Roland und Karin Lenz erfinden den Thurgauer Wein neu. Die grössten Biowinzer der Deutschschweiz setzen künftig ausschliesslich auf pilzwiderstandsfähigere Sorten, sogenannte Piwis. Das himmeltraurige Wetter im vergangenen Jahr gab den letzten Zwick. Lenz sieht in Neuzüchtungen wie Sauvignac und Cabernet blanc den Königsweg, um den Weinbau ökologischer zu gestalten. 35 Sorten stehen mittlerweile auf seinen 21 Hektaren im Ertrag, sie sind den meisten Konsumenten so unbekannt wie die Strassennamen in Uesslingen.

Als Präsident des im Dezember 2019 gegründeten Vereins Piwi Schweiz ist der Thurgauer auch Sprachrohr einer noch jungen Bewegung. Sie stand Ende März anlässlich des Besuchs des Weinguts Lenz durch Landwirtschaftsminister Guy Parmelin, selber aus einer Weinbauernfamilie stammend, kurz im Rampenlicht.

Auch Kleinstwinzer wie Martin Wullschleger und Cornelia Jacquemai setzen gerne auf Piwis. Die beiden pflegen in Zofingen insgesamt 6274 Rebstöcke der Sorten Johanniter, Cabernet Jura und Cal 1-28. Die Ernte lassen sie durch Kellermeister Daniel Fürst im Fricktal keltern.

Im Idealfall sind keine Pflanzenspritzungen nötig
Piwis sind weit weniger anfällig für den Mehltaubefall als etwa Riesling-Silvaner oder Pinot noir, und im Idealfall sind keine Pflanzenspritzungen nötig. Das macht pilzwiderstandsfähige Sorten seit eh und je bei Freizeitwinzern beliebt, die alten französischen Sorten Maréchal Foch und Léon Millot etwa, beide wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezüchtet. Seither entstanden unzählige neue Züchtungen.

Einer der Stars heisst Divico, federführend durch Jean-Laurent Spring von Agroscope in Changins entwickelt. Spring griff auf die rote Sorte Gamaret zu – 1970 ebenfalls an der Westschweizer Forschungsanstalt Changins aus einer Verbindung von Gamay und Reichensteiner geboren – und auf die weisse Sorte Bronner, eine pilzwiderstandsfähige Kreuzung des Staatlichen Weinbauinstituts in Freiburg im Breisgau. Heute, neun Jahre nach der Einführung, stehen bereits 54 Hektaren mit Divico im Ertrag, vor allem in der Westschweiz, etwa bei Lous-Philippe Burgat und seiner Cave du Chambleau, einer der ersten Neuenburger Adressen.[RELATED]


Kostproben

Der Sortenname Sauvignac erinnert nicht zufällig an Sauvignon. Roland Lenz’ Abfüllung ist ein süss-saures aromatisches Feuerwerk. Aus der Sorte Cabernet Jura keltert Daniel Fürst in Hornussen für das Winzerpaar Wullschleger/Jacquemai einen strukturierten, angenehm trockenen Rosé. Und Louis-Philippe Burgat aus Colombier setzt mit seinem L’Audacieux den Massstab, wenn es um die Sorte Divico geht. Der 2020er wurde gar ohne Schwefelbeigabe abgefüllt. Drei sortenreine Weine aus besonders pilzwiderstandsfähigen Sorten mit hohem Spassfaktor.

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Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

www.stefankellerpartner.com

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