachfrage.

Bräuchte es denn auch vonseiten der Bauern mehr Engagement, auf Gastronomen zuzugehen, Herr Ritter?

Ritter: Es gibt bereits gute Ansätze. Im Kanton St. Gallen beispielsweise gibt es eine Zusammenarbeit mit der Hotelfachschule Luzern. Da kamen Studierende zu uns auf die Höfe, um verschiedene Arbeiten und die Abläufe kennenzulernen. Im Gegenzug besuchten Bauern die Hotelfachschule.

Braucht es eine Struktur, die diese Zusammenarbeit institutionalisiert?

Züllig: Da wäre ich vorsichtig. Man darf den Markt nicht zwingen, wie man die Konsumenten nicht zwingen darf, Bioprodukte zu kaufen. Aber ich erachte es als Aufgabe des Verbandes, also als unsere Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen. 

Ritter: Das sehe ich genauso. Es braucht die freie Wahl. Diese aber birgt Chancen, die wir als Verband vermehrt nutzen wollen. Dass der Zeitpunkt optimal ist, zeigen heiss diskutierte Themen wie Nachhaltigkeit und Klima.

Züllig: Diese können der Landwirtschaft enormen Schub verleihen. Das zeigt die Sensibilisierung bezüglich Fleischkonsum: Wir können den Konsumenten nicht zwingen, weniger Fleisch zu essen. Aber wir können attraktive Alternativen aufzeigen.

Mittlerweile produzieren findige Landwirte Schweizer Quinoa, hiesige Süsskartoffeln, Artischocken. Sind das Alternativen mit echtem Potenzial?

Ritter: Im Nischenmarkt auf jeden Fall. Und sie liefern Diskussionsstoff. Auch wenn der Absatz nicht hoch ist, so lohnt es sich durchaus. Damit bleibt man im Gespräch. Das zeigt sich etwa bei den Weinbauern: Heute haben viele Winzer einen Weinessig oder einen Eiswein im Sortiment. Der sorgt zwar nicht für den grossen Umsatz, hält den Winzer aber im Gespräch und sorgt für neue Ideen und Produkte. 

Züllig: Weinbauern sind ein super Beispiel. Nehmen wir die Bündner Herrschaft: Sprach man vor 30 Jahren noch verschämt von «Beerliwein», bietet die Region heute Qualitätswein mit Kultcharakter und internationalem Marktwert.

Sehen Sie politische Möglichkeiten, verfolgen Sie Bestrebungen, die Zusammenarbeit auch auf offizieller Ebene zu fördern?

Ritter: Wenn es darum geht, Kunden zu gewinnen, dann ist das weniger eine Sache der Gesetze. Wichtig scheint mir die Förderung privater Initiativen und Projekte.

Züllig: Staatlich braucht es keine Regulierung oder neue Gesetze. Dass immer mehr in die Arbeitswelt eingegriffen wird, ist in unseren Branchen eine Belastung. Wenn, dann sehe auch ich Lösungen im Sinne von Anschubfinanzierungen, öffentliche Gelder, die man für Innovationsprojekte einsetzt. Ich denke da an das ehemalige Kapuzinerkloster in Stans, das von Dominik Flammer in ein Kompetenzzentrum für alpine Kulinarik umfunktioniert wird – ein ideales Bindeglied zwischen Produzenten und Gastronomie. Hier leistet der Staat einen Beitrag, ohne unternehmerisch einzugreifen. Das erscheint mir sinnvoll.

Das Gespräch entstand in Zusammenarbeit mit der Bauernzeitung.


Markus Ritter aus dem sankt-gallischen Altstätten ist gelernter Landwirt und Wirtschaftsingenieur. Der Biobauer betreibt einen Landwirtschaftsbetrieb von gut 28 Hektaren, hält u.a. Milchkühe, Bienenvölker, Hochstammobstbäume. Der Präsident des Schweizer Bauernverbandes sitzt seit 2011 im Nationalrat für die St. Galler CVP. [IMG 2]
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Andreas Züllig, aufgewachsen in einem Hotel, ist gelernter Koch und Absolvent der Hotelfachschule Lausanne. Seit 1991 führt der Präsident von HotellerieSuisse gemeinsam mit seiner Frau Claudia Landolt das 4-Sterne-Superior-Hotel Schweizerhof auf der Lenzerheide. Züllig kandidiert als Mitglied der Bündner FDP für einen Sitz im Nationalrat. [IMG 3]
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Franziska Egli