Steckbrief
Name: Brigitta M. Gadient

Alter: 62 Jahre

Beruf: Juristin, mit Nachdiplomstudium in Internationalem Wirtschaftsrecht

Was ich mag: Sprachen, fremde Kulturen, die Vielfalt in unserem Land, der Austausch über die Sprachgrenzen hinweg und Reisen

Was ich nicht mag: Engstirnigkeit, Verbissenheit, Sturheit und Menschen, die immer recht haben wollen

Was ich werden wollte: Im diplomatischen Dienst die Schweiz vertreten

Was ich verpasst habe: Daran denke ich nicht. Ich hatte in meinem Leben so viele Chancen, schöne Erlebnisse und spannende Begegnungen.

Darüber muss ich lachen: Ich bin generell fröhlich und überzeugt, dass Lachen Magengeschwüre verhindert. Und so lache ich viel im Alltag – auch über mich selber.

Auf diese Eigenschaft könnte ich verzichten: Das zu beurteilen, überlasse ich anderen.

Im nächsten Leben werde ich: ... nochmals das Gleiche machen

Sie ist die erste Frau in der über hundertjährigen Geschichte von Schweiz Tourismus, die als Präsidentin an der Spitze der Marketingorganisation steht. Brigitta Gadient hat das Amt im Januar 2020 übernommen, und statt eines sanften Einstiegs fühlte sich ihr Start eher an «wie ein mutiger Sprung vom 10-Meter-Turm». Denn kaum war sie da, brach die Corona-Pandemie aus und stürzte die Branche in die grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Churerin führt galant durch die ehemalige Stadthalle in Zürich, durch die lichtdurchfluteten Räume, die sich im geschichtsträchtigen Gebäude über drei Etagen erstrecken. Wo sich vor hundert Jahren Leute versammelten und später Autos geflickt wurden, befinden sind heute die Räumlichkeiten von Schweiz Tourismus. Brigitta Gadient nickt den Mitarbeitenden zu, bleibt stehen und plaudert – man merkt sofort, sie ist hier bestens angekommen.

Von Kindesbeinen an fühlte sich die 62-Jährige mit dem Tourismus verbunden, stand mit zwei Jahren schon auf den Ski, hat als Mädchen mit ihrem Grossvater im Prättigau geimkert, liebt bis heute Natur und Landschaft: «Für so ein fantastisches und einmaliges Land wie die Schweiz zu arbeiten, empfinde ich als grosse Ehre.»

Ihr Vater und ihr Grossvater warenin Bundesbern aktiv
Brigitta Gadient ist in einer politischen Familie aufgewachsen, daheim wurde viel und intensiv diskutiert. Ihr Grossvater Andreas amtete 35 Jahre lang als Nationalrat, machte sich «für die kleinen Leute stark» und war Mitbegründer der Bündner Demokratischen Partei. Daraus entstand später die kantonale SVP. Und ihr Vater Ulrich sass über 15 Jahre für Graubünden im Ständerat. «Bei uns stand Politik auf der Tagesordnung», erinnert sie sich. Selber mitreden wollte die junge Frau, als es um die Fristenlösung ging. «Da war ich aber erst 18 Jahre alt – und das Stimmrechtsalter lag damals bei 20 Jahren.»

Nach dem Gymnasium in Chur studierte sie in Bern Jus, «was ich bis heute in vielerlei Hinsicht für eine gute Grundlage halte». Dann arbeitete Brigitta Gadient zweieinhalb Jahre auf dem SVP-Generalsekretariat und wechselte später zu den Parlamentsdiensten. Bei diesen Tätigkeiten lernte sie die Spielregeln der Politik kennen – und als die SVP Graubünden schliesslich fragte, ob sie sich eine Kandidatur für den Nationalrat vorstellen könnte, sagte sie zu. «Man kann sich nicht immer beklagen, es gebe zu wenig Frauen in der Politik, und dann selber einen Rückzieher machen», erklärt sie ihre Beweggründe. Die Wahl schaffte sie zwar nicht im ersten Anlauf, doch mit 34 Jahren rutschte sie 1995 für den zurückgetretenen Simeon Bühler nach. Damals herrschten im Bundeshaus noch andere Genderverhältnisse – im Nationalrat waren nur gut 20 Prozent der Sitze von Frauen besetzt; aktuell sind es 42 Prozent.

Frauen müssen mehr leisten fürdie gleiche Anerkennung
Heute sind Nationalrätinnen, Ständerätinnen und Bundesrätinnen keine Seltenheit mehr. Viele dieser Frauen dienen als Vorbilder für jüngere Generationen – das findet Brigitta Gadient wichtig. «Weil sie so sehen, was alles möglich ist.» Sie selber bewunderte einst CVP-Politikerin Josi Meier, die 1971 zu den elf erstgewählten Frauen im Parlament gehörte und 1991/1992 als erste Präsidentin dem Ständerat vorsass. «Sie war ruhig und stark, kämpfte wie eine Löwin und zeigte sich doch im richtigen Moment auch kompromissbereit.» Und nicht zu vergessen: Es zählte nicht nur, was die Frauen damals sagten, welche Argumente sie hervorbrachten. Auf mindestens genauso grosses Interesse stiessen ihre Kleider, Schuhe und Frisuren; sie standen unter allgemeiner Dauerbeobachtung der Öffentlichkeit. «Aber – und das war schon damals so – wenn Frauen zusammenspannen, werden sie eher wahrgenommen. Ich denke da an die überparteiliche Arbeit der Parlamentarierinnen für die zehnte AHV-Revision», erinnert sich Brigitta Gadient. Dank der gemeinsamen Aktion und dem Einstehen für die Vorlage konnten schliesslich wichtige Meilensteine wie Erziehungs- und Betreuungsgutschriften zur Erhöhung der AHV-Ansprüche umgesetzt werden.

Die SVP Graubünden war fortschrittlich und hatte immer schon Frauen auf den Listen. Als sie mich fragte, ob ich für den Nationalrat kandidieren wolle, liess ich mich überzeugen. Wer mehr Frauen fordert, muss selber auch hinstehen.

Wer kompetent sein will, mussseine Dossiers im Griff haben
Doch nicht immer waren andere Frauen da, die vielleicht den nötigen Rückhalt gaben und am gleichen Strick zogen. «Liebe Frau Gadient, sehr geehrte Herren …» Zu oft hat die Bündnerin diese Anrede bei Veranstaltungen und Versammlungen zu wirtschafts- oder finanzpolitischen Themen, die damals fast nur von Männern besucht wurden, gehört. Heute kann sie darüber herzhaft lachen. Und dennoch ist sie überzeugt: «Damit wir die gleiche Anerkennung erhalten wie die Männer, müssen wir immer noch mehr leisten.»

Und wie tut man das – wenn der Alltag bereits zu wenig Stunden hat, die Arbeit nie endet und immer noch etwas zu erledigen ist? «Man muss vor allem sattelfest sein bei den Themen und seine Dossiers ganz genau kennen.» Das heisst: Ärmel hochkrempeln, Dokumente wälzen, sich in die Thematik vertiefen – dann kann man in Diskussionen auch kontern und argumentieren. «Zum Glück waren meine Zugfahrten von Chur nach Bern ins Bundeshaus so lang; das verschaffte mir Zeit zum Vorbereiten.»

Brücken über Partei- und Meinungsgrenzen hinweg bauen, Kritik aushalten, selbst in struben Momenten gelassen bleiben – wie damals, als die SVP Schweiz nach der Abwahl von Christoph Blocher ihre Bündner Kollegen ausschloss und darum die BDP neu gegründet wurde, zu der auch Brigitta Gadient wechselte. Diesen steten Druck hält nur aus, wer von seinem Umfeld mitgetragen wird. «Mein Mann und meine Familie haben mich immer unterstützt. Sonst wäre meine Karriere so nie möglich gewesen …»

Nicht jede Topstelle lässt sich in Teilzeitarbeit erledigen
Frauenquoten in Politik und Wirtschaft seien heute nicht mehr das vorherrschende Thema, da sich in den vergangenen Jahrzehnten doch einiges verändert habe. «Auch wenn es nie eine absolute Gleichheit und Gleichstellung geben wird», sagt Brigitta Gadient. Es lasse sich nicht jede Topstelle in Teilzeitarbeit erledigen. Und gerade da müssten Frauen oft kapitulieren, weil für sie keine Vollzeitstelle infrage komme: «Kinder, Haushalt und Arbeit, dazu oft noch Freiwilligenarbeit – irgendwann hat einfach nicht mehr alles Platz nebeneinander.» Sie selber hatte das Glück, Ämter, Mandate und Arbeiten übernehmen zu können, die interessant und herausfordernd waren, «weshalb ich nie die Stunden zählte». So habe sich ihr auch nie die Frage gestellt, was nun wichtiger sei: Arbeit oder Freizeit. Das lief ineinander.

Wenn Freizeitvergnügen wichtiger ist als Arbeit, wird es schwierig, Karriere zu machen. Ich habe mich stets gefragt, wie ich mein Leben gestalten möchte – und meine Zeit in interessante und herausfordernde Aufgaben investiert.

Junge Menschen stellen heute andere Anforderungen an einen Job, pflegen andere Lebensformen, setzen andere Prioritäten. Brigitta Gadient plädiert für gemischte Teams, «weil so wertvolle Impulse für die Mitarbeitenden wie auch die Unternehmen entstehen». Als Präsidentin des Hochschulrats der Fachhochschule Graubünden macht sie sich zudem dafür stark, dass sich Frauen auch in Gebieten wie Technik und Naturwissenschaften mehr zutrauen. Es geht darum, mehr junge Frauen für diese Fachrichtungen zu gewinnen, zum Beispiel indem Studentinnen von ihren Erfahrungen erzählen – und damit das Interesse von Schülerinnen wecken. «Das ist ein sehr direkter und vielversprechender Ansatz.» Es werden Hemmschwellen abgebaut und geschlechterspezifische Vorurteile entkräftet. «So entstehen neue Frauenbilder und Idole, denen junge Mädchen nacheifern können.»

Der Tourismus muss sich verschiedenen Herausforderungen stellen
Im Schweizer Tourismus, in der Hotellerie und Gastronomie sieht die Präsidentin im Moment verschiedene Herausforderungen, die ihr Sorgen bereiten. Da ist zum Beispiel die Ungewissheit, was Pandemie und Energieknappheit für die kommende Wintersaison bedeuten: «Wir müssen alles daran setzen, dass die Bergbahnen den Betrieb nicht einstellen müssen», appelliert Brigitta Gadient, auch mit Blick Richtung Bundesbern. Denn eine Schliessung sei verheerend für alle Betriebe – neben Hotels und Gastrobetrieben auch für Leistungsträger wie Skischulen oder Sportgeschäfte bis hin zur Bäckerei und vielen mehr. Sollte es doch zu Einschränkungen kommen, welche die Gäste unmittelbar spüren, sei eine gute Kommunikation wichtig: «Da würde Schweiz Tourismus sicher mithelfen und unterstützen.»

Als problematisch beurteilt sie auch den Rückgang der Studierenden und Berufsfachleute, die in die Branche einsteigen wollen – so werde der Fachkräftemangel noch mehr befeuert. Hier brauche es mehr Aufklärung und Informationen: «Ja, diese Jobs sind hart. Aber sie sind auch unglaublich vielseitig und bereichernd und bringen dem Einzelnen auch Freiheiten.» Brigitta Gadient denkt zum Beispiel an die Möglichkeit, überall auf der Welt arbeiten zu können, dabei in neue Kulturen einzutauchen und einmalige Erfahrungen zu sammeln. «Diese positiven Seiten müssen wir mehr herausstreichen.»

Brigitta Gadient liebt ihr Aufgabe bei Schweiz Tourismus und ist dankbar dafür, mit einem kompetenten und engagierten Team zu arbeiten. Covid, Energiekrise, Materialknappheit, Inflation, schwacher Euro, Krieg in Europa, Fachkräftemangel – es gibt viel anzupacken. Das schreckt sie nicht ab, im Gegenteil: «Ich bin jeden Tag motiviert, den Tourismus für unser Land vorwärtszubringen.»

In der Hospitality- und Touristikbranche sind Frauen in Führungspositionen noch immer untervertreten. Dennoch haben sich viele von ihnen erfolgreich durchgesetzt. Mit einer Porträtserie (nachzulesen auf htr.ch) rückt die htr hotelrevue diese Frauen ins Rampenlicht und gibt so Einblicke in vielfältige Frauenkarrieren.

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